Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) The New Menu at Eleven Madison Park Will Be Meatless

The highly acclaimed Manhattan restaurant Eleven Madison Park said on Monday that it would no longer serve meat or seafood when it reopens next month, becoming one of the most high-profile restaurants to switch to a plant-based menu because of environmental concerns. Daniel Humm, the chef and an owner, said in a statement on the restaurant’s website, “It was clear that after everything we all experienced this past year, we couldn’t open the same restaurant.” Mr. Humm said that the coronavirus pandemic, which led to closure and layoffs, had forced the restaurant’s leaders to reimagine its future. “We have always operated with sensitivity to the impact we have on our surroundings,” he said, “but it was becoming ever clearer that the current food system is simply not sustainable, in so many ways.” Mr. Humm said that the kitchen had spent its days developing new dishes and meat and dairy alternatives, like plant-based milks, butter and creams, flavorful vegetable broths and stocks, and fermented foodstuffs. “What at first felt limiting began to feel freeing, and we are only scratching the surface,” he said. “All this has given us the confidence to reinvent what fine dining can be.” [...] “We’re not here to take anything away, we just want to enrich people with showing a different way what a fine dinning meal can be,” he said in a text. “We don’t want to lecture people.” Mr. Humm, in an interview with NPR’s “How I Built This,” gave an example of a dish the restaurant will serve: oven-roasted golden oyster mushrooms glazed with kombu stock and dusted with dehydrated pine needle mushroom powder. He said he wanted to create a restaurant where meat eaters would be “blown away” by eating vegetables. (Jenny Gross, New York Times)

Grundsätzlich halte ich es für eine begrüßenswerte Entwicklung, dass auch solche eher hervorgehobenen Einrichtungen beginnen, beim Essen neue Wege zu beschreiten. Die vegetarischen Ersatzprodukte werden ja auch immer besser. In meinen Augen besonders hervorzuheben ist Beyond Meat, die im Gegensatz zu diversen anderen Herstellern tatsächlich ein vergleichbares Geschmacksergebnis liefern; ihre Ökobilanz ist ohnehin um Längen besser.

Es mag eine Alternative werden, Fleisch im Labor züchten, da bin ich nicht versiert genug, das beurteilen zu können. Ich habe schon von Leuten gehört, dass das seine ganz eigenen Probleme mit sich bringt (gerade umwelttechnisch), aber es scheint mir grundsätzlich der richtige Weg zu sein um Massentierhaltung zu beenden und trotzdem denjenigen weiter das Fleisch Essen zu ermöglichen, die das unbedingt brauchen.

Das wird auch wichtig sein, denn wie wir gerade in den USA beobachten kann, wird "Fleisch essen" gerade auf der Rechten aus irgendeinem Grund zu einem identitätspolitischen Kulturkampfmarker. Vermutlich gab es wieder irgendein absurdes FOX-News-Segment, aber die völlig abwegige "Joe Biden will Fleisch verbieten"-Linie trendet gerade heftig durch die rechte Blase und sorgt dafür, dass allerlei Leute gigantische Steaks fotografieren und ihren Widerstand gegen die liberale Terrorherrschaft...ach, ihr wisst schon. Es ist im Endeffekt die Veggie-Day-Debatte auf Drogen.

2) “Wokeness is a problem and we all know it” (Interview mit James Carville)

Sean Illing

What does that mean?

James Carville

Take someone like Democratic Congresswoman Alexandria Ocasio-Cortez. She’s obviously very bright. She knows how to draw a headline. In my opinion, some of her political aspirations are impractical and probably not going to happen. But that’s probably the worst thing that you can say about her. Now take someone like Marjorie Taylor Greene, the new Republican congresswoman from Georgia. She’s absolutely loonier than a tune. We all know it. And yet, for some reason, the Democrats pay a bigger political price for AOC than Republicans pay for Greene. That’s the problem in a nutshell. And it’s ridiculous because AOC and Greene are not comparable in any way. [...]

Sean Illing

Part of the issue is that Republicans are going to paint the Dems as cop-hating, fetus-destroying Stalinists no matter what they say or do. So, yeah, I agree that Democrats should be smart and not say dumb, alienating things, but I’m also not sure how much control they have over how they’re perceived by half the country, especially when that half lives in an alternate media reality.

James Carville

Right, but we can’t say, “Republicans are going to call us socialists no matter what, so let’s just run as out-and-out socialists.” That’s not the smartest thing to do. And maybe tweeting that we should abolish the police isn’t the smartest thing to do because almost fucking no one wants to do that. Here’s the deal: No matter how you look at the map, the only way Democrats can hold power is to build on their coalition, and that will have to include more rural white voters from across the country. Democrats are never going to win a majority of these voters. That’s the reality. But the difference between getting beat 80 to 20 and 72 to 28 is all the difference in the world. So they just have to lose by less — that’s all.

Sean Illing

So what do you want the Democrats to do differently besides not having people peddle politically toxic ideas like abolishing the police? How do they change the conversation so that Republicans aren’t defining them by their least popular expressions? You’re a strategist, James. I want to know what you’d advise them to do. You don’t have any complaints about Biden because he’s getting stuff done. He’s putting money in people’s pockets. But the Democratic Party is a big coalition and you’re always going to have people promoting unpopular ideas, right? Whereas the Republican Party is more homogenous, and that lends itself to a tighter, more controlled message.

James Carville

Tell me this: How is it we have all this talk about Jim Jordan (R-OH) and Matt Gaetz (R-FL) and we don’t talk about Dennis Hastert, the longest-serving Republican speaker of the House in Congress? If Hastert was a Democrat who we knew had a history of molesting kids and was actually sent to prison in 2016, he’d still be on Fox News every fucking night. The Republicans would never shut the hell up about it. (Sean Illing, vox.com)

Die Problembeschreibung Carvilles ist on point. Warum ist das extremistische, abgedrehte Personal à la Taylor Greene für die Republicans nicht ein größeres Problem? Letztlich läuft die Antwort aber immer auf dieselben zwei Faktoren hinaus. Es gibt nur auf der amerikanischen Rechten einen Propagandasender wie FOX News, der 24/7 seine Hassprogramme in die Welt hinausstrahlt, und die Democrats machen jene Art persönlicher Attacken einfach nicht, ganz besonders bei solchen Themen wie Kindesmissbrauch.

Einen progressiven Propagandasender wird es wohl nicht geben, solange nicht irgendwelche Milliardäre das entsprechende Geld reinpacken und das progressive Publikum plötzlich völlig seinen Geschmack ändert (beides sehr unwahrscheinlich), und genauso wenig sehe ich die demokratische Partei plötzlich ihre rhetorische Strategie ändern und jedem Republican vorwerfen, Kindesmissbrauch zu unterstützen. Klar würden die Republicans das den ganzen Tag machen, wenn es umgekehrt wäre. Und vermutlich wäre es auch erfolgreich.

Aber: Will ich das? Ich finde eine Welt, in der solche negative, vitriolgeladene Dauerbeschallung läuft? Diese Frage ist rhetorisch, ich will das nicht. Wir sehen ja auch bei den Republicans, wohin das führt.

Und zuletzt: Klar hat Carville auch Recht, was die Unattraktivität diverser woke-Positionen angeht. Der Blödsinn von "Defund the Police" hätte Joe Biden beinahe die Wahl gekostet. Da gibt es einiges zu tun, und es sieht aktuell nicht aus, als würde es getan werden. Beim Thema message discipline könnten sich die Democrats durchaus einiges von den Republicans abschauen, ohne gleich in den selben hasserfüllten Modus zu verfallen.

3) Plötzlich reden sie dauernd über »Führung«

Es sieht ganz so, als sei »Führung« ein entscheidendes Element des grünen Wahlkampfs. Vielleicht liegt darin sogar ein oft übersehenes fünftes Versprechen der Grünen, neben Klimaschutz, Bejahung gesellschaftlicher Vielfalt, mehr Kooperation und der Chance auf Veränderung nach 16 Jahren Merkel. [...] In einem repräsentativen System wählen Menschen andere Menschen, von denen sie glauben, dass sie ihre Interessen vertreten. Die können, dürfen und müssen frei entscheiden und sich dann zur Rechenschaft ziehen lassen. Ein repräsentatives System setzt Führung voraus. Parlamente sind Institutionen, die so entworfen wurden. Parteien sind Organisationen, die in einem solchen System entstanden sind. [...] Repräsentation ist selbst in der politischen Mitte in Verruf geraten, während paradoxerweise der Wunsch nach Führung nicht nachgelassen zu haben scheint, zugleich hat sich mehr Basisbeteiligung für Parteien als riskant erwiesen. Die beiden, Merz und Söder, sägen an dem Ast, auf dem sie selbst dereinst sitzen wollen. Sie befeuern einen Konflikt zwischen Basis und Funktionären, der in einer Partei niemals aufgelöst werden kann. Die Grünen bieten etwas von dem an, was Merz und Söder bei vielen Menschen attraktiv macht und was die Laschet-Union nicht bietet: ausgestellte Führungslust, wenn auch weniger breitbeinig. Ohne dabei wie Merz und Söder gegen die Logik einer Partei anzuarbeiten, was Reibungen erzeugen muss. Man kann vermuten, dass die Coronapandemie dieses Angebot eher attraktiver als unattraktiver gemacht hat. Sie zeigte nämlich, wie es aussieht, wenn politische Führung systematisch verweigert wird. (Jonas Schaible, SpiegelOnline)

Es ist gut möglich, dass die Grünen da in eine Lücke stoßen. Wir haben ja effektiv drei Kanzlerkandidat*innen, und einer davon ist nicht wirklich ernstzuehmen. Und gegenüber Laschet ist Baerbock schon eher diejenige, die dafür steht, in welcher Weise auch immer "Führung" zu betreiben. Ich sehe das weniger in dem Sinne, als dass sie eine Regierung führt - das tut auch Merkel sehr effektiv - sondern dass sie und ihre Partei eine Vision haben, in welche Richtung das Ganze eigentlich gehen und zu welchem Zweck diese Macht ausgeübt werden soll (und das tut Merkel ganz und gar nicht, und Laschet auch nicht). Wenn der entsprechende Bedarf im September besteht, die Wechselstimmung groß genug ist, dann mag das zum Pfund für die Grünen werden.

4) Tweet

This is just... wow.

70% of Italians believes that Germany has met its renewable energy targets - although it *hasn't*.

70-80% of both Italians and Germans believe that Italy has missed its renewable energy targets - although it *has*. https://t.co/orcjQBU7Fb pic.twitter.com/ivscAMzdMZ

— Giulio Mattioli (@giulio_mattioli) April 26, 2021


Italien hat auch seine Defizitziele besser erfüllt aus Deutschland, ohne dass ihm das in irgendeiner Weise bei seinem unverdienten Ruf als Schlendrian geholfen hätte. Solche Fehlwahrnehmungen beruhen alleine auf nationalistischen Klischees und gehören einfach in die Mottenkiste, in beide Richtungen. Hier hat die Merkelregierung eine wahrhaft titanische Leistung erbracht und dem Klischee von den gut organisierten Deutschen, die mit großer Präzision und nüchterner Sachkenntnis Probleme angehen, ein Ende gemacht. *mic drop*

5) Eine Klasse empört sich

Ihre Positionen sind die von Querdenken; wenn sie sich distanzieren, dann rhetorisch. So, wie man sich in der »Mitte« von Nazis distanziert, weil sie »dumm« sind, distanziert man sich hier von Querdenken, weil sie »Spinner« sind. Tatsächlich dürften weite Teile der Oberschicht mindestens Sympathien zu »Querdenken« haben; die Industrie sowieso. Solange die Querdenker auf den Straßen sind, hat die Politik ihre »besorgten Bürger«, deretwegen sie über »Öffnungen« nachdenken kann, und solange rollen die Fließbänder unbehelligt. Auch die Schauspieler wollen wieder zum Italiener und Geld verdienen wie früher; von der Politik fordern sie lediglich, in ihrem Lebensstil nicht länger eingeschränkt zu werden. Während die Krankheit Familien zerstört und Millionen ins Elend taucht, will die deutsche Oberschicht vor allem wieder in die Oper gehen. [...] Sie tragen das empörte Antlitz des Zahnarztes, der nicht versteht, dass nach 23 Uhr die Cappuccino-Maschine nicht mehr für ihn eingeschaltet wird. Es ist die Empörung einer ganzen Klasse, die nicht einsieht, dass für sie noch Regeln gelten. Maßnahmen können ihretwegen getroffen werden, aber nicht für sie - sie wollen weitermachen wie bisher. Überhaupt von Gesetzen betroffen zu sein, sich nicht rauskaufen können, behandelt zu werden wie Hartz-IVler, bei denen sie aber keinen Gedanken an Freiheiten und Grundrechte verschwenden, ist schon der ganze Grund der Empörung. Die Allianzen, die das Bürgertum in seiner Wehleidigkeit schmiedet, machen mir persönlich mehr Sorgen als jede Maskenpflicht. (Leo Fischer, Neues Deutschland)

Es ist das erste Mal, dass ich hier einen Artikel aus dem Neuen Deutschland zitiere, glaube ich. Was kommt als Nächstes, Tichys Einblick? Aber Scherz beiseite. Ich kann mit diesen altlinken Klassenbegriffen wenig anfangen und finde sie furchtbar verstaubt, aber egal wie man die entsprechende Gruppe bezeichnet (mir ist sowohl "Oberschicht" als auch "Bürgertum" wesentlich zu breit, das ist ja nur ein Subset), es ist wenig daran zu rütteln, dass die grundsätzliche Beschreibung richtig ist. Es gibt eine gewaltige Schlagseite in den Covid-Maßnahmen, und der hässliche Egoismus zeigt sich in vielerlei Gestalt. Im aktuellen Vermischten hat etwa die Altersschichtung keinen Platz mehr gefunden (im nächsten dann), aber dass es auch eine nach Vermögen gibt, sollte unbestritten sein. Die Prioritäten der Politik sind völlig verschoben, unverantwortlich und einfach nur noch abstoßend.

6) Tweet

Das irre ist: Obwohl das ein Traum für uns Medien ist - das stimmt! https://t.co/0WHa1OCFq7

— Florian Gathmann (@FlorianGathmann) April 14, 2021


Das war der große Irrtum der Piraten, den ich schon 2012 kritisiert habe. Mehr Transparenz ist nicht automatisch besser, die zerstört im Extremfall die Vertrauensverhältnisse, die für verbindliche Absprachen und eine vernünftige Arbeit notwendig sind. Es ist derselbe Trugschluss, der auch die Forderung nach mehr Basisdemokratie unterfüttert - die wenig zufällig auch vehement von den Piraten vertreten worden war. Mehr führt nicht zwingend zu mehr. Denn so wie bei der Transparentmachung dieser Sitzungen die Absprachen dann eben in andere Foren gedrängt werden, so führen permanente Abstimmungen letztlich zur Herrschaft derjenigen mit der meisten Zeit und Beharrungskraft. Das ist nicht zwingend das, was man will, um es milde auszudrücken.

7) Mathematik – eine Crux für Verwöhnte?

Aktiver Konstruktionsprozess: Das hört sich gut an, ist aber genau die Crux. Schon vor 100 Jahren beobachtete Alfred Adler, Begründer der Individualpsychologie: „Rechnen ist für verzärtelte Kinder immer ein gefährliches Fach.“ Unter Verzärtelung verstand Adler das, was wir mittlerweile seelische Verwöhnung nennen – also nicht ein Übermaß an Bonbons, Klamotten oder Taschengeld, sondern die verbreitete elterliche Haltung, ihrem Schatz das Leben so erfreulich wie möglich zu machen, ihm Schwierigkeiten möglichst aus dem Weg zu räumen. [...] Wenn Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten mit Mathe haben, dann kann das zwar an der Lehrkraft liegen. Häufige Ursache ist aber auch das Kind selbst: seine Motivation und seine Arbeitshaltung, bisweilen auch entmutigende Vorerfahrungen in diesem Fach – oder auch nur Stofflücken oder, präziser gesagt, „nicht bewältigte fachliche Hürden“ (Wolfram Meyerhöfer). Dazu gehören die Ablösung vom zählenden Rechnen, das Verständnis des Stellenwertsystems oder die Logik der Rechenoperationen. Etwaige Intelligenzunterschiede sind demgegenüber für pädagogisches Handeln nachrangig. Zwar kann nicht jedes Kind ein Mathegenie werden, aber jedes kann jederzeit dazulernen. (Michael Felten, Das Deutsche Schulportal)

Dieser Artikel ist so unglaublich typisch für die Krankheit des Matheunterrichts in Deutschland, symptomatisch für eine ganze Profession. Ich kenne das aus unzähligen Lehrerzimmergesprächen. Die einzigen Lehrkräfte, die Schüler*innen als dumm bezeichnen, die sich permanent darüber ärgern, dass sie nichts könnten und sich darüber beschweren, dass sie nicht gebannt ihrem Unterricht lauschen, sind Mathelehrkräfte. Nicht alle, natürlich. Aber diese Einstellung ist so unglaublich weit verbreitet, und es ist Anzeichen einer kaputten Fachkultur.

Es ist die Betrachtung von Mathe als Königsdisziplin, als anspruchsvollstes und bestes der Fächer, eine Vision wie die der katholischen Kirche unter Papst Pius XIII, wo die Erlösung und Erkenntnis nur durch totale Hingabe und möglichst viele Steine im Weg kommen kann. Jedes Jahr ist das Mathe-Abitur unter den Fächern mit dem schlechtesten Durchschnitt. Nirgendwo wird so viel private Nachhilfe genommen, ist eine 4 Grund für solche Erleichterung. Nur in Mathe sind solche elterlichen Reaktionen möglich.

Ich teile ja den Appell des Autors am Ende des oben zitierten Ausschnitts. Jedes Kind kann dazulernen. Dass nicht jedeR auf eine sehr gute Note kommen wird - geschenkt, das ist für jedes Fach wahr. Nur, die Vorstellung, dass es eben nur an mangelnder Härte und Biss liege, dass Eltern und andere Fachlehrkräfte die Kids einfach nur verhätschelten, ist an den Haaren herbeigezogener Unsinn. Das gewünschte Ergebnis wird sich nicht erreichen lassen, wenn die zugrundeliegende Ursachenanalyse falsch ist. Und viel falscher als hier kann sie kaum sein. Bedauerlicherweise wird diese Ansicht weithin geteilt.

8) Mitt Romney, Republican sphinx

So again, that question: Who is Mitt Romney? Is he Trumpism without Trump? An opportunist trying to make amends after his impeachment votes? The heir to the Rockefeller Republicans? A protocol droid who keeps getting hacked from different directions? Perhaps a little of each. But there's another strand in there too that's worth mentioning. It dates back to Romney's term as governor of Massachusetts when he decided to work with Democrats on statewide universal health care. "Romney was intrigued with it because of the personal responsibility aspects," Jonathan Gruber, a professor at MIT who assisted with the effort, told the Boston Globe. To Romney, requiring people to purchase health insurance wasn't an onerous government mandate so much as a way for individuals to take charge of themselves and stop free-riding off of the state. The resulting law, RomneyCare, a government program ostensibly in the service of conservative ends, does more to explain Mitt Romney than anything else. The man is neither a libertarian nor a nationalist; he's a compassionate conservative in the mold of George W. Bush. He believes ardently in personal responsibility, competitive markets, family values. But he also believes that government, so long as it's manned by virtuous statesmen, can be a partner in these efforts rather than a zero-sum adversary. The state can help do good within certain fiscal and constitutional limits, whether on behalf of single mothers struggling to pay hospital bills or Afghanis trembling before the Taliban. This strain has a long history on the right. Now it's surfaced again among the Trumpists, though grounded in notions of class and nation rather than self-reliance and noblesse oblige. Romney is where the old guard and the new thinking meet. The question now is whether voters are onboard for another round of big-government idealism. (Matt Purple, The Week)

Die Idee, dass der Aufstieg des Rechtspopulismus - ob nun in der GOP, bei den Tories, der AfD, Fidesz oder anderswo - zu einer Art Synthese linker Wirtschaftsideen mit rechten Gesellschaftsideen und zu einer Neuorientierung des politischen Systems führe, die die Libertären in ihrer stets unsicheren Allianz mit diesen Kräften (Wirtschaftspolitik für die 0,1%, Rassismus für die Masse) quasi strandet, habe ich in den letzten Jahren häufig gehört. Gerade für Trump wurde diese Entwicklung oft prognostiziert, manchmal geradezu herbeigesehnt. Und es gibt ein gewaltiges Potenzial für diese Art von...nun...Nationalsozialismus, in dem Versuch, die historische Konnotation des Wortes einmal beiseite zu lassen.

Die Rechten haben besonders in den USA jahrzehntelang Mehrheiten auf sich vereinigen können, indem sie progressive wirtschaftliche Ideen mit reaktionären oder konservativen gesellschaftlichen Ideen verknüpfte (exemplarisch mögen hier die Dixiecrats stehen). Aber diese Zeiten sind vorbei. Einerseits macht die Herrenmenschen-Ideologie der GOP das extrem schwierig, denn die andere Seite schläft ja nicht: im Gegensatz zur Mitte des 20. Jahrhunderts ist es nicht mehr möglich, an eine monolithische weiße, männliche Arbeiterklasse zu appellieren und damit Mehrheiten zu gewinnen, das ist eine Illusion. Zugleich sind die Hassprediger der GOP aber finanziell immer noch von den Superreichen abhängig, was ihren Populismus auf den gesellschaftlichen Teil beschränkt, weswegen sie ja auch permanenten identitätspolitischen Kulturkampf betreiben und das Potenzial der Wählerschaft nicht annähernd ausschöpfen können.

Die Linken haben übrigens, wie Sahra Wagenknechts ineffektive Mobilisierungsversuche zeigen, das genau gegenteilige Problem. Sie sind abhängig von einer kosmopolitischen, liberalen Schicht, die die Versuche, den wirtschaftlichen Populismus mit gesellschaftlichem Konservatismus zu verbinden - ein Erfolgsrezept der Sozialdemokratie über viele Jahrzehnte - ablehnt. Keine der beiden Seiten war bisher in der Lage, diese Widersprüche aufzulösen. Wem das gelingt stehen Supermehrheiten und ein Bruch der aktuellen politischen Gesäßgeografie offen.

9) Why kids bully — and what to do about it

Unfortunately, many kids who display bullying behavior need more help than schools can provide. "Schools are probably limited in their ability to change the systemic family issues that contribute to bullying, such as neglect, poor parental management of anger, or parental enabling of siblings that are bullies," says licensed marriage and family therapist Carrie Krawiec. In other words, bullying is an extremely complicated phenomenon. It's context-specific and often tied to the existing culture and climate of the school and the community. However, there needs to be a plan in place — one everybody knows about and understands how to implement. "We need more comprehensive prevention," says Anjali Forber-Pratt, assistant professor in the Department of Human and Organizational Development at Vanderbilt University. "In many cases, we need to address the issues beyond the bullying behavior to include more comprehensive school-wide prevention strategies. For example, what are the attitudes and behaviors of the adults in the school building? What are the policies? What is the climate like in the school, and how can that climate be adjusted to promote a healthy, inclusive, and supportive environment where then bullying is less likely to occur?" (Claire Gillespie, The Week)

Es ist ein trauriges, persistentes Problem, bei dem Lehrkräfte leider praktisch hilflos sind. Zwar gibt es inzwischen Mobbingbeauftragte und entsprechende Fortbildungen, ist Mobbing geächtet und wird bestraft. Aber obwohl das Phänomen dadurch deutlich zurückgegangen ist - Vorleben ist eben immer noch die beste Pädagogik - sind wir an den Grenzen dessen, was Lehrkräfte im Unterrichtsraum leisten können. Sie sind keine Sozialarbeitenden, aber gerade die sind in dieser Situation gefragt. Lehrkräfte sind dafür einfach nicht ausgebildet und, entscheidender, haben nicht die Zeit, das Problem konsistent anzugehen. Dafür müssen vollberufliche Sozialarbeitende her, die in Vollzeitstellen die Kapazitäten haben, sich dem anzunehmen. Wo das gegeben ist, sind deutliche Fortschritte auf diesem Feld wahrnehmbar, wo nicht, nicht.

10) Die Maaßen-Kandidatur offenbart eine programmatische Leere der CDU

Es ist reichlich naiv zu glauben, Maaßen sei nur einfach so etwas wie ein neuer Alfred Dregger, jemand, den die CDU unter Kohl wie die damalige »Stahlhelm«-Fraktion integrieren könne, um bloß dem Strauß'schen Mantra gerecht werden zu können: »Rechts von der CDU/CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.« Indes: »Things have changed«. So lautet ein dieser Tage erneut sehr passender Songtitel von Bob Dylan. Es gibt sie längst, die demokratisch-legitimierte, also gewählte Partei rechts der CDU, was allerdings nichts über ihre Demokratietreue aussagt. Genau deshalb sieht nun auch der Verfassungsschutz so genau bei ihr hin. [...] Die Maaßen-Kandidatur offenbart schlichtweg das ganze Ausmaß der programmatischen Leere der CDU, was die Grenzziehung zwischen konservativ und rechts(populistisch) angeht. Seit Jahren heißt es, man habe mit der AfD nichts zu tun. Mit spitzen Fingern grenzen sich Unions-Granden verbal von ihr ab oder tragen, wie zuletzt der CDU-Vorsitzende Armin Laschet, »Kampferklärungen« gegenüber der Partei vor. Dabei werden dann – wie aktuell von Laschet – gerne entsetzt AfD-Positionen wie die »Leugnung der Pandemie« oder der angestrebte Austritt aus der EU hervorgehoben. Doch ein solcher Ansatz greift viel zu kurz. Bis heute hat die CDU versäumt zu erklären, wie sich der westlich geprägte Unionskonservatismus diametral von der rechten Gedankentrias aus Antipluralismus, Antiliberalismus und Ethnopluralismus unterscheidet. Das ist deshalb besonders gefährlich, weil sich Neurechte und Rechtspopulisten selbstverharmlosend als »konservativ« etikettieren. Genau das macht es ihnen leicht, in jene verführbaren bürgerlichen Kreise vorzudringen, denen die CDU unter Angela Merkel zu liberal oder gen links gerückt ist. (Liane Bednarz, SpiegelOnline)

Genau das ist das Thema: diese Werte stehen einander fundamental gegenüber. Die CDU kann dieses Dilemma nicht auflösen. Die Zeit der großen Stammwählerschaften ist vorbei, auch für die CDU. Möglicherweise ist es die Zeit der Volksparteien generell. Es ist gut möglich, dass Merkel mit ihrem Modernisierungskurs und ihrem opportunistisch-pragmatischen Besetzen eines so breiten politischen Orts wie möglich diese Entwicklung für eine Weile aufgehalten hat, aber in meinen Augen steht die CDU im selben Zerfallsprozess, den die SPD die letzten zwei Jahrzehnte durchgemacht hat. Die Fliehkräfte zwischen den verschiedenen Zentren sind einfach zu stark, als dass sich diese noch in ein und derselben Partei integrieren ließen. Ich halte jedenfalls die Vorstellung, dass man die Pegida-Leute und die Mitglieder der Klima-Union in derselben Partei versammeln könnte, in einem Mehrheitswahlrechtssystem für absurd.

11) Und dann wirft die AfD-Jugend ihrer Partei „linke Cancel Culture“ vor

„Der Bundesvorstand der AfD hat Druck auf uns ausgeübt, damit wir uns von Neumann distanzieren. Eine solche Distanzierung kommt für uns nicht infrage.“ Weiter: „Neumann und damit stellvertretend tausende junge Menschen hierzulande für Äußerungen, wie die von ihm getätigten, mundtot machen zu wollen, schafft eine Atmosphäre der Angst und besorgt das Geschäft des politischen Gegners.“ Es könne nicht sein, „dass selbst innerhalb der AfD die linke Cancel Culture Einzug hält“. Schließen lässt sich daraus, dass sich die JA-Spitze nicht von Neumann-Äußerungen wie denen distanzieren will, dass Schwarzafrikaner anders als weiße Europäer keine Deutschen werden könnten, dass es „Schwarze Deutsche und Europäer“ nicht gäbe und „Liberalismus volksfeindlicher Müll“ wäre. [...] Auffällig an dieser Offenheit gegenüber den Verhältnissen in der chinesischen Diktatur ist neben der ideologischen Positionierung der intellektuelle Anspruch, den solche JA-Kreise vor sich hertragen. Gerade Neumann, der sich auch schon mal als Dandy im karierten Dreiteiler mit Einstecktuch fotografieren ließ, gibt sich gern geistvoll. [...] Dies wird bei der Betrachtung der oft aktivistischen JA leicht übersehen: Vielen Mitgliedern der AfD-Nachwuchsorganisation geht es auch um das Gefühl, an rechtsradikaler Theoriebildung und Intellektualisierung teilzuhaben. Und dafür wird schon in wenigen Monaten sehr viel Geld zur Verfügung stehen: Wenn die AfD zum zweiten Mal in den Bundestag einzieht, dürfte es kein Hindernis mehr geben, dass die parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung pro Jahr einen hohen zweistelligen Millionenbetrag vom Staat erhält. Ein großer Teil davon dürfte in Stipendienprogramme fließen, um die sich nach Stand der Dinge wohl vor allem Studierende aus dem Umkreis der JA bewerben werden. (Matthias Kamann, Welt)

Die Revolution frisst ihre Kinder, Rechtsextremismus-Edition. Viel mehr ist zu diesem internen Konflikt kaum zu sagen, außer vielleicht, dass es einmal mehr zeigt, wie leer und inhaltsfrei diese politischen Kampfbegriffe wie "Cancel Culture" sind. Auch "links" wird in dem Zusammenhang einfach nur als Schimpfwort verwendet. Diese interne Kannibalisierung kann mir als Demokrat natürlich nur Recht sein. Zerstreitet euch fröhlich, liebe AfD-Gliederungen.

Ganz anders schaut es mit der im Artikel angesprochenen Intellektualisierung der Rechten aus. Die Welt ist hier übrigens eine großartige Ressource, nebenbei bemerkt, einige der scharfsinnigsten Beobachtenden der AfD schreiben hier ihre Artikel, wenngleich häufig leider hinter der Bezahlschranke. Aber zurück zum Thema. Bislang ist die radikale Rechte in Deutschland eher mit Proletentum, Springerstiefeln und Glatzen verbunden, mit wütenden, brüllenden Leuten, die Reichsfahnen schwenken.

Aber der Anspruch der AfD ist durchaus, das zu ändern, und ich denke, sie haben da auch gute Aussichten. Da wird man aufpassen müssen, schon allein wegen der in Fundstück 10 angesprochenen Ideenlosigkeit der CDU, die keinerlei rechtsdemokratische Alternative zu bieten weiß (erneut, eine Spiegelung der SPD, deren Ideenlosigkeit nur deswegen keine riesige Lücke auf der Linken reißt, weil dort die Grünen noch Alternativen anbieten können).

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