Man könnte denken, dass die wahre menschliche Kreativität in den Beleidigungen liegt. Seit Jahrtausenden finden wir immer neue Wege, unsere Mitmenschen zu denunzieren, zu beleidigen und zu verletzen. Jedoch schon bei näherer Betrachtung fällt auf, dass wir da gar nicht so kreativ sind. Kategorisiert man die Begriffe merkt man schnell, dass es vorrangig eine Art gibt, wie ich Menschen beleidigen will. Es geht um den Ausschluss aus dem sozialen Gebilde: Oft vergleicht man mit Menschen, die einer marginalisierten Gruppe angehören, um ihren Wert zu mindern: „Mongo“, „Hure“, „Bastard“, „Penner“. Ich teile dem Gegenüber nur eine Eigenschaft komplexer Begriffe zu: Du weichst von der Norm ab. Ob es dabei um die Intelligenz, Berufstätigkeit oder die Geburt geht, ist völlig gleich, denn im Vordergrund steht die Isolation. Ein Schwerpunkt dieser Form des Ausgrenzens: die Hygiene. Immer wieder beziehen wir uns auf „Arschloch“, „Schwein“, „Fotze“ (im ursprünglichen Sinne unrein, da mit der Periode verknüpft), „Miststück“ oder „Wichser“ und „Pisser“. Die Assoziation mit unreinen Formen des Alltags führt zu einer Entwertung durch Ekel vor Schmutz.
Zum Glück hat sich unsere Gesellschaft ein Stück entwickelt – lange noch nicht da, wo ich hin will - und Masturbation, uneheliche Kinder oder Obdachlosigkeit werden von der Mehrheit nicht mehr als Schande des Charakters wahrgenommen, sondern sind entweder Alltag oder soziale Herausforderungen, die es zu lösen gilt. Dennoch schmerzen diese Begriffe oft, weil die Intention dahinter deutlich wird. In Anbetracht der Tatsache, dass wir niemals wirklich abschätzen können, wie sehr Beleidigungen schmerzen, kränken und seelische Narben hinterlassen, ist es unsere Pflicht, viel sorgsamer und bewusster damit umzugehen. Ein erster Schritt ist das Verhindern des inflationären Gebrauchs. Wertschätzende Kommunikation beginnt damit, dass wir uns nicht ständig verletzen.
Des Weiteren möchte ich dafür plädieren, von nun an mehr Kreativität an den Tag zu legen und sich bewusst zu machen, was man da eigentlich sagt. Wir müssen davon abrücken, Menschen zu beleidigen. Möglich ist das, indem wir die Funktion der Kritik erweitern – und dann den individuellen Akt bewerten, statt unterdrückte Gruppen als unmoralischen Vergleichspunkt heranzuziehen. Sollte ich bei Mitmenschen feststellen, dass bestimmte Verhaltensweisen in meinen Augen problematisch sind, kann ich darauf hinweisen, ohne zu beschimpfen. Fühle ich mich betrogen, so muss ich das nicht auf „Schlampen“, „Huren“, „Hurensöhne“ oder sonst was verweisen, sondern kann die Unehrlichkeit in den Mittelpunkt stellen. „Du hast mich belogen“ trifft den individuellen Kern der Sache viel eher. Statt Obdachlose oder hilflose Tiere heranzuziehen, beurteile ich eine Situation vielleicht mit: „Das war sehr empathielos.“
Ich benutze empathielos immer mal wieder, aber wie oft „beleidigen“ wir Menschen damit? Es fühlt sich nicht so effektiv an, wie es die vorherigen Beispiele erscheinen, denn traurigerweise schließt Empathielosigkeit nicht so effektiv aus. Um diesem frustrierenden Statement etwas Wirkungsvolles entgegenzusetzen, fordere ich einen sensiblen Umgang mit der Sprache, indem wir individuelles Fehlerverhalten viel stärker in den Mittelpunkt rücken, statt ganze Gruppen von Menschen abzuwerten. Das ist mal eine kreative Herausforderung, mit der wir uns beschäftigen sollten.
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