Kinder und Jugendliche gehören zu den großen Verlierern der aktuellen Regierungspolitik. Es ist höchste Zeit, dass wir uns auf dem Wahlzettel mit den Jüngsten solidarisieren.

Wo würden Kinder ihr Kreuz setzen, wenn sie im Herbst die Wahl hätten? (Quelle: Pexels/Pixabay)

Kaum hatte Gesundheitsminister Jens Spahn das böse Wort  „Wechselmodell“ in den Mund genommen, hagelte es von allen Seiten Kritik. Schnell ruderte er zurück, um die gute Stimmung vor der Bundestagswahl nicht zu verderben. Doch wir sollten uns nichts vor machen. Während mit der Impfung für die meisten Erwachsenen Licht am Ende des Corona-Tunnels scheint, müssen sich Kinder und Jugendliche auf ein weiteres Schuljahr unter Pandemie-Bedingungen einstellen. Das bedeutet nicht nur Abstands- Masken- und Testpflichten, sondern selbstverständlich auch Wechsel- und Distanzunterricht. Zudem ist ein erneuter Schul-Lockdown nicht ausgeschlossen, wenn die vierte Welle mit der neuen Corona-Variante auf Deutschland trifft.

Bildungspolitik mit der Ausstrahlung eines alten Waschlappens

Nach wie vor gibt es für Kinder und Jugendliche keine Antwort auf die  Frage, wie Lernen und Leben unter Corona-Bedingungen gelingen kann.  Seit nun eineinhalb Jahren hangeln sich Familien von einer  Schulschließung zur nächsten, ohne Aussicht auf ein Ende der  Hängepartie. Noch immer sind Schulen weder flächendeckend mit  Luftfiltern ausgestattet, noch gibt es ein einheitliches digitales  Lernkonzept oder genügend Personal. Jedes Bundesland kocht nach wie vor sein eigenes Bildungssüppchen, in der wiederum jede Schule  ihr eigenes Rezept besitzt. Ob der Unterricht am Ende gelingt oder völlig in die Hose geht, hängt nicht zuletzt vom Engagement der  SchulleiterInnen und LehrerInnen ab. Eine generelle Qualitätskontrolle  für Schulen gibt es nicht. Weder haben sich Lehrpläne noch  Bewertungssysteme an die Corona-Bedingungen angepasst. Allein die Menschen müssen sich anpassen. Dabei wird der Status Quo vor allem auf dem Rücken der Mütter  aufrechterhalten, die sich zwei, drei und manchmal auch vierteilen  müssen. Kinder aus Familien, die diesen Belastungen nicht standhalten können, haben schließlich das Nachsehen. Obwohl sie keinerlei Einfluss haben, tragen am Ende die Kinder die Verantwortung für eine verfehlte Schulpolitik.

Indes ist die Pandemie für die BildungsministerInnen bereits offiziell beendet. "Aufholen nach Corona" lautet das Aktionsprogramm für einkommensschwache Familien. Lerndefizite sollen mit Nachhilfeunterricht in den Sommerferien ausgeglichen werden. „Belastete“ Familien mit geförderten Familienfreizeiten wieder fit gemacht werden. Ausgeruht und aufgeholt geht der Zirkus dann im Herbst in die vierte Runde. Von einer nachhaltigen Lösung kann keine Rede sein. Warum zum Teufel wird dieses Geld nicht in die Einrichtungen gesteckt?  Endlich umfangreich in Personal und Ausstattung investiert? Um Schulen  und Kindergärten möglichst krisenfest auszurüsten? Damit ein „Aufholen“ in Zukunft nicht mehr nötig ist. Es ist auch nicht so, als ob in den  letzten Jahren an dieser Stelle besonders viel Geld ausgegeben wurde.  Das rächt sich jetzt. Doch statt Fehler zu korrigieren und die Probleme  bei der Wurzel zu packen, werden weiterhin nur Symptome behandelt. Diese  ideen-, mut- und phantasielose Bildungspolitik hat die Ausstrahlung  eines alten Waschlappens. Liegt es am Unwillen der Verantwortlichen oder  fehlt es ihnen einfach an Kreativität, weshalb seit Jahrzehnten nichts  voran geht? Oder liegt es vielleicht daran, dass SchülerInnen nicht  gerade zur Kernwählerschaft der Parteien gehören?

Politische Ignoranz gegenüber Familien und der Jugend

Das zeigt sich auch im Umgang mit der Fridays for Future Bewegung und  anderen jungen politisch engagierten Menschen. Das absolut berechtigte Anliegen auf eine lebenswerte Zukunft, wird arrogant belächelt und  als unrealistische Forderung abgetan. Völlig absurd wird es, wenn die  Bewahrung unserer Lebensgrundlage als „linke Ideologie“ bezeichnet wird und  ihre Zerstörung als „wirtschaftlich“. Dabei weigern sich die Damen und vor allem Herren anzuerkennen, dass der neoliberale Kapitalismus selbst eine  Ideologie ist, die inzwischen ihren Zenit überschritten hat.  Unbegrenzter Reichtum auf der einen Seite, bedeutet eben auch  unbegrenzte Ausbeutung auf der anderen Seite. Mit verheerenden Folgen für Mensch und Natur. Noch immer denken viele Menschen, es könne noch Jahrzehntelang so weiter gehen.  Entweder sie leugnen, dass es überhaupt ein Problem mit unserem Klima gibt. Oder sie tun so, als ob gerade in der Wirtschaftslogik des „Immer-Mehr“ die Lösung für die Klimafrage liegt. Doch damit schieben sie lediglich ihre eigene  Verantwortung auf zukünftige Generationen. Das ist nicht nur unfair, sondern vor allem ein Zeichen der Ignoranz gegenüber unseren Kindern.

Diese Ignoranz finden wir nicht nur bei der Klimadebatte und in der verfehlten Bildungspolitik. Schon vor Corona wurden die Interessen von  Kindern und die Bedürfnisse von Familien kaum in den Fokus der Politik  genommen. Während die Anforderungen an Kinder und junge Erwachsene durch  G8 und Hochschulreformen stetig gestiegen sind, werden Freizeit- und  Kulturangebote immer dünner. Dazu passt, dass Kinderrechte noch immer  nicht im GG verankert sind. Bei der Familienpolitik wird der Takt von Wirtschaftsinteressen vorgegeben und nicht danach, was Familien  tatsächlich brauchen. Dabei versteht es die Politik besonders gut,  Mütter komplett zu übersehen. Wie sollen Kinder in Zukunft zur Welt  kommen, wenn es weder Geburtsstationen noch Hebammen für werdende Mütter  gibt? Was bringt ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, wenn es weit  und breit keine Betreuungsplätze und viel zu wenig ErzieherInnen gibt?  Wie sollen Mütter sich selbst und ihre Kinder vor Missbrauch und Gewalt  schützen, wenn es weder staatliche Unterstützung, noch Plätze im  Frauenhaus gibt? Wie sollen Mütter finanziell unabhängig sein, wenn sie nach der Geburt am Arbeitsplatz diskriminiert werden? Wie sollen sie  gleichberechtigt leben, wenn das Steuer- und Arbeitsmarktsystem dies kaum zulässt?  Wie sollen Mütter, gute Mütter sein, wenn sie permanent  überlastet sind? Bei diesen Aussichten brauchen sich Konservative nun  wirklich nicht darüber zu empören, wenn Frauen unkomplizierte  Schwangerschaftsabbrüche fordern.

Nur ein Politikwechsel kann die Wende bringen

Mit Corona und geschlossenen Bildungseinrichtungen verlässt sich die  gesamte Gesellschaft auf die Belastbarkeit von Müttern und die Anpassungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen. Dass der Staat im Gegenzug Familien in Zukunft besser unterstützt, darauf sollten wir uns nicht verlassen. Symbolisch dafür ist, dass das Amt der Familienministerin nach dem Rücktritt von Franziska Giffey nicht nach  besetzt, sondern lediglich in den Aufgabenbereich der Justizministerin überführt wurde. Bis eine neue Regierung steht, könnte insgesamt ein halbes Jahr vergehen, ohne dass sich daran etwas ändert. Die Demonstration der politischen Irrelevanz von Familieninteressen, hätte nicht deutlicher ausfallen können.

Ob die Interessen von Kindern, jungen Erwachsenen, Eltern und Großeltern in der neuen Regierung mehr berücksichtigt werden, bleibt abzuwarten. Dass sich die Haltung der aktuell regierenden Parteien nach der Bundestagswahl um 180 Grad ändert, ist allerdings äußerst unwahrscheinlich. Die Regierungsparteien hätten dagegen eine große Ohrfeige verdient, die ihnen noch Jahre später im Gehörgang schallt. Die Wahl muss ein  Aufstand der Eltern und Großeltern sein, die viel zu lange schon nicht gehört und gesehen werden. Und auch aus der Gesamtbevölkerung muss jetzt  das Signal kommen, dass es so nicht weiter geht. Dass es untragbar ist, von Kindern und Jugendlichen alles abzuverlangen und ihnen gleichzeitig  Berge an Müll und einen erhitzten Planeten zu überlassen. Karlsruhe hat  entschieden, dass eine Politik auf dem Rücken der nächsten Generation  mit unserer Verfassung nicht vereinbar ist. Unsere Kinder haben genauso  ein Recht auf ein Leben in Würde und Freiheit, wie die Generationen vor ihnen. Sie haben ein Recht auf den Erhalt unserer Lebensgrundlage und ein intaktes Ökosystem. Mit der Bundestagswahl liegt es nun in unser aller Verantwortung, den Weg für den Politikwechsel frei zu machen. In diesem  Jahr machen wir unser Kreuz nicht für uns, sondern für unsere Kinder und ihre Zukunft. Wir sind es ihnen schuldig.

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