Der Besuch von Xi Jinping ist in den westlichen Medien, vor allem der erweiterten Boulevard-Landschaft die inzwischen den öffentlichen Diskurs weitgehend bestimmt, so ziemlich untergegangen. Dies scheint weniger daran zu liegen, dass diese Nachricht wenig Bedeutung hätte, als dass sie gerade nicht im öffentlichen Diskurs präsent gemacht werden möchte. Denn der fürstliche Empfang den das Königshaus Saudi Arabiens dem chinesischen Machthaber bereitet hat, sogar mit Anwesenheit des greisen Königs, kontrastiert mit der nüchternen Begrüssung die Joe Biden vor ein Paar Wochen bei seinem Besuch bekam. Das Bild, das sich abzeichnet, ist von grosser geopolitischer Transzendenz: Die Verschiebung der Golfstaaten als einstige US-Verbündete in Richtung Osten.
Diese geopolitischen Auswirkungen werden anderswo (u.a. bei The Duran) bereits tiefgründig analysiert. Der Eindruck der aus mitteleuropäischer Sicht allerdings entsteht, ist dass der graduale Verlust von Bündnissen, von diplomatischen Beziehungen und damit auch von globalem Einfluss ohne grössere Reaktion akzeptiert wird. Das Bewusstsein, dass der europäische Wohlstand im postkolonialen Zeitalter weitgehend auf diesen Beziehungen und diesem Einfluss gebaut wurde, wodurch das notorisch ressourcenarme Europa die Energie und Rohstoffe sichern konnte, die es benötigte, scheint, ganz im Sinne von „der Strom kommt aus der Steckdose und das Essen aus dem Supermarkt“, vollkommen abhanden gekommen zu sein. Das, oder aber eine Mehrheit ist gut und gerne bereit, einen grassierenden Wohlstandverlust hinzunehmen, wenn es im Namen höherer moralischer Ideale ist.
Der Westen steht vor dem Scheideweg, ob er in Zukunft seinen Wohlstand erhalten will, oder ob er seinen noch vorhandenen Kredit an Einfluss dafür verprassen möchte, in fernen Ländern die Moralpolizei zu spielen. Oder, besser gesagt, steht Europa vor der Frage, ob es sich als Speerspitze für die aufziehende US-Amerikanische Autarkie-Politik, welche die USA im Gegensatz zu Europa problemlos implementieren können, ausnutzen lassen möchte, oder ob die europäischen Staaten sich ihre Mündigkeit zurück erkämpfen möchten. Dies ist natürlich keineswegs eine einfache Entscheidung, da es sich zeigt wie sehr vor allem die EU-Staaten von den USA abhängig geworden sind, insbesondere bezüglich der militärischen Verteidigung. Westeuropa hat sich Jahre lang auf dem Schutz der NATO, gleichbedeutend mit der US-Armee, ausruhen können, kann sich jetzt aber nicht von den Amerikanern abwenden, ohne sich gegenüber der erneuten Instabilität exponiert zu finden. Dass sich fast alle europäischen Staaten auf die eine oder andere Art in den Ukraine-Konflikt haben einspannen lassen, wodurch sie sich ohne jeglichen Sinn und Zweck, ausser eben der moralischen Überlegenheit, einen mächtigen Feind gemacht haben, verstärkt diese Beziehung der Abhängigkeit, und lässt die Frage zu, inwiefern diese Situation womöglich mit Absicht heraufbeschworen wurde, um den Europäern keinen Ausweg zu lassen.
Der Zeitgeist in Europa ist derweil so weit von jeglicher Rationalität entfernt, dass keine pragmatische oder realpolitische Betrachtung im grossen Stil stattfindet. Wo die Lektion eigentlich sein müsste, ähnlich wie es die Schweiz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tat, sich aus Konflikten so weit es geht raus zu halten, und als oberste Priorität den eigenen Erhalt zu sichern, zumal Europa geopolitisch in einer ähnlichen Position steht wie die Schweiz gegenüber Europa, so ist die Reaktion stattdessen brav im Schlepptau der USA für diese die Statisten zu spielen, die in jeder noch so hirnrissigen Aktion nachziehen. So lange man es unter Vorwand von Moralpuritanismus der Bevölkerung verkaufen kann, wird auch diese es billigen, frierend und arbeitslos gegenüber der Halben Welt, nein, gar viel mehr als der Halben Welt, die Nase zu rümpfen, und sich in der eigenen Misere und Bedeutungslosigkeit etwas besseres zu meinen.