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15. Türchen: Kann ich Ihnen helfen?
In Krisenzeiten regen sich im Menschen zwei Empfindungen: die Fokussierung auf das eigene Überstehen und das Zusammenstehen mit anderen Menschen. Wir wissen und spüren, dass alle Menschen von der Pandemie betroffen sind, in sehr unterschiedlichem Ausmaß.
Im ersten Lockdown entstanden plötzlich neue Hilfsprojekte für Menschen, die ganz besonders betroffen sind, bspw. für Obdachlose. Die Tafeln waren geschlossen, die Menschen, die sonst etwas in die hingehaltenen Becherchen in der Fußgängerzone legten, blieben zu Hause, die üblichen Unterstützungsmöglichkeiten brachen weg. Menschen erkannten das und strengten ein Hilfsprojekt an, das schnell viel Zulauf fand.
Es entstanden neue Nachbarschaftshilfen, Kooperationen mit besonders Schützenswerten, sogenannte sichere Bubbles von Familien, um den Kindern Spielmöglichkeiten und den Erwachsenen Entlastung zu ermöglichen. Ein lokaler Musiker fuhr durch die Stadt und hielt an Hunderten Stellen an, um seine Musik zu spielen, einfach so, auf der Straße. Die Menschen kamen heraus und hörten ihm zu. Eine kleine Gruppe aus einem Kinderchor zog im Sommer von Seniorenheim zu Seniorenheim oder in Wohneinheiten behinderter Menschen und sang draußen mit Abstand bekannte und beliebte Lieder. Die Bewohner standen am Fenster oder auf den Balkönchen oder kamen heraus und saßen im Sonnenschein – sie gingen „ins Konzert“. Kleine Leuchttürme in der Pandemie.
Die Pandemie ist für alle eine große Herausforderung – sehr viele Dinge sind anders zu organisieren, manches erscheint fast unmöglich. Die Kräfte sind nicht unendlich, die Belastungen dafür umso hartnäckiger. Die öffentliche Diskussion ist chaotisch wie kaum zuvor. Und ein Ende ist kaum absehbar. Es erscheint fast unmöglich, noch mehr Kräfte zu mobilisieren und neben der Familie auch noch anderen Zeit, Geld oder Aufmerksamkeit zu schenken.
Die Flutkatastrophe hat allerdings gezeigt, dass Menschen noch viel, viel mehr Kraft haben und dass wir Menschen auch ein Bedürfnis haben, zu helfen und zu unterstützen. Die hier aufgekommene Hilfsbereitschaft stellte alles in den Schatten. Beeindruckend.
Doch es muss gar nicht jeder Stiefel und Schaufel nehmen und an die Ahr fahren oder ein großes Unterstützungsprojekt anfahren. Auch nach fast zwei Jahren, in denen man sich „in der Pandemie“ irgendwie eingerichtet hat, dennoch am Rande der Erschöpfung entlang balanciert, lohnt sich eine kleine Kurskorrektur. Wie geht es der Nachbarin? Wann haben Sie das letzte Mal mit dem Mann gegenüber gesprochen? Sitzt der Obdachlose noch da, wo sie ihn immer gesehen haben? Braucht die Gemeinde noch Hilfe beim Einkaufsdienst für besonders gefährdete Menschen? Sie gehen doch sowieso einkaufen, fragen Sie herum, ob Sie etwas mitbringen können. Was macht Ihr Lieblingssupermarkt mit abgelaufenen Lebensmitteln, die noch verwendbar sind? Oft werden sie gespendet – macht das IHR Laden auch? Regen Sie es an (und haken Sie beim nächsten Einkauf nach). Hat die alleinerziehende Nachbarin Bedarf in der Kinderbetreuung? Gibt es an Ihrer Schule Kinder, die kostenlose Nachhilfe brauchen?
Man findet schier unerschöpfliche Möglichkeiten für jedes Zeit- oder Finanzbudget, sich in der Pandemie zu engagieren und für andere Menschen die Belastungen zu mindern.
Anderen zu helfen – und seien es nur kleine Dienste – kleines Geld – kleine Aufmerksamkeit – lösen in uns positive Gefühle aus. Wechseln Sie auch hier die Perspektive. Es erfüllt uns mit Zufriedenheit, wenn wir das tun, was unsere Natur ist: soziale Wesen sein. Ich schreibe diesen Adventskalender für SIE und habe auch SIE im Blick, wenn ich zu sozialem Engagement rate. Suchen Sie sich eine kleine NEUE soziale Tätigkeit, schauen Sie, wer in Ihrer Umgebung Hilfe gebrauchen könnte, spenden Sie selbstgemachte Marmelade an die Anlaufstelle für Gefährdete. Sitzt immer wieder der gleiche Mensch mit seinem Hund an der Ecke, an der Sie vorbeikommen? Bringen Sie ihm immer wieder eine Dose Hundefutter für seinen treuen vierbeinigen Freund und ihm selbst ein belegtes Brötchen und eine FFP2-Maske. Bieten Sie ein kleines Zeitbudget in der Gemeinde oder Schule Ihrer Kinder an – für Einkaufs- oder Nachhilfedienste.
Soziales Engagement kann wie ein Schneeball funktionieren – im Rollen wird er größer, bekommt größere Wirkung. Andere lassen sich anstecken. So entsteht ein größeres Netzwerk, in das Menschen aufgefangen werden. Die neuen Beziehungen, die Sie durch Ihr Engagement knüpfen und aufbauen, bereichern Sie. Neue Menschen, neue Sichtweisen, neue Erfahrungen. Und wir erkennen, dass jeder Mensch an anderer Stelle hilfsbedürftig ist, in Bereichen, die für uns „rund“ laufen.
Nehmen Sie Ihre Kinder mit ins Boot - nutzen Sie diese Möglichkeiten, Ihren Kindern beizubringen, dass wir als Gemeinschaft leben. Kinder sind unbefangen und selbstlos bereit, zu helfen - wenn Sie Ihnen das vermitteln und ermöglichen. Kinder können helfen, ein Blech Plätzchen zu backen für die örtliche Obdachlosen- oder Seniorenhilfe und sie in hübsche Tütchen verpacken. Sie können jeden Tag bei der Nachbarin klingeln und fragen, ob sie etwas brauche (und den Bedarf natürlich Ihnen übermitteln). Sie können...
Je mehr wir in uns emotional zulassen, dass in unserem direkten Lebensumfeld Menschen sind, die bislang unter unserem Radar gelaufen sind, sie bemerken und ihnen Aufmerksamkeit schenken, umso mehr fühlen wir uns selbst eingebunden in menschliche Gemeinschaft und Verantwortung. Den großen Spruch der Politik in der Pandemie – diese Krise bewältigen wir nur gemeinsam – können Sie in Ihrem kleinen Lebensumfeld, in Ihrem Viertel, Ihrer Stadt, Ihrer Schule oder Gemeinde, allein schon in Ihrem nachbarschaftlichen Umfeld mit warmem Leben füllen. Genießen Sie diese Wärme.
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