Ich verstehe, wiederholte ich, wiederkehrend. Dann kam die Krankenschwester mit dem Essen und ich begann mich zu wehren. Wer soll essen, wenn er stirbt? Ich dachte »Benno hat sich tot gehungert!« und »Ich soll jetzt eure Tabletten probieren?« Wie ein Herz, das schmilzt. Ich war im Raucherzimmer dieser Klinik und malte Bilder an die Wand. Ich malte tiefe Gedanken mit einem Edding an die alte, gelb nikotinverklebte Tapete. Aber keiner konnte entschlüsseln, was ich mit dem Studioalbum von Pink Floyd vorhatte. Ummagumma. Der Kingfisher schickte mich in den Himmel, genau wie er ins Wasser hineinschwebte und die Wogen glättete. Der Klang. Ich war nach Landeck gekommen nachdem mich das Ordnungsamt in meiner Wohnung festgenommen hatte. Ich war dabei gewesen, meine halbe Einrichtung aus dem dritten Stock zu werfen. Sie führten mich ab in Handschellen und fuhren mich in die Notfallstation des Westpfalz-Klinikums. Danach ging es gleich weiter nach L. A. Ich schrie sie an, irgendetwas gegen diese Stimmen in meinem Kopf zu machen.
All the children are insane, Dröhnte der Lautsprecher durch die Stadt. Kurz zuvor war ich zu Hause ausgezogen, Christiane hatte mich verlassen und ich machte regelmäßig drogenreiche Nächte in meiner neuen Wohnung durch, 42 qm groß und die Fenster seit einem Jahr nicht geputzt. Ich schlief auf einer Matratze auf dem Balkon und wollte wieder alles nehmen, auch Meskalin und die Engelstrompete. Total durchgeknallt bis ich dachte, ich würde beobachtet und gefilmt von der ganzen Welt: wie Truman. Vollkommen paranoid war ich der Boss meiner eigenen kleinen Welt, in der alle Fabriken Kaiserslauterns nur für mich arbeiteten. Meinen Vater hielt ich für den Chef des Suhrkamp Verlags. Dann räumte ich mein Konto leer bis auf 23 Euro, mindestens genauso abgefahren wie Karl Koch in »The Number 23«. Doch ich lachte nur. Genau wie ich zwei Tage vor meiner Einweisung noch gelacht hatte als ich eine Flasche Wein und eine Packung Zigaretten an der Tankstelle klaute, obwohl ich zwei 500 Euro-Scheine in der Hosentasche trug. Ich lief nach Hause und fraß in meiner Wohnung die Seiten aus Paul Celans Gesamtwerk, trank dazu den Wein und kam mir vor wie Celan selbst. Dann nahm ich ein Tintenfass aus meiner Schulzeit und beschmierte mich, zerriss mein T-Shirt und färbte mit meinen Wasserfarben das weiße Hemd bunt.
Herumhängen und Bücherfressen macht das Herz lahm. Ich dachte an Esther, doch die war da längst auf dem Summer Jam in Köln und nicht in meinem Hirn. Auf Kurzurlaub von der Klinik verlor ich den Lappen, weil ich zu der Frau vom Verkehrsamt sagte, ich führe sehr gerne auf Kokain Auto. Sie sah mich dumm an. Zwei Wochen später war mein Führerschein zerschnitten. Ich musste Screenings machen und am Ende des Kurzurlaubs fuhren sie mich zusammen mit meiner Kinderbibel wieder nach Landeck.Diesmal wenigstens nicht mit zerrissenen Hosen und blutbeschmiert. Auch ohne Polizei und ohne Tinte am ganzen Leib. Die alten Schicks kamen wieder, die Flugzeuge. Die Queen wartete auf mich. Sie legten mich wieder in Handschellen und verfrachteten mich nach L. A. Gab es die Möglichkeit, ohne Pillen zu leben? 12 mg Risperdal intus und ich konnte trotzdem nicht schlafen.
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