Die Postmoderne kennzeichnet sich grundsätzlich durch einen Wandel der Prozesse der Wahrnehmung und der daraus resultierenden Erkenntnis. Ein Faktor hierbei ist, dass die enorme Komplexität der wahrnehmbaren Realität den Zwischenschritt des Bildes als Kondensierung, Zusammenfassung, Vereinfachung, usw. der Realitätswahrnehmung unausweichlich wird, jedoch alsbald vom Simulacrum, dem Abbild einer Realität die nicht existiert, supplantiert wird. In der Praxis ist dies der Mechanismus, der fast jegliche (vermeintliche) Realitätserkenntnis zulässt, da diese durch Miteinbeziehen von jeweiligen Simulacra dialektisch erörtert werden kann. Der tatsächliche Treiber dieser Erkenntnis geht dabei auf das menschliche Wesen selbst zurück: Bekanntlich definiert der Mensch seine Ideen, Ansichten, Meinungen, usw. nicht vorwiegend rational sondern emotional, und der rationale Prozess, die Dialektik, ist eine allfällige mühsame und schmerzhafte Fortführung der Gestaltung dieser Gedankengänge. Indem aber durch das Simulacrum nicht mehr zwischen Realität und Simulation als Grundlage für diese Dialektik unterschieden wird, werden reflexartig die Bilder gewählt, gleichgültig ob Abbild oder Simulacrum, welche den ursprünglich ersuchten Gedanken untermauern, was schliesslich eine unbewusste Selbsttäuschung zulässt, welche emotionale Ansichten, das „soll“, mit vermeintlicher Realität, dem „ist“, gleichsetzen.

Dieser Sachverhalt, welcher sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, und in den letzten ca. 5-6 Jahren seine endgültige Gestalt angenommen hat, ist der Ursprung für die immer intensivere Spaltung zwischen unterschiedlichen Ansichten, welche, indem sie sich als dialektisch bestätigt sehen, nicht mehr bereit sind, weiterhin angezweifelt zu werden. Das, was sein soll, ist auch. Durch die Täuschung dieser vermeintlich dialektischen Erkenntnis kommt es ebenfalls zu umso intensiveren kognitiven Dissonanzen, da selbst ein aufgeklärter Geist mit einem Bruch der Erkenntnis konfrontiert wird, und der Eindruck entsteht, dass nicht sein Denken angezweifelt wird, sondern die Realität selber, da die Möglichkeit, dass diese Realität nicht über wahrheitsgetreue Abbilder sondern Simulacra erkannt wurde, im Unwissen über dieses Phänomen gar nicht erst miteinbezogen wird.

Ebenso wie Diskussionen durch den Eindruck, dass die Realität selbst geleugnet wird, verrohen und schliesslich verunmöglicht werden, da diese vermeintliche Leugnung der Realität extreme emotionale Reaktionen hervorruft, sieht sich auch der öffentliche Diskurs betroffen: Durch den zuvor beschriebenen Vorgang werden eigentlich subjektive, relative Ansichten folglich zu absoluten Wahrheiten, die gleichzeitig sehr begrenzt in der subjektiven Einschätzung sind (da sie selber im Grunde einer solchen subjektiven Einschätzung entstammen) und es bildet sich unweigerlich ein Narrativ, da die Möglichkeit, dass zwei absolute Realitäten, die einander entgegengesetzt sind, gleichzeitig existieren, nicht möglich ist. Wo es zuvor unterschiedliche Ansichten zum „soll“ geben konnte, z.B. man soll eine neue Autobahn bauen oder man soll sie nicht bauen, werden diese nun zu „ist“ Aussagen, z.B. die Autobahn wird gebaut und wer dies ablehnt stellt sich gegen die Gesellschaft, gegen das Gesetz, gegen die Demokratie, gegen die Moralität, gegen die Realität; oder, die Autobahn kann nicht gebaut werden, wer sie befürwortet  stellt sich gegen die Gesellschaft, gegen das Gesetz, gegen die Demokratie, gegen die Moralität, gegen die Realität. Ein banales Beispiel, welches bei solch trivialen Themen womöglich nicht in dieser Vehemenz auftreten würde, aber gerade deshalb die Absurdität dieses Mechanismus aufzeigt.

Dass sich ein Narrativ bildet, ist eine logische Auswirkung: Indem jede Ansicht jede Andere als der Realität entgegengesetzt sieht, so ist das erhebende Merkmal lediglich die Massivität, d.h. sobald eine Ansicht mehrheitlich ist, wird diese Mehrheitlichkeit zum Argument dafür, dass die minderheitliche Ansicht bzw. Realität die tatsächliche Realität leugnet, was zum Schlag gegen das Prestige durch Realitätstreue des jeweiligen Journalisten wird, wodurch er sich folglich gedrängt sieht, die vorherrschende Realität zu übernehmen. Indem also Meinungen und Realitäten verschmelzen, verschmelzt auch das „soll“ und das „ist“. Das gleiche Phänomen geschieht anschliessend in der generellen Auffassung der Bevölkerung, welche sich aufteilt in eine Mehrheit, welche, aus Überzeugung, durch Aufzwingen oder einfach nur durch Angst davor, ausgeschlossen und geächtet zu werden, das geltende Narrativ übernimmt, und einer Minderheit, die in ihrer eigenen Erkenntnis standhaft bleibt.