Es ist schade, dass oft nur im Winter das Thema Wohnungslosigkeit an Bedeutung gewinnt. Nichtsdestotrotz möchte ich den Moment ergreifen, um darauf aufmerksam zu machen. Im Juni 2019 wurde die Zahl der Menschen ohne festen Wohnsitz in Deutschland auf knapp 650.000 geschätzt (https://www.sueddeutsche.de/panorama/wohnungslose-obdachlose-1.4545815). Der Artikel verweist darauf, dass eine entsprechende Erhebung 2017 in Nordrhein-Westfalen als Grundlage für die Hochrechnung gilt. Damit beginnt die traurige Geschichte, denn es ist nicht verständlich, dass es nicht jährlich aktuelle Zahlen über die Situation der Menschen ohne Wohnsitz gibt. Das Thema ist zu oft noch ein Tabu und ich befürchte, dass selbst die Untersuchung dazu viele Leute ignorieren oder eben gar nicht analysieren, weil es zu unangenehm ist. Ich kann mich nicht ausnehmen, dass es Momente gab, in denen ich mich auf den Weg vor mir konzentriert habe, um den Blick nicht zur Seite zu richten. Denn dort leben diese Menschen – auf der Seite. Das gilt für die Gesellschaft, aber auch für sie selbst. Menschen ohne Wohnsitz erleben depressive Episoden und versinken regelmäßig in der Isolation.

Wohnungslosigkeit ist nicht mit Obdachlosigkeit gleichzusetzen. Die Hochrechnung vermutet, dass 48.000 Menschen obdachlos sind, sie zählen zur Kategorie der Wohnungslosen. Die deutliche höhere Anzahl setzt sich dann auch aus Flüchtlingen in Heimen oder Menschen in Notunterkünften zusammen.

Wie ist es möglich, dass in einer reichen Gesellschaft wie unserer überhaupt Menschen in diesen Status verfallen? Ich paraphrasiere das Argument „Eigenes Verschulden, wer so lebt“ der Menschen, die sich vermutlich wenig damit auseinandergesetzt hat. Die Diakonie informiert darüber, dass es viele Ursachen haben kann, dabei sticht jedoch ein zentraler Aspekt heraus: Krisensituationen. Dazu zählen Arbeitsplatzverlust, Trennung, psychische Erkrankungen oder Überschuldungen (vgl. https://www.diakonie.de/wissen-kompakt/obdachlosigkeit/).

Wie deprimierend ist unser Leben, wenn Menschen, die lebensverändernde Rückschläge erleiden und dann allein gelassen werden. Allein gelassen werden ist der korrekte Ausdruck, denn wer sich eine Wohnung sucht, weiß wovon ich rede. Ein Beispiel gefällig? In Berlin gibt es eine Zwei-Raum-Wohnung, 550€ warm (lukrativ) – und dafür gibt es 1.749 interessierte Menschen (https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2019/11/wohnung-besichtigung-berlin-schoeneberg-massen-miete.html).

In Worten sind das tausendsiebenneunundvierzig. Die meisten der Menschen, die das hier lesen, kennen das – man hat einen Massenbesichtigungstermin und mit etwas Glück kann man sich nicht mal mit dem Vermieter unterhalten. Meine letzte Wohnungssuche führte mich in eine „renovierungsbedürftige“ Wohnung in Hannover, schicke Lage, Größe passend für mich. Es war beinahe ein Alptraum, denn von kaputten Wänden bis hin zu Heizkörpern, denen ich weniger als dem vergammelten Käse im Kühlschrank vertraue, war alles dabei. Sorry, aber kein Deal. Jedenfalls nicht für mich, abends sehe ich, dass die Wohnung raus ist. Abnehmer gefunden. Das zeigt, dass der Wohnungsmarkt ein perfektes Abbild der kapitalistischen Grundidee von Angebot und Nachfrage ist. Ich finde wen, dann ist es okay.

Nein, das ist nicht okay. Das „Deutsche Institut für Menschenrechte“ forderte 2018, dass das Recht auf Wohnen stärker bedacht wird. Selbst im Grundgesetzt steht lediglich in Artikel 13 „Die Wohnung ist unverletzlich“. Das hilft mir nicht, wenn ich keine Wohnung habe. Wenigstens zählt das den Top 20 – die unveränderlichen Säulen unserer Republik. Schade, dass es extra aufgeführt werden muss, denn ich will ehrlich sein. Artikel 1 – das basale Fundament überhaupt – beschützt die Würde des Menschen und sieht sie als unantastbar. Und da zählt die Wohnung wohl nicht dazu?

Es ist eine hässliche Situation, dass überhaupt Wohnungslosigkeit existiert und es an der Zeit, dies zu verändern. Nur wie?

Die bekannte Aktivisten-Seite „open-petition“ hatte einen passenden Appell dazu, sie verlangte, dass zu „Die Wohnung ist unverletzlich“ hinzugefügt wird, dass „jeder Mensch das Recht auf eine Wohnung hat“ (https://www.openpetition.de/petition/online/das-recht-auf-eine-wohnung-ist-ein-unverzichtbares-menschenrecht-verankerung-im-grundgesetz-jetzt). Dies ist ein erster Schritt, um unseren Wünschen eine Stimme zu geben. Die Petition ist im nirgendwo verlaufen, doch es sinnvoll, da am Ball zu bleiben. Ich werde die nächsten Tage überprüfen, ob es ähnliche Forderungen gibt oder ob es sinnvoll ist, eine neue Petition einzureichen.

Doch es reicht nicht, den Politikern auf die Nase zu binden, was uns stört. Klar, es verlangt eine menschenorientierte Politik, die nicht davon ausgeht, dass Wohnungssuchende bettelnden Zahlkunden sind, sondern es muss transparent gemacht werden, dass vor allem sozial schwache Menschen Unterstützung bekommen. Und klar, es muss mehr Wohnraum her, das ist eine notwendige Grundlage. Allerdings ist es auch wichtig in kleinen Schritten und Welten zu agieren. Man kann alte Decken verschenken, es ist möglich, frierenden Menschen ein warmes Getränk zu schenken oder schlichtweg eine finanzielle Zuwendung zu geben. Wir alle können einen Beitrag im Rahmen leisten, der uns möglich ist.

Neben diesen kleinen Heldentaten ist es aber vor allem eine Aufgabe der Gesellschaft, Wohnungslosen mehr Beachtung zu schenken. Das Thema darf kein blinder Fleck unseres Lebens bleiben, zu dem ich im Jahre 2020 nicht einmal aktuelle Zahlen habe. Zu guter Letzt habe ich noch die Wochenzeitung „derFreitag“ im Kopf. Diese hat verschiedene Möglichkeiten, sich mit dem Thema weiter auseinanderzusetzen und sich dann auch helfend einzubringen.

https://www.freitag.de/autoren/max-bryan/obdachlosen-helfen-auch-in-2020

Arbeiten wir daran, dass ein Problem unserer Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit erhält.

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