Der Vormarsch der Taliban ging schon seit Monaten unaufhaltsam voran, doch Mitte August brachen alle Dämme. Lawinenartig übernahmen sie die Provinzhauptstädte und später auch die Hauptstadt Kabul. Die Regierung dankte ab, doch in der Provinz Pandschir formiert sich Widerstand – die „Nordallianz“.
Die Taliban sind seit nun ziemlich genau einer Woche offiziell die neuen Herren von Afghanistan. In der Nacht vom 13. auf den 14. August starteten sie ihren Sturm auf Kabul, schon am 14. kapitulierte die Regierung und übergab die Macht an die Taliban. Der Präsident des Landes Aschraf Ghani flüchtete ins Ausland – erst nach Tadschikistan und dann weiter vermutlich in die Vereinigten Arabischen Emirate.
In der Woche darauf kamen aus dem Flughafen von Kabul unfassbare Bilder. Menschenmassen stürmten den Flughafen, um einen Platz in den Evakuierungsflugzeugen zu bekommen. Manche klammerten sich an den Rädern der startenden Flugzeuge und fielen später zu Boden. US-Soldaten, die den Flughafen sicherten, mussten Schusswaffen einsetzen, um die Menschenmassen zurückzuhalten.
Dass das so kommen wird, war zu erwarten. Bereits vor zwei Monaten war auch hier geschrieben worden, dass die Tage von Kabul gezählt sind. Es war klar, dass die Zentralregierung ohne die Hilfe des Westens fallen wird – die Frage war nur, wann es passiert. Überraschend war nun, wie schnell und kampflos das Ganze geschah.
Parallelen und Unterschiede zum Sowjet-Abzug und zu Vietnam
Der Abzug der USA aus Afghanistan ist bereits jetzt dramatischer verlaufen, als einst der Abzug der Sowjetunion. Als die Sowjets abzogen, hinterließen sie eine halbwegs intakte Regierung und eine durchaus kampffähige afghanische Armee, die noch drei Jahre lang gegen die Mudjahedeen gehalten hatte.
Die jetzige afghanische Regierung und Armee, die die USA hinterließen, hielt dagegen keinen einzigen Tag nach dem Abzug der Amerikaner. Genauer gesagt, stürzte sie sogar noch während die Amerikaner im Lande waren. Die Bilder erinnern auch stark an Vietnam, als US-Truppen mit Hubschraubern Zivilisten und US-Personal von Dächern der südvietnamiesischen Stadt Saigon retten mussten, während der Vietkong in die Stadt einrückte. Das Ende des Krieges in Afghanistan kann somit als die eins-zu-eins-Wiederholung des Desasters von Vietnam angesehen werden.
Widerstand in Pandschir
Interessant ist diesmal allerdings, dass die kleine Provinz Pandschir nördlich von Kabul offensichtlich zum langfristigen Widerstandsherd gegen die Taliban werden könnte. Ahmad Massoud, Sohn des legendären anti-sowjetischen Feldkommandeurs Ahmad Shah Massoud, erklärte sich zum Anführer des Widerstandes und rief alle Armeeangehörigen nach Pandschir unter seine Flagge. Er geht damit in die Fußstapfen seines Vaters, denn auch Ahmad Massoud Senior kämpfte während des Bürgerkrieges gegen die Taliban und machte sich damals einen Namen als der „Nationalheld der afghanischen Nation“.
Von Tag zu Tag kommen nun neue Aufnahmen, wie Technik und Personal der nun faktisch aufgelösten afghanischen Armee in Pandschir ankommen, um am Wiederstand teilzunehmen. Zudem ist der Vizepräsident des Landes Amrullah Saleh ebenfalls nach Pandschir geflüchtet und gab der Rebellion ein politisches Gesicht.
Die Frage ist nun, ob und wie lang sich die Kämpfer von Pandschir gegen die Taliban halten können. Die Aussichten sind in der Tat nicht schlecht. Das Pandschirtal ist dafür bekannt, in extrem unerreichbarem Terrain zu liegen. Es heißt, es gebe im Prinzip nur eine einzige Straße, die dorthin durch die Berge führe und die dementsprechend leicht zu verteidigen sei.
Außerdem haben die Kämpfer von Pandschir das, was die afghanische Armee zuletzt offensichtlich nicht hatte – Kampfwillen und Kampfstolz. Die Bewohner von Pandschir geben stolz an, noch nie eingenommen worden zu sein, weder von Sowjets noch von Taliban während des Bürgerkriegs in den 1990-er Jahren noch von den Amerikanern. Diese Tradition wollen sie fortführen und erklärten, dass die Taliban auch dieses Mal keine Chance haben werden, in das Tal zu kommen.
Aussichten: Widerstand ja, „Konterrevolution“ nein
Und so lässt sich festhalten, dass das Pandschirtal in der Tat dauerhaft zu einem Ort werden könnte, der nicht von den Taliban kontrolliert wird. Militärisch kann man das Tal kaum erobern. Massoud erklärte bereits in einem Gastbeitrag für die Washington Post, er verfüge über ausreichend Kräfte für die Verteidigung, brauche aber mehr Waffen und Munition.
Dennoch, selbst mit den zusätzlichen Waffenlieferungen werden die Kämpfer vom Pandschirtal, die sich selbst als die „Nordallianz“ bezeichnen, wohl kaum eine Chance haben, auf den Rest des Landes einzuwirken. Sie werden vermutlich genug Kraft haben, um ihr Tal zu verteidigen…aber sicherlich nicht genug, um eine Gegenoffensive voranzutreiben oder gar Kabul zu erreichen.
Es ist damit anzunehmen, dass der Widerstand der „Nordallianz“ zwar die Provinz Pandschir frei von den Taliban halten wird, im Rest des Landes die Taliban aber die unangefochtenen Herren sein werden. Die Taliban scheinen das einzusehen. Es heißt, sie hätten bereits Delegationen nach Pandschir zu Verhandlungen geschickt. Details werden nicht bekannt gegeben. Wenn sie die Provinz militärisch nicht einnehmen können, so wollen sie vermutlich mit Hilfe von Diplomatie die Provinz auf ihre Seite ziehen. Ob das klappt, wird sich vermutlich schon bald zeigen.
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