In diesen schwierigen Zeiten sehe ich es als meine Pflicht an, meine Mitbürger auf eine mögliche und ergiebige Quelle zusätzlichen Einkommens aufmerksam zu machen:

Werden Sie ein Scharlatan!

Ihre wirtschaftlichen Nöte sind dann Vergangenheit. Um dieses Ziel zu erreichen, schlage ich ein schrittweises Vorgehen vor. Folgen Sie meinen 9 Instruktionen, und nichts kann schief gehen.

1. Erfinden Sie eine bizarre Therapie und geben Sie ihr einen fantastischen Namen

Leider ist dieser erste aber entscheidende Schritt nicht so ganz einfach. Die meisten wirklich verrückten Ideen entpuppen sich als vergriffen:

Alles prima Optionen, bei denen Ihnen schon jemand zuvor gekommen ist. Als waschechter Scharlatan wollen Sie natürlich Ihre ureigene Quacksalberei. Also müssen Sie sich etwas Neues einfallen lassen.

Etwas wirklich "Abgefahrenes" wäre ideal, wie z.B. die Behauptung, dass das Ohr eine Landkarte des menschlichen Körpers ist, die es Ihnen erlaubt, alle Krankheiten zu behandeln, indem Sie das Ohr an einer bestimmten Stelle punktieren - hoppla, dieses Konzept ist bereits von der Ohrakupunktur-Brigade besetzt (Ear-acupressure for smoking cessation? False claims by dishonest therapists (edzardernst.com)). Wie wäre es dann mit dem Postulat, dass Sie übernatürliche Kräfte besitzen, die es Ihnen ermöglichen, "Heilenergie" in den Körper des Patienten zu schicken, damit er sich selbst reparieren kann? Auch nicht gut: Reiki-Fans könnten Sie des Plagiats bezichtigen (Reiki = nonsense on stilts (edzardernst.com)).

Aber sicher haben Sie das Wesentliche begriffen. Wenn Sie etwas Passendes gefunden haben, geben Sie Ihrer ureigenen Therapie einen einprägsamen Namen. Der Name ist wichtig, er kann über Erfolg oder Misserfolg Ihrer neuen Karriere entscheiden.

2. Erfinden Sie eine atemberaubende Geschichte

Wenn Sie Ihre ureigene Therapieform und einen fantastischen Namen dafür gefunden haben, brauchen Sie eine gute Geschichte, die eindrücklich erklärt, wie es zu all dem kam. Dies ist nicht allzu schwer und könnte sogar Spaß machen. Sie könnten sich etwas Rührendes ausdenken, wie z. B. dass Sie Ihre todkranke kleine Schwester im Alter von 6 Jahren mit Ihrem Verfahren geheilt haben, oder dass Sie die Inspiration im Traum von einer alten Tante erhalten haben, die gerade verstorben war, oder vielleicht wollen Sie irgendeine religiöse Verbindung herstellen [waren Sie jemals in Lourdes?]. Ihrer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt; sorgen Sie nur dafür, dass die Geschichte wirklich packend ist - eines Tages wird man vielleicht ein Film daraus machen.

3. Fügen Sie eine Prise Pseudo-Wissenschaft hinzu

Ob Sie es mögen oder nicht, aber wir leben in Zeiten, in denen wir die Wissenschaft nicht völlig aus unseren Überlegungen ausschließen können. Daher empfehle ich Ihnen, sich einen kleinen Hauch wissenschaftlicher Terminologie anzueignen. Da Sie in Ihrer Unkenntnis nicht enttarnt werden wollen, wählen Sie etwas, das nur wenige Mitbürger verstehen; Quantenphysik, Chaostheorie oder Nanotechnologie sind alles hervorragende Optionen.

Gut wäre auch, wenn Sie andeuten könnten, dass  echte Wissenschaftler Ihre Konzepte bewundern, oder dass diverse Teams an Spitzen-Universitäten an den zugrundeliegenden Mechanismen Ihres Verfahrens arbeiten, oder dass das Nobelkomitee kürzlich auf Sie aufmerksam wurde. Wenn irgend möglich, fügen Sie Ihrer neuen Erfindung ein bisschen Hightech hinzu; ein paar glänzende neue Apparate mit blinkenden Lichtern und digitalen Anzeigen könnten genau das Richtige sein. Der Apparat kann ruhig völlig leer sein - solange er beeindruckend aussieht, ist alles in Ordnung.

4. Vergessen Sie nicht eine gute Dosis alter Weisheiten

Bei all der Wissenschaft - pardon, Pseudo-Wissenschaft - dürfen Sie nicht vergessen, fest in der Tradition verankert zu bleiben. Ihre Behandlungsweise sollte möglichst auf uralten Weisheiten beruhen, die Sie wiederentdeckt, modifiziert und perfektioniert haben. Ich empfehle zu erwähnen, dass einige der ältesten Kulturen des Planeten bereits die elementaren Faktoren Ihres Verfahrens kannten. Alles, was alt ist, hat den Test der Zeit bestanden; und das bedeutet, dass Ihre Behandlung automatisch sowohl als effektiv als auch ungefährlich akzeptiert wird.

5. Behaupten Sie, ein Allheilmittel erfunden zu haben

Um Ihr Einkommen effektiv zu maximieren, wollen Sie natürlich so viele Kunden wie möglich haben. Es wäre daher unklug, Ihre Bemühungen auf nur ein oder zwei Erkrankungen zu fokussieren. Es ist besser, wenn Sie ohne Umschweife behaupten, dass Ihre Behandlung ein Heilmittel für einfach alles ist, ein Allheilmittel also. Machen Sie sich keine Sorgen über die fehlende Plausibilität einer solchen Behauptung. In der Quacksalberei ist es üblich, ausgefallene Behauptungen aufzustellen.

6. Umgang mit den fiesen Skeptikern

Es ist deprimierend, ich weiß, aber selbst der begnadetste Scharlatan wird unweigerlich Zweifler anziehen. Diese unverbesserlichen Skeptiker werden Sie früher oder später nach Belegen fragen; in der Tat sind sie davon besessen. Aber keine Panik - das ist keineswegs so bedrohlich, wie es anfangs vielleicht scheint. Die offensichtlichste Lösung ist, ein Testimonial nach dem anderen zu publizieren.

Was Sie brauchen, ist eine Website, auf der zufriedene Kunden eindrucksvoll berichten, wie Ihre grandiose Therapie ihnen das Leben gerettet hat. Falls Sie solche Kunden nicht haben, erfinden Sie sie; im Reich der Quacksalberei gibt es ein wichtiges Prinzip: Die Wahrheit darf niemals einer guten Geschichte im Weg stehen.

7. Zeigen Sie, dass Sie sich mit Statistik auskennen

Einige der Skeptiker werden womöglich nicht beeindruckt sein. Wenn sie anfangen, Ihre "Belege" zu bemängeln, dann müssen Sie die Extrameile gehen. Die Statistik bietet viele Möglichkeiten, um die ewigen Neinsager in Schach zu halten, zumindest für eine Weile. Der Konsens unter Scharlatanen ist, dass rund 70 % ihrer Patienten einen signifikanten Nutzen von jedem Placebo erfahren, das sie ihnen vorsetzen. Mein Rat ist, diesen Prozentsatz zu überbieten und eine Fallserie von mindestens 5000 Patienten vorzulegen, von denen exakt 76,53 % hervorragende Verbesserungen zeigten.

Was? Sie haben keine solche Fallserie? Seien Sie bitte nicht so verklemmt, seien Sie erfinderisch!

8. Punkten Sie mit ‚Big Pharma’

Sie müssen sich darüber im Klaren sein, wer Ihre (zukünftigen) Kunden sind: Sie sind wohlhabend, hatten eine gute Schulbildung (offensichtlich ohne großen Erfolg) und sind mittleren Alters, leichtgläubig und zutiefst alternativ. Denken Sie an Prinz Charles! Wenn Sie sich erst einmal in diese Mentalität eingefühlt haben, liegt es auf der Hand, dass Sie sich gewinnbringend in die konspiratorische Denkweise einklinken können, die diese Menschen beseelt.

Ein einfacher Weg, dies zu erreichen, ist zu behaupten, dass ‚Big Pharma‘ von Ihrer Innovation Wind bekommen hat, nunmehr Angst um Millionen- Gewinne hat, und deshalb alles tut, um Sie und Ihr Verfahren nieder zu knüppeln. Das verschafft Ihnen nicht nur Ansehen unter Ihren Scharlatan-Kollegen, sondern liefert auch eine perfekte Erklärung dafür, warum Ihre bahnbrechende Entdeckungen nicht in den Top-Journalen der Medizin veröffentlicht wurden: Die Herausgeber stecken natürlich alle in den Taschen von ,Big Pharma‘.

9. Verlangen Sie Geld, viel Geld

Den wichtigsten Schritt zu echten Scharlatanerie habe ich für den Schluss aufgehoben; denken Sie immer daran: Ihr Ziel ist es, reich zu werden! Verlangen Sie also hohe Honorare, sogar extravagant hohe. Wenn es sich bei Ihrer Behandlung um ein Produkt handelt, das Sie verkaufen können (z.B. über das Internet, um den Behörden zu entgehen), verkaufen Sie es teuer; wenn es sich um eine Dienstleistung handelt, verlangen Sie hohe Summen und beanspruchen Sie Exklusivität; wenn es sich um eine lehrbare Behandlungstechnik handelt, bilden Sie andere Therapeuten zu hohen Gebühren aus und verlangen Sie einen Franchise-Anteil an deren zukünftigen Einnahmen.

Überhöhte Preise sind Ihre beste Chance, bekannt zu werden - oder haben Sie schon einmal von einem Scharlatan gehört, der dafür berühmt wurde, weil er preiswert war?  Teuer zu sein hat den zusätzlichen Vorteil, dass Sie so den Pöbel los werden, den Sie auf keinen Fall in Ihrer Praxis sehen wollen. Arme Leute sind womöglich sogar krank! Und wenn jemand krank ist, dann braucht er doch eine wirksame Behandlung! Nein, solche Leute wollen Sie nicht; Sie wollen die betuchten Gesunden, die es sich leisten können, einen richtigen Arzt aufzusuchen, sobald etwas schiefgehen sollte.

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