Lesezeit: 4 Minuten

13. Türchen: Lass mich in Ruhe!

Mit Hereinbrechen der Pandemie und dem ersten Lockdown, der das Land herunterfuhr, rückten die Menschen schlagartig eng zusammen – gezwungenermaßen. Plötzlich musste alles zu Hause stattfinden und plötzlich waren alle immer zusammen. Das sind wir kaum gewohnt und ich kenne viele Situationen, in denen die Familie sich sehr schnell auf den Füßen herumtrat, sich im Weg stand, übereinander stolperte und mit der Situation schlecht etwas anfangen konnte. Übliche familiäre gemeinsame Zeiten kennen wir (oft) nur vom Wochenende und morgens/abends, sofern sich die beruflich-schulische Tagesstruktur der Familienmitglieder überschneidet.

Hinter anderen Türchen beschäftigten wir uns schon mit Struktur, Plänen, Evaluationen und Gesprächen in der Familie oder dem Erkennen von Bedürfnissen und Problemen. All dies hilft, die neue enge Situation zu bewältigen und zu organisieren.

Ein weiterer wichtiger Punkt soll hier zum Tragen kommen.

Jeder Mensch braucht Zeiten der Ruhe, des Alleinseins und des Zu-sich-kommens ebenso wie Zeiten sozialer Interaktion und Gemeinsamkeit. Jede Tagesbetreuung hat „Rückzugsecken“, in denen die Kinder (mehr oder weniger) zur Ruhe kommen können, wir genießen Momente, in denen jeweils der Rest der Familie „ausgeflogen“ ist und es in der Wohnung ganz still wird. Wir brauchen Zeiten, in denen wir tun können, was wir wollen (auch mal gar nichts) und Zeiten, in denen wir gefordert sind. Unsere Bedürfnisse beinhalten gesunderweise beides – das Alleinsein wie das Gemeinsamsein.

In Zeiten, in denen wir deutlich mehr gemeinsam sind und zudem noch berufliche, schulische und Freizeit-Dinge bewältigen müssen, wird es schnell (zu) eng. Bei allen Tipps, viele gemeinsame Unternehmungen und Aktivitäten in- wie outdoor zu machen, die uns positive und zusammenschweißende Momente vermitteln, so geht dieses Adventskalendertürchen auf ein anderes wichtiges Bedürfnis ein: das Alleinsein, das Mit-sich-sein-dürfen. Wir wechseln also die Perspektive und schauen auf die Bedürfnisse nach Rückzug und sozialer Erholung.

Schaffen Sie für jedes Familienmitglied Rückzugsmöglichkeiten. Nicht jede Familie hat für jedes Familienmitglied ein eigenes Zimmer, das macht es (räumlich) leichter, ist aber gar nicht nötig. Es reicht, einen Raum zeitenweise je einem Familienmitglied zur Verfügung zu stellen – bei gemeinsamen Kinderzimmern werden Zeiten festgelegt, in denen ein Kind den Raum (auch gerne bei geschlossener Tür) allein für sich nutzen darf – mit der wichtigen Regel, an die Sachen des anderen Kindes nicht dran gehen zu dürfen. Gleiches muss für Erwachsene gelten – auch wir Eltern brauchen Zeiten der Ruhe und des Rückzugs, die von den anderen Familienmitgliedern respektiert werden. Ist ein Raum nicht in Gänze dazu verfügbar, weil er doch zu jeder Zeit auch für andere Familienmitglieder nutzbar sein muss, so trennen Sie eine Ecke, eine Seite mit einem Vorhang, einem Raumteiler oder einem Regal ab und behandeln sie diesen Bereich wie einen Raum, der in den vereinbarten Zeiten des Rückzugs nicht tangiert werden darf. Am Günstigsten ist es natürlich, wenn solche Regeln schon immer zum familiären Alltag gehören, sie sind auch ohne Pandemie wichtiges Element familiären Zusammenlebens – so sind sie jetzt leichter umzusetzen.

Wenn Sie einen Plan zu Hause aufgehängt haben, in der Art, wie ich ihn in früheren Kalendertürchen empfohlen habe, tragen Sie dort für jedes Familienmitglied auch diese „für-sich-Zeiten“ ein. Das ist für alle dann wie ein Termin, den die anderen zu respektieren haben. Wechseln Sie die Perspektive und behandeln Sie diese Zeiten nicht wie eine Pause/Erholung zwischen anderen wichtigen Terminen, sondern werten Sie sie selbst auf zu einem wichtigen Termin. Passen Sie diese „Termine-mit-sich-selbst“ dem sonstigen Plan an – der Rückzugsraum sollte nicht durch dauerndes Hineinrennen anderer Familienmitglieder gestört werden, weil diese dringend etwas brauchen, was sich in dem Raum befindet. Behandeln Sie diese „Termine-mit-sich-selbst“ wie andere wichtige Termine, sie sollten den gleichen Stellenwert haben. Das bedarf einer ganzen Weile der Gewöhnung – das Gefühl, seine Für-sich-Zeit aber in der Familie als wertgeschätzten und respektierten „Termin“ zu empfinden, unterstützt die Kompetenzen, die wir brauchen, um möglichst schadlos durch diese Krise zu kommen. Und nach 2 Stunden für sich sein stürzt man sich meist gerne wieder ins Familiengetümmel, das Bedürfnis ist gestillt.

Je mehr man (wieder) außerhäusig machen darf/kann/will, umso lockerer kann man damit dann auch wieder umgehen, wobei diese Zeiten/Termine-mit-sich-selbst eigentlich immer im Familienalltag integriert sein sollten. Vielleicht fangen Sie JETZT mit dieser Methode an - und nehmen Sie mit in die Zeit nach der Pandemie.

Dir gefällt, was #Isabel Ruland schreibt?

Dann unterstütze #Isabel Ruland jetzt direkt: