Die aktuellen Infektionszahlen explodieren, die Zahl der COVID-19 Hospitalisierungen steigt und mit ihnen die Zahl derer, die ein flächendeckendes Umsetzen der 2G Regelungen (Zutritt nur für geimpfte und genesene Personen) fordern. Mit Sachsen führt das erste Bundesland ab 08.11.2021 eine strenge 2G Regelung ein, die weite Teile des öffentlichen Lebens umfasst.

Doch wie sinnvoll ist 2G wirklich? Um sich einer Antwort anzunähern, muss man zunächst die Ziele einer solchen Regelung betrachten, um zu klären, ob 2G überhaupt als Werkzeug geeignet ist. Während die Grünen- und SPD-Politiker Janosch Dahmen und Karl Lauterbach mit 2G die vierte Welle brechen wollen, begründet das Bundesland Sachsen diesen Schritt mit der steigenden Auslastung der Intensivstationen. Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, hingegen, argumentierte noch im September damit, 2G als Druckmittel zu nutzen um die Impfquote zu erhöhen.

Doch kann 2G das überhaupt leisten und welche Gefahr geht davon aus, wenn man geimpfte Menschen inmitten eines hohen Infektionsgeschehens damit belohnt, sich nicht mehr testen zu müssen? Denn eines ist klar: wenn wir darauf verzichten, diesen großen Teil der Bevölkerung zu testen, verlieren wir Einblick in das Infektionsgeschehen und verlassen uns damit ausschließlich auf die Effektivität der Impfstoffe.

Kann 2G die Infektionszahlen senken?

Um diese Frage zu beantworten, muss die Effektivität der Impfungen gegen Sars-CoV2 Infektion (und eine anschließende Kontagiosität) betrachtet werden. In den letzten Wochen ist eine erstaunlich große Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen und Preprints* erschienen, die nahelegen, dass die Schutzwirkung der Impfstoffe vor einer Ansteckung nach wenigen Monaten rapide nachlässt (Abb.1). Diese Abnahme ist abhängig vom Alter der Patient:innen (wobei zu beachten ist, dass ältere Personen in vielen Ländern früher geimpft wurden und nicht alle Publikationen beziehen diesen Fakt mit ein) und vom Impfstoff. Eine aktuelle Publikation in der Fachzeitschrift Science zeigte einen Abfall der Effektivität gegen Infektion nach 7 Monaten auf 13.1% für den Impfstoff von Janssen, auf 58.0% für Moderna und 43.3%  für den Impfstoff von Pfizer-BioNTech. Der Abfall der Effizienz gegen Infektion war zudem bei Menschen über 60 Jahren stärker ausgeprägt als bei jüngeren Personen. Vergleichbare Zahlen für Pfizer-BioNTech finden sich in einer weiteren Publikation in der Fachzeitschrift The Lancet, die für die Delta-Variante nach 4 Monaten noch durchschnittlich 53 % Effektivität ermittelte.

Abb. 1: Effektivität der Impfungen über den Zeitraum von 7 Monaten. Quelle: Daten aus Cohn et al. 

Relevant für die Frage nach einem Einfluss auf die Infektionszahlen ist aber vor allem in Kombination mit der Frage, wie ansteckend geimpfte Infizierte in der Folge sind, denn wenn Geimpfte die Infektion nicht weiter gäben, würden Infektionsketten mit der Zeit ins Leere laufen. Bisher deuten mehrere Arbeiten darauf hin, dass es keinen nennenswerten Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften diesbezüglich gibt. Auch wenn man natürlich davon ausgehen muss, dass das Studiendesign dieser Arbeiten wenig Rückschlüsse auf den Teil der Geimpften zulässt, die nie entdeckt werden weil sie asymptomatisch sind, zeigen die Studien deutlich, dass ein relevantes Risiko auch von geimpften Infizierten ausgeht: eine aktuelle Labor-Studie konnte nachweisen, dass Durchbruchinfektionen zu einer ähnlich hohen Viruslast führen, wie Infektionen bei Ungeimpften. Zudem erzeugen entnommene Virus-Abstriche Geimpfter in einer Anzuchtkultur in 68.6% der Fälle ein positives Ergebnis gegenüber 84.9 % bei ungeimpften Patient:innen und waren damit zwar signifikant seltener als bei Ungeimpften, aber dennoch mehrheitlich ansteckend. Da die Viruslast bei beiden Gruppen ähnlich hoch ansteigt, jedoch bei Geimpften früher wieder abfällt und der Probennahmezeitpunkt nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt nach Infektion eingegrenzt werden kann, lässt sich dieses Ergebnis gut erklären.

Die tatsächliche Relevanz dieser Daten für das Infektionsgeschehen bleibt jedoch offen, angesichts weiterer Daten dieser Veröffentlichung im Lancet, die auch untersuchte, wie häufig es in Haushalten tatsächlich zu Ansteckungen durch geimpfte Personen kommt. Die Untersuchung beobachtete 138 Delta-Indexfälle und 204 Kontaktpersonen (älter 5 Jahre) über 20 Tage unter Einbeziehung des Impfstatus. Von den Indexfällen waren 50 voll, 25 teilweise und 63 nicht geimpft. Es steckten sich bei geimpften Indexfällen etwa genauso viele Haushaltskontakte an (25%) wie bei Ungeimpften (23%). Hierbei steckten sich die geimpften Kontakte durchschnittlich etwas weniger häufig an (25%) als die ungeimpften (38%), der Unterschied war jedoch nicht signifikant. Insgesamt lag die Effektivität der Impfung für die Reduktion der Ansteckungen in Haushalten in dieser Studie bei rund 34%, verhinderte also etwa jede 3. Infektion. In der vorliegenden Studie waren seit der 2. Impfung der Indexfälle durchschnittlich allerdings nur 73 Tage vergangen. Dies zeigt eine sehr frühe Reduktion der Effektivität der Impfung gegen Infektiösität.

Es wird also mit zunehmender Zeit nach der Impfung wahrscheinlicher, dass geimpfte Menschen auf 2G Veranstaltungen ansteckend sind und weil sie nicht getestet werden, dort andere geimpfte** Personen anstecken. Von diesen geht dann das Risiko aus, dass sie, da sie nur selten schwere Symptome entwickeln und auch sie nicht getestet werden, die Infektionen unerkannt weiter verbreiten.

Da die meisten Menschen in Deutschland zwischen Mai und August ihre Zweitimpfung erhalten haben, dürfte die Effektivität der (mehrheitlich mit dem BioNTech durchgeführten) Impfungen noch etwas mehr als 2 von 3 Übertragungen verhindern. Es ist jedoch anzunehmen, dass dieser Effekt in den nächsten Monaten abnehmen wird, vor allem wenn ältere Menschen nicht rechtzeitig eine Boosterimpfung erhalten. Dennoch geht selbst vom verbleibenden Drittel ein signifikantes Risiko aus, da gerade durch häufig schwache Symptomatik, Abschaffung der Bürger:innentests und perspektivisch mit dem baldigen Auslaufen der Sonderzulassungen für viele Selbsttests, diese Gruppe Gefahr läuft, durch zu seltenes Testen unter dem Radar zu laufen.

Kann 2G Ungeimpfte und vulnerable Geimpfte effektiv schützen und Hospitalisierungen verringern?


Zunächst ist es wichtig, festzuhalten, dass das Risiko einer schweren COVID-19 Erkrankung durch Impfungen stark verringert wird und, auch nach Impfung eines Großteiles der Bevölkerung, stark altersabhängig ist. Das US-amerikanische CDC gibt derzeit für über 85-Jährige ein Hospitalisierungs-Risiko von etwa 15x über dem von 18-29-Jährigen an. Da die Effektivität der Impfungen sowohl durch das Alter, als auch durch das Zeitintervall seit der Impfung beeinflusst wird, kommt es dadurch zu einer Situation, dass sehr junge ungeimpfte Personen derzeit sogar ein geringeres Hospitalisierungs-Risiko aufweisen, als sehr alte Geimpfte (Abb.2).

Abb. 2: COVID-19 Hospitalisierungen in England nach Impfstatus. Grafik entnommen aus: Public Health England: COVID-19 vaccine surveillance report Week 36

Da aber davon auszugehen ist, dass eine 2G Regel, wie in Sachsen, vor allem in Innengastronomie, Veranstaltungen, Freizeit- und Kultureinrichtungen, Clubs und Bars Anwendung finden wird, aber z.B. nicht in Kirchen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Regelung die Ziel-Altersgruppe für einen Schutz durch Ausschließen mehrheitlich verfehlen dürfte. Menschen, die durch ihr Alter also ein höheres Risiko sowohl für ungeschützte Infektionen als auch für Durchbruchinfektionen haben, werden in besonders gefährdeten Bereichen, wie schlecht gelüfteten Clubs und Bars, eher seltener anzutreffen sein.

Gleichzeitig steigt das Risiko, dass diese Personen als Sekundärkontakte mehrheitlich ungetesteter Veranstaltungsbesucher:innen infiziert werden. Gerade mit steigendem Alter sind auch Geimpfte nicht hundertprozentig geschützt. Auch wenn die Impfungen generell auch nach Monaten einen hohen bis sehr hohen Schutz vor vielen schweren Symptomen, Hospitalisierung und Tod bieten, nimmt auch hier bei über 65-Jährigen der Schutz mit der Zeit deutlich ab. Bei Cohn et al. liegt die Effektivität der Impfungen gegen Tod für diese Altersgruppe nach 8 Monaten im Schnitt bei 71.6% über alle Impfungen und bei 52.2% für Janssen, 75.5% für Moderna und 70.1% für Pfizer-BioNTech. Ein Preprint der die Folgen von Impfdurchbrüchen weiter aufschlüsselt, veranschaulicht ein verbleibendes nennenswertes Risiko für eine Reihe von Erkrankungsfolgen, u.a. für psychische und Long Covid Symptomatiken, das ebenfalls altersabhängig steigt.

Das Risiko, als ungeimpfter Sekundärkontakt oder geimpfter Primärkontakt einer unter 2G stattgefundenen Übertragung zu Schaden zu kommen, ist daher durchaus relevant und kann durch einfache Mittel, wie regelmässiges Testen und Veranstaltungen unter G-Quadrat-Bedingungen*** unkompliziert und deutlich reduziert werden.

Kann 2G die Impfquote erhöhen?

Bisher gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass dies seit vermehrter Anwendung von 2G und dem Wegfall der Bürger:innentests tatsächlich geschehen ist. Wenn man die Daten des Impfdosen-Monitorings des RKI heranzieht, stagniert die Zahl der Erstimpfungen seit Anfang Oktober sogar noch auf einem niedrigeren Niveau als in den beiden Vormonaten (Abb. 3).

Abb. 3: Anzahl der verabreichten Erst-, Zweit- und Booster-Impfungen pro Tag seit 08/2021. Quelle: RKI Impfdosen-Monitoring, A) Rohdaten; B) geglättet über den 7-Tages-Mittelwert. Stand 06.11.2021.

Ein möglicher Grund, neben massiven kommunikativen Fehlern in der Vergangenheit: Von COVID-19 sind überproportional arme und nicht-privilegierte Milieus betroffen und gleichzeitig befinden sich dort auch die meisten gegen Sars-Cov2 ungeimpften Personen. Ein Hebel, der dort ansetzt, wo durch finanzielle und soziale Ausgrenzung ohnehin bereits Hürden bestehen, läuft Gefahr, wenig Effekt zu zeigen. Jemand der sich ohnehin keine Theaterkarten oder Restaurantbesuche leisten kann, wird sich durch 2G auch nicht zum Impfen bewegen lassen.

Fazit

Ob 2G die vierte Welle tatsächlich zu brechen vermag und einen positiven Einfluss auf Hospitalisierungsrate und Impfquote nimmt, ist nach aktueller Datenlage eher fraglich und wird maßgeblich davon abhängen, ob niedrigschwellige Testangebote zur Verfügung stehen und angenommen werden. Da 2G mit dem Versprechen kommuniziert wurde, die Zumutungen für Geimpfte möglich gering zu halten, ist eher nicht davon auszugehen, dass Veranstalter dieses Angebot proaktiv machen werden. Gleichzeitig stehen Personen, die sich testen wollen, keine kostenlosen Bürger:innentests mehr zur Verfügung und auch das Angebot an Selbsttests im Handel wird mit dem Auslaufen der Sonderzulassungen weiter abnehmen.

Gleichzeitig besteht ein nicht unerhebliches und bisher in der öffentlichen Wahrnehmung weit unterschätztes Infektionsrisiko auch im 2G Bereich. Die fehlende oder z.T. bewußt verharmlosende Kommunikation dieses Risikos sorgt für ein falsches Sicherheitsgefühl und unterwandert die Bereitschaft zu pro-aktiven Tests.

Daher muss hier auf politischer Seite unbedingt nachgesteuert werden. Die Einführung einer Testpflicht unabhängig vom Impfstatus in den vulnerablen Bereichen kann nur ein Anfang sein (2G-Quadrat). Ein wirksamer Schutz vor einer Überlastung der Intensivkapazitäten darf in diesem Winter nicht allein auf den wackeligen Beinen der Impfquote stehen, sondern muss durch zügige Boosterimpfungen und wieder ausgeweiteten Tests in vulnerablen Bereichen, bei Veranstaltungen und an Arbeitsplätzen flankiert werden. Gleichzeitig muss das Risiko, das auch von geimpften Personen ausgeht und für geimpfte Personen besteht, transparent kommuniziert werden, um den Menschen die Möglichkeit zu eigenverantwortlichem Handeln zu geben!


*Noch nicht begutachtete Manuskripte wissenschaftlicher Arbeiten

** Die Datenlage zu Genesenen ist deutlich eingeschränkter. Ein aktueller Bericht des CDC quantifiziert den Schutz durch Impfung als 5x höher als durch Infektion.

***Veranstaltung mit zusätzlicher Testpflicht für alle unabhängig vom Impfstatus. Auch 1G. Nähere Erläuterungen bei RapidtestsDE


Artikelupdates: 08.11.2021: Abb. 3 wurde um einen Graphen mit den 7-Tages-Mittelwerten ergänzt.