In meinem Blog untertrömt habe ich vor einiger Zeit einige Zeitgeistphänomene beschrieben. Dies möchte ich nun fortsetzen und mich mit etwas beschäftigen, was zuvor auch schon viele Menschen betraf, nun aber gerade durch die Corona-Pandemie teilweise sehr stark zugenommen hat: Einsamkeit.

Vor siebeneinhalb Jahren hab ich das schon mal in einem Artikel angedeutet, dass es vor allem auch die digitale Technik ist, die Menschen zunehmend um sich selbst kreisen und „echte“ soziale Kontakte vernachlässigen lässt. Und das hat sich seitdem leider nicht verbessert – ganz im Gegenteil.

Ein Indikator dafür: Der problematische Medienkonsum bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat in den letzten Jahren stark zugenommen, wie ein Artikel auf tagesschau.de berichtet. Und die dort vorgestellte Drogenaffinitätsstudie bezieht sich auf den Zeitraum bis 2019 – also noch vor der Corona-Pandemie. Dass es während der Lockdowns mit Homeschooling und Ausgangsbeschränkungen zu einer Reduzierung der Sozialkontakte und damit auch zu einer vermehrten Nutzung sozialer Medien im Internet gekommen sein dürfte, scheint mir keine allzu steile These, sondern recht logisch zu sein – was auch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Socio-Economic Panel von Juni 2020 bekräftigt, die bereits zu Beginn der Pandemie einen signifikanten Anstieg der Einsamkeit feststellte.

Insofern werden die schon erschreckenden Zahlen aus der Drogenaffinitätsstudie 2019 von 30,4 % der 12- bis 17-Jährigen und 23 % der 18- bis 25-Jährigen, denen eine problematische Mediennutzung attestiert werden muss, wohl noch mal angestiegen sein in den letzten eineinhalb Jahren

Doch nicht nur junge Menschen sind zunehmend einsam, sondern das scheint ein gesamtgesellschaftliches Phänomen über alle Altersgruppen hinweg zu sein. Oder wie es der ehemalige Pastor des Hamburger Michel in einem Artikel im Hamburger Abendblatt von 2019 (leider nur noch hinter der Bezahlschranke zu lesen) sehr deutlich formuliert: „Einsamkeit ist bei Menschen der Killer Nummer 1.“

Kein Wunder, denn Einsamkeit kann schnell zu psychischen Erkrankungen führen, wie beispielsweise Depression. Und wer einsam ist, sitzt oft mehr zu Hause rum, bewegt sich weniger, ist weniger aktiv – alles Faktoren, die der Gesundheit nicht eben zuträglich sind.

Doch nicht nur die Digitalisierung und nun zuletzt die Corona-Pandemie haben m. E. die Einsamkeit zu einem häufigen Phänomen werden lassen, sondern auch der neoliberale Zeitgeist.

Die seit Jahren gepredigte Entsolidarisierung, eines der wichtigsten Herrschaftsinstrumente des Neoliberalismus, führt nämlich dazu, dass Menschen eher um sich kreisen und gemeinschaftliches Denken immer mehr vernachlässigen.

Was schon bei der Verbreitung des Fernsehens und der Ausweitung der Anzahl und Sendedauer der Programme seinen Anfang nahm (wer fernsieht redet meist nicht viel mit anderen), wurde dann durch den Computer noch gesteigert. Warum rausgehen und Leute treffen, wenn ich das auch zu Hause vom Sofa aus bequem machen kann? Dass diese Kontakte dann oft nicht die Tiefe von realen Begegnungen haben und insofern eine gewisse Leere, die dann auch als Einsamkeit wahrgenommen werden kann, hinterlassen, spielt da oft nur eine untergeordnete Rolle.

Und mittlerweile kann man diese virtuellen Pseudokontakte auch noch ständig „pflegen“, wenn man unterwegs ist – so muss man sich noch weniger mit der realen Umwelt auseinandersetzen und verpasst etliche Möglichkeiten der Begegnung mit anderen Menschen. Was ja mittlerweile so weit geht, dass Menschen sich selbst in Gesellschaft anderer lieber in ihrer eigenen personalisierten virtuellen Welt aufhalten und beständig aufs Smartphone-Display starren.

Dann kommen noch ganz konkrete Lebensumstände hinzu, die beispielsweise durch die immer wieder geforderte Mobilität von Arbeitnehmern entstehen: Viele Menschen wohnen nicht mehr in der Nähe ihrer Familien, sodass gerade ältere Menschen ihre Kinder nur selten sehen, da diese oft Hunderte von Kilometern entfernt leben oder zumindest so weit weg, dass der persönliche Kontakt eher selten stattfindet. Und das betrifft nicht nur ältere Menschen, denn jeder Umzug in eine neue Umgebung verursacht erst mal auch ein Stück weit mehr die Gefahr von Einsamkeit, da man seine gewohnten Kontakte nicht mehr so pflegen kann und sich weniger mit anderen trifft.

Auch das Hartz-IV-Regime führt für die davon Betroffenen häufig zu einer Reduzierung der Sozialkontakte, weil schlichtweg kein Geld mehr dafür vorhanden ist, um sich mal mit Freunden auf ein Bier zu treffen, geschweige denn ins Kino oder Theater zu gehen. Soziale Teilhabe wird so für viele Menschen schwierig bis unmöglich.

Und das wird m. E. auch recht gern vonseiten der Herrschenden in Kauf genommen, wenn nicht sogar gefördert, da auf diese Weise zunehmend verhindert wird, dass Menschen sich wirklich austauschen. Und: Einsamen kann man besser Dinge vorsetzen, ohne dass sie diese kritisch (mit anderen) reflektieren, weil ihnen dazu oft der pluralistische Input fehlt – Stichwort Filterblase. Auch lassen sich einsame Menschen schneller in Angst versetzen, da ihnen das Gefühl der Geborgenheit durch soziale Bindungen fehlt.

Und natürlich lässt sich das Teile-und-herrsche-Prinzip ebenfalls besser praktizieren, je weniger Menschen miteinander in persönlichem Kontakt stehen.

Stattdessen halten sich einsame Menschen vermehrt im Internet auf, wo ihre Tätigkeiten zunehmend mehr überwacht werden können. Die gesetzlichen Grundlagen dafür werden ja in letzter Zeit sehr offensichtlich geschaffen (s. hier und hier).

Ein weiterer Aspekt: Einsamkeit macht unglücklich. Und wer glücklich ist, kauft nicht, wie der Neurobiologe Gerald Hüther in einem sehenswerten Vortrag schon vor längerer Zeit erläutert hat. Was, nicht kaufen? Das geht natürlich im Kapitalismus mit seinem Wachstumsdogma überhaupt nicht!

Um bei dem Thema zu bleiben: Dass Menschen durch Vereinsamung immer mehr um sich selbst kreisen, ist auch sehr nützlich dafür, ihnen die Verantwortung für Dinge zuzuschustern, die sich nicht ändern können. Das findet sich ja auch in neoliberalen Dogmen wie: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Und: „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.“ So was greift bei Menschen umso besser, je weniger Sozialkontakte sie pflegen und dadurch merken, dass gerade das Zusammenleben mit anderen, sich dabei gegenseitig zu unterstützen und zu helfen, etwas ist, was Menschen voranbringt.

So kann dann eben immer noch der Mythos aufrechterhalten werden, dass die Nachfrage des Einzelnen tatsächlich einen Einfluss auf die systemischen Missstände des Angebots hätte. Was eben nicht der Fall ist, wie beispielsweise Thilo Bode in einem Artikel auf der Website von foodwatch oder Kathrin Hartmann in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung nachvollziehbar erläutern.

Aber klar: Wenn man nicht an die wirklichen Verursacher von Problemen herantreten oder gar systemische Missstände thematisieren möchte, dann ist das eine wunderbare Sache, dem Einzelnen zu suggerieren, er könnte tatsächlich durch sein Verhalten große Änderungen herbeiführen. Dann kommt der ja auch nicht auf die Idee, sich vielleicht mal gemeinsam mit anderen zu organisieren …

Ganz gut auf den Punkt bringt ein Meme, was ich neulich mal auf der Facebook-Seite von Komm:0n gefunden habe:

Deswegen ist die (viel beklagte) Spaltung der Gesellschaft auch nicht nur eine Randerscheinung des Neoliberalismus, sondern ein zentrales Anliegen – und wird ja schon seit vielen Jahren gerade von neoliberalen Medien vorangetrieben (natürlich vor allem von der BILD): Mann gegen Frau, Alt gegen Jung, Arbeitende gegen Arbeitslose, Christen gegen Muslime, Deutsche gegen Nichtdeutsche … Und auch Spaltung forciert Einsamkeit, da oftmals Misstrauen damit einhergeht: Wieso sollte ich mich mal mit meinem Nachbarn treffen? Das ist doch bestimmt ein komischer Typ … Also lass ich das lieber bleiben …

Zum Schluss möchte ich dann noch mal einen Schritt weiter zurücktreten bei der Betrachtung dieses Phänomens: Die von Fabian Scheidler in einem Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik (leider hinter der Bezahlschranke) beschriebene Entfremdung des Menschen von seiner natürlichen Umwelt, die eine der Grundlagen für das kapitalistische Wirtschaftssystem (und damit auch für seine Destruktivität) darstellt, kann m. E. auch im Zusammenhang mit Einsamkeit gesehen werden. Schließlich ist Einsamkeit ja auch eine Art Entfremdung von seiner (sozialen) Umgebung.

So gesehen, kommt der Einsamkeit dann eine wirklich zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung unserer aktuellen Lebensweise, die unsere Biosphäre zu zerstören droht, zu.

Da kann es fast schon zu einer Art revolutionärem Akt werden, sich vermehrt mit anderen zu treffen, sich mit diesen auszutauschen und einfach mal rauszugehen. Also: Los geht’s! :o)

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