Kinder und Jugendliche gehören zu den großen Verlierern der aktuellen Regierungspolitik. Es ist höchste Zeit, dass wir uns auf dem Wahlzettel mit den Jüngsten solidarisieren.
Kaum hatte Gesundheitsminister Jens Spahn das böse Wort „Wechselmodell“ in den Mund genommen, hagelte es von allen Seiten Kritik. Schnell ruderte er zurück, um die gute Stimmung vor der Bundestagswahl nicht zu verderben. Doch wir sollten uns nichts vor machen. Während mit der Impfung für die meisten Erwachsenen Licht am Ende des Corona-Tunnels scheint, müssen sich Kinder und Jugendliche auf ein weiteres Schuljahr unter Pandemie-Bedingungen einstellen. Das bedeutet nicht nur Abstands- Masken- und Testpflichten, sondern selbstverständlich auch Wechsel- und Distanzunterricht. Zudem ist ein erneuter Schul-Lockdown nicht ausgeschlossen, wenn die vierte Welle mit der neuen Corona-Variante auf Deutschland trifft.
Bildungspolitik mit der Ausstrahlung eines alten Waschlappens
Nach wie vor gibt es für Kinder und Jugendliche keine Antwort auf die Frage, wie Lernen und Leben unter Corona-Bedingungen gelingen kann. Seit nun eineinhalb Jahren hangeln sich Familien von einer Schulschließung zur nächsten, ohne Aussicht auf ein Ende der Hängepartie. Noch immer sind Schulen weder flächendeckend mit Luftfiltern ausgestattet, noch gibt es ein einheitliches digitales Lernkonzept oder genügend Personal. Jedes Bundesland kocht nach wie vor sein eigenes Bildungssüppchen, in der wiederum jede Schule ihr eigenes Rezept besitzt. Ob der Unterricht am Ende gelingt oder völlig in die Hose geht, hängt nicht zuletzt vom Engagement der SchulleiterInnen und LehrerInnen ab. Eine generelle Qualitätskontrolle für Schulen gibt es nicht. Weder haben sich Lehrpläne noch Bewertungssysteme an die Corona-Bedingungen angepasst. Allein die Menschen müssen sich anpassen. Dabei wird der Status Quo vor allem auf dem Rücken der Mütter aufrechterhalten, die sich zwei, drei und manchmal auch vierteilen müssen. Kinder aus Familien, die diesen Belastungen nicht standhalten können, haben schließlich das Nachsehen. Obwohl sie keinerlei Einfluss haben, tragen am Ende die Kinder die Verantwortung für eine verfehlte Schulpolitik.
Indes ist die Pandemie für die BildungsministerInnen bereits offiziell beendet. "Aufholen nach Corona" lautet das Aktionsprogramm für einkommensschwache Familien. Lerndefizite sollen mit Nachhilfeunterricht in den Sommerferien ausgeglichen werden. „Belastete“ Familien mit geförderten Familienfreizeiten wieder fit gemacht werden. Ausgeruht und aufgeholt geht der Zirkus dann im Herbst in die vierte Runde. Von einer nachhaltigen Lösung kann keine Rede sein. Warum zum Teufel wird dieses Geld nicht in die Einrichtungen gesteckt? Endlich umfangreich in Personal und Ausstattung investiert? Um Schulen und Kindergärten möglichst krisenfest auszurüsten? Damit ein „Aufholen“ in Zukunft nicht mehr nötig ist. Es ist auch nicht so, als ob in den letzten Jahren an dieser Stelle besonders viel Geld ausgegeben wurde. Das rächt sich jetzt. Doch statt Fehler zu korrigieren und die Probleme bei der Wurzel zu packen, werden weiterhin nur Symptome behandelt. Diese ideen-, mut- und phantasielose Bildungspolitik hat die Ausstrahlung eines alten Waschlappens. Liegt es am Unwillen der Verantwortlichen oder fehlt es ihnen einfach an Kreativität, weshalb seit Jahrzehnten nichts voran geht? Oder liegt es vielleicht daran, dass SchülerInnen nicht gerade zur Kernwählerschaft der Parteien gehören?
Politische Ignoranz gegenüber Familien und der Jugend
Das zeigt sich auch im Umgang mit der Fridays for Future Bewegung und anderen jungen politisch engagierten Menschen. Das absolut berechtigte Anliegen auf eine lebenswerte Zukunft, wird arrogant belächelt und als unrealistische Forderung abgetan. Völlig absurd wird es, wenn die Bewahrung unserer Lebensgrundlage als „linke Ideologie“ bezeichnet wird und ihre Zerstörung als „wirtschaftlich“. Dabei weigern sich die Damen und vor allem Herren anzuerkennen, dass der neoliberale Kapitalismus selbst eine Ideologie ist, die inzwischen ihren Zenit überschritten hat. Unbegrenzter Reichtum auf der einen Seite, bedeutet eben auch unbegrenzte Ausbeutung auf der anderen Seite. Mit verheerenden Folgen für Mensch und Natur. Noch immer denken viele Menschen, es könne noch Jahrzehntelang so weiter gehen. Entweder sie leugnen, dass es überhaupt ein Problem mit unserem Klima gibt. Oder sie tun so, als ob gerade in der Wirtschaftslogik des „Immer-Mehr“ die Lösung für die Klimafrage liegt. Doch damit schieben sie lediglich ihre eigene Verantwortung auf zukünftige Generationen. Das ist nicht nur unfair, sondern vor allem ein Zeichen der Ignoranz gegenüber unseren Kindern.
Diese Ignoranz finden wir nicht nur bei der Klimadebatte und in der verfehlten Bildungspolitik. Schon vor Corona wurden die Interessen von Kindern und die Bedürfnisse von Familien kaum in den Fokus der Politik genommen. Während die Anforderungen an Kinder und junge Erwachsene durch G8 und Hochschulreformen stetig gestiegen sind, werden Freizeit- und Kulturangebote immer dünner. Dazu passt, dass Kinderrechte noch immer nicht im GG verankert sind. Bei der Familienpolitik wird der Takt von Wirtschaftsinteressen vorgegeben und nicht danach, was Familien tatsächlich brauchen. Dabei versteht es die Politik besonders gut, Mütter komplett zu übersehen. Wie sollen Kinder in Zukunft zur Welt kommen, wenn es weder Geburtsstationen noch Hebammen für werdende Mütter gibt? Was bringt ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, wenn es weit und breit keine Betreuungsplätze und viel zu wenig ErzieherInnen gibt? Wie sollen Mütter sich selbst und ihre Kinder vor Missbrauch und Gewalt schützen, wenn es weder staatliche Unterstützung, noch Plätze im Frauenhaus gibt? Wie sollen Mütter finanziell unabhängig sein, wenn sie nach der Geburt am Arbeitsplatz diskriminiert werden? Wie sollen sie gleichberechtigt leben, wenn das Steuer- und Arbeitsmarktsystem dies kaum zulässt? Wie sollen Mütter, gute Mütter sein, wenn sie permanent überlastet sind? Bei diesen Aussichten brauchen sich Konservative nun wirklich nicht darüber zu empören, wenn Frauen unkomplizierte Schwangerschaftsabbrüche fordern.
Nur ein Politikwechsel kann die Wende bringen
Mit Corona und geschlossenen Bildungseinrichtungen verlässt sich die gesamte Gesellschaft auf die Belastbarkeit von Müttern und die Anpassungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen. Dass der Staat im Gegenzug Familien in Zukunft besser unterstützt, darauf sollten wir uns nicht verlassen. Symbolisch dafür ist, dass das Amt der Familienministerin nach dem Rücktritt von Franziska Giffey nicht nach besetzt, sondern lediglich in den Aufgabenbereich der Justizministerin überführt wurde. Bis eine neue Regierung steht, könnte insgesamt ein halbes Jahr vergehen, ohne dass sich daran etwas ändert. Die Demonstration der politischen Irrelevanz von Familieninteressen, hätte nicht deutlicher ausfallen können.
Ob die Interessen von Kindern, jungen Erwachsenen, Eltern und Großeltern in der neuen Regierung mehr berücksichtigt werden, bleibt abzuwarten. Dass sich die Haltung der aktuell regierenden Parteien nach der Bundestagswahl um 180 Grad ändert, ist allerdings äußerst unwahrscheinlich. Die Regierungsparteien hätten dagegen eine große Ohrfeige verdient, die ihnen noch Jahre später im Gehörgang schallt. Die Wahl muss ein Aufstand der Eltern und Großeltern sein, die viel zu lange schon nicht gehört und gesehen werden. Und auch aus der Gesamtbevölkerung muss jetzt das Signal kommen, dass es so nicht weiter geht. Dass es untragbar ist, von Kindern und Jugendlichen alles abzuverlangen und ihnen gleichzeitig Berge an Müll und einen erhitzten Planeten zu überlassen. Karlsruhe hat entschieden, dass eine Politik auf dem Rücken der nächsten Generation mit unserer Verfassung nicht vereinbar ist. Unsere Kinder haben genauso ein Recht auf ein Leben in Würde und Freiheit, wie die Generationen vor ihnen. Sie haben ein Recht auf den Erhalt unserer Lebensgrundlage und ein intaktes Ökosystem. Mit der Bundestagswahl liegt es nun in unser aller Verantwortung, den Weg für den Politikwechsel frei zu machen. In diesem Jahr machen wir unser Kreuz nicht für uns, sondern für unsere Kinder und ihre Zukunft. Wir sind es ihnen schuldig.
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