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20. Türchen: Fünfe gerade sein lassen.
Ein Spruch, mit dem wir üblicherweise zu Unaufgeregtheit und Gelassenheit anregen wollen und der angesichts knapp zwei Jahre Pandemie-Wirren vielleicht etwas absurd anmutet. Wie soll man jetzt „Fünfe gerade sein lassen“, wenn man schon die letzten 20 Monate „Zehne gerade sein lassen“ musste?
Und dennoch – ich halte es für wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern und seinen Alltag und sein Empfinden zu prüfen. Viele meiner Adventskalendertürchen plädieren für Nachsicht, nicht-perfekt-sein, in Alternativen denken, andere Wege gehen, Prioritäten setzen…
Und Fünfe gerade sein lassen, gehört auch dazu – gerade jetzt, wo vielleicht viele Weihnachten „retten“ wollen und nicht wissen, ob das gelingt und wie es gelingt. Weihnachtsplanung auf den letzten Drücker, mehr denn je, weil wir einen neuen Diskussionswirbel um die neue noch ansteckendere Variante Omikron aufkommen sehen – wie soll da Besinnlichkeit und Ruhe aufkommen?
Ich las vor Kurzem einen wütenden Kommentar, der Schreiber/die Schreiberin wolle sich Weihnachten nicht nochmal verderben lassen (angesichts der neuen Empfehlungen des Expertenrates). Diese wenigen Worte machten mir klar, wie abhängig viele ihr „Weihnachtserlebnis“ von äußeren Umständen, von politischen Entscheidungen und der Verantwortung anderer machen. Ich hätte diesen verzweifelten Menschen gerne gefragt, warum er so empfindet und was für ihn Weihnachten verdirbt? Wie hat er Weihnachten bislang gefeiert, was ist ihm wichtig daran? Was wurde ihm letztes Weihnachten durch die Pandemie (bzw. ich verstand seine Wut weniger auf die Pandemie bezogen, als mehr auf die Maßnahmen gerichtet) verdorben? Und welche dieser für ihn wichtigen Dinge werden durch Maßnahmen der Infektionseindämmung auch dieses Jahr verdorben?
Ich hätte viele Fragen an ihn (oder sie), um zu verstehen, wo seine Wut herkommt. Sind wir nicht alle wütend, fassungslos, ohnmächtig? Aber warum? Wir empfinden dies eigentlich gegenüber der Pandemie - aber die ist kaum fassbar, für uns Einzelne nicht beherrschbar, wir habe das Gefühl nichts dagegen tun zu können. Eine Kolumne gegen das Virus wäre absurd. Das Virus wird sie nicht lesen. Aber einen Tweet gegen politisch verordnete Maßnahmen - da können wir unsere ganz Wut und Verzweiflung hineinlegen. Aber bringt uns das wirklich weiter in unseren Herausforderungen?
Ich möchte auch heute zu einem Perspektivwechsel ermutigen. Prüfen Sie, mit welchen Empfindungen Sie bislang durch die Vorweihnachtszeit gegangen sind, wie fühlen Sie sich kurz vor dem Weihnachtsfest und parallel dazu mitten in der Diskussion um „Omikron“? Wovon hängt ab, ob Sie am Freitag ein Weihnachten feiern, mit dem Sie zufrieden sind? Brauchen Sie Dinge/Ereignisse/Begegnungen, die von möglichen Maßnahmen tangiert würden? Was würde passieren, wenn Sie das nicht haben? Gibt es Alternativen? Wir haben viel über Alternativen gesprochen. Die emotionale Prüfung ihrer Geeignetheit und vielleicht sogar Bereicherung trotzdem Gewohntes nicht geht, Ihnen verdorben scheint, steht an.
Könnte die Familie den Blick auf das „Weniger“ richten und schauen, ob Wertvolles und Schönes darin liegt, was Ihnen für Weihnachten ebenso wichtig ist, Sie aber nie darüber nachdachten? Oft merken wir erst, wenn wir etwas nicht mehr haben/machen können, wie wertvoll es war/ist. Prüfen Sie alles, was Sie zu Weihnachten zu tun gedenken – nicht nur das, was Sie vermissen werden, sondern das, was Ihnen erhalten ist – ich bin sicher, die Liste wird ganz schön lang. Weihnachten ist doch etwas, was wir sehr selbstverantwortet feiern können, viele kleine Dinge, die wir selbst machen und die im Gesamten „Weihnachten“ bedeuten und die nicht von politischen Entscheidungen abhängen. Gerade Familien mit Kindern (deren Situation mir in diesem Kalender wichtig ist und die in dieser Pandemie die Erschöpftesten sind) erleben Weihnachten mehr zu Hause als in der Welt da draußen.
Lassen Sie also Fünfe gerade sein – ich ermutige dazu. Schauen Sie sich um, was Sie haben, mit welchen Dingen, die Ihnen wichtig sind für Weihnachten Sie schon fertig sind. Prüfen Sie, wie fühlt sich das an? Und dann setzen Sie sich mit Ihrer Familie an den Küchentisch und überlegen, worin Sie dieses Jahr „Fünfe gerade sein lassen“ wollen. Jeder in der Familie wird etwas beisteuern können, wir Eltern haben oft viel höhere Erwartungen an das „perfekte Familienweihnachten“ als die Kinder. Hören Sie mal hin, was den Kindern elementar wichtig ist und worin sie oft entspannter als wir Löwen-Eltern sind. Hören Sie hin, wenn Kinder Alternativen vorschlagen. Oft ist der Satz „Könnten wir nicht mal...“ der Hinweis auf etwas Neues, Anderes – in unserem uns wichtigen Rhythmus und unseren Gewohnheiten ist oft wenig Platz dafür. Lassen Sie „Fünfe gerade sein“ und schauen Sie, was sich daraus ergibt.
Das Kinderzimmer sieht aus, wie nach einem Wirbelsturm? Lassen Sie „Fünfe gerade sein“ und sammeln Sie mit dem Kind zusammen einfach nur die Wäsche ein. Über den Schreibtisch hängen Sie einen leuchtenden Weihnachtsstern und legen eine Kinder-Weihnachts-CD ein. Setzen Sie sich einen Moment zusammen hin und betrachten den Stern – sieht er nicht schön aus? Was könnte er uns erzählen, wenn er sprechen könnte?
Fünfe gerade sein lassen bedeutet nicht, nachlässig zu sein oder empfindungslos. Fünfe gerade sein lassen bedeutet, sich auf Wesentliches Wertvolles zu fokussieren und es wertzuschätzen. Es bedeutet, zu prüfen, was uns wirklich wichtig ist. In einer Pandemie, in der wir zum zweiten Mal ein unsicheres Weihnachten feiern werden, ist das wesentlicher denn je, um gut durch diese Zeit zu kommen – und sie vor allem für die Kinder dennoch zu einer Zauber- und Glitzerzeit zu machen.
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