Der hastige US-Abzug aus Afghanistan offenbart immer mehr, wie hilf- und wehrlos die afghanische Zentralregierung ist. Die Taliban rücken in zahlreichen Provinzen vor. Die Tage von Kabul dürften jetzt schon gezählt sein.

Der US-Abzug aus Afghanistan schreitet voran. US-Truppen und ihre westlichen Verbündeten verlassen hastig ihre Stützpunkte und ziehen ab. Sie hinterlassen ein verwüstetes und vom Krieg gebeuteltes Land, das seit 20 Jahren im Dauerkonflikt steckt. Die Jahreszahl ist erschreckend – eine ganze Generation von Afghanen ist geboren und volljährig geworden, während die USA das Land besetzten und dort Krieg führten.

In den 20 Jahren in Afghanistan konnten die Amerikaner weder den Terrorismus besiegen noch irgendeine Art stabile Staatlichkeit aufbauen. Dies wird gerade jetzt brutal deutlich.

Die US-Truppen sind noch nicht abgezogen, doch die Taliban sind schon landesweit auf dem Vormarsch. Nahezu wöchentlich kommen Meldungen, dass sie neue Bezirke eingenommen haben. Innerhalb von zwei Wochen haben sie zwei ganze Provinzen weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht. Oftmals leistet die afghanische Regierungsarmee keinerlei Widerstand, sondern zieht einfach ab.

Erleichtert wird der Vormarsch dadurch, dass die lokale Bevölkerung mit den Taliban oftmals kooperiert. Im Gegenzug ernennen sie die Vertreter der lokalen Stammesältesten zu neuen „Gouverneuren“ der eroberten Ortschaften.

Bereits jetzt kontrolliert die afghanische Zentralregierung im besten Fall nur ein Drittel des Landes.

Ihre absolute Hilf- und Wehrlosigkeit wird gerade dadurch deutlich, dass sie sogar Bezirke unmittelbar vor der Hauptstadt Kabul nicht mehr halten kann. So nahmen die Taliban im Mai Ortschaften ein, die nur rund 60 Kilometer von Kabul entfernt sind.

Die afghanische Regierung versucht dabei, das Desaster zu relativieren – ihre Stützpunkte seien aus „taktischen Überlegungen“ verlassen worden. Man werde Kräfte sammeln und schon bald in einer Gegenoffensive die Taliban zurückwerfen. Glaubhaft wirken diese Stellungnahmen nicht.

Bemerkenswert ist auch, mit welch riesigen Scheuklappen die USA abziehen. Ihre Verbündeten werden praktisch vor ihrer Nase zerlegt, ein Bezirk nach dem anderen geht an den Feind über, den die USA noch vor wenigen Monaten zu bekämpfen versuchten. Trotzdem kommt von Washington keinerlei Hilfe, das rasante Vorrücken der Taliban wird einfach ignoriert.

Zuletzt sorgten für Empörung zudem brisante Berichte von US-Medien, dass die US-Truppen alles aus ihren Stützpunkten mitnehmen, was nur möglich ist. Was nicht transportierbar ist, wird vor Ort einfach verbrannt oder zertrümmert. Statt also Technik und Material der afghanischen Armee zu überlassen, um ihren Kampf gegen die Taliban zumindest so zu unterstützen, wird alles vernichtet. Der Grund dafür dürfte banal sein: Die USA trauen der von ihnen ausgebildeten afghanischen Armee selbst nicht. Offensichtlich befürchtet Washington, dass die afghanischen Sicherheitskräfte die Technik an die Taliban verlieren oder sogar eigenmächtig für etwas Kleingeld verhökern. Und so bleiben hinter den US-Truppen im wahrsten Sinne des Wortes nur Müllberge übrig.

Parallelen zum Sowjetabzug und die Aussichten

Die Tatsache, dass die afghanische Regierung bereits jetzt die Kontrolle über das Land verliert, lässt nichts Gutes für die Zukunft erahnen.

Es ist anzunehmen, dass sie ohne die westlichen Truppen und westliches Geld keine Chance haben wird. Bestenfalls wird sie sich in Kabul verbarrikadieren und weiter die legitime afghanische Regierung in UN-Gremien spielen, wobei der Rest des Landes unter der Kontrolle der Taliban geraten wird.

Schlimmstenfalls wird die Regierung aber eher früh als spät fallen. Post-US-Afghanistan wird damit höchstwahrscheinlich das gleiche Schicksal ereilen wie post-Sowjet-Afghanistan. Als die Sowjets abzogen, hinterließen sie formell auch eine Regierung in Kabul, die ab nun eigenständig die Geschicke des Landes lenken sollte…sollte, aber nicht konnte. Nach nur drei Jahren überrannten die Mudjahedeen, die (so die Ironie der Geschichte) ausgerechnet durch die Amerikaner massiv mit Waffen unterstützt wurden, die Zentralregierung in Kabul gnadenlos. Angesichts der absoluten Hilflosigkeit der afghanischen Armee gegenüber den Taliban ist das auch jetzt eher die wahrscheinlichere Variante.

Apropos.

Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan und dem Fall der Regierung in Kabul stürzte das sozialistische Afghanistan in ein Zeitalter der Scharia, wo es sich bis heute trotz der amerikanischen Präsenz befindet.

Um sich diesen Fall bildlich vorzustellen, genügt ein Blick darauf, wie es mit den Frauenrechten im sozialistischen Afghanistan der 1970-er Jahre und im heutigen Afghanistan aussieht:

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