Letzte Woche war meine Frau morgens beim Bäcker, und da entspann sich ein interessantes Gespräch mit der Verkäuferin dort, die ein wenig von der Situation dieser Bäckerei erzählte. Meine Frau war nämlich verwundert, dass sie von einer bestimmten Sorte Brot morgens um sieben Uhr schon das letzte Exemplar des Tages bekam.
Nun sind Bäckereien ja nicht unbedingt die Betriebe, die einem als Erstes einfallen, wenn man über die Einschränkungen des Corona-Lockdowns nachdenkt. Immerhin dürfen die als Teil des Lebensmittelhandels ja nach wie vor offen haben im Gegensatz zu vielen anderen Einzelhändlern und Dienstleistern. Aber dennoch sieht es offenbar auch bei vielen Bäckereien gerade nicht so richtig rosig aus.
Und das hat mehrere Gründe. Natürlich kaufen die Menschen nach wie vor Brot, nur da eben viele mittlerweile aufgrund der Lockdown-Maßnahmen, weil sie deswegen in geringerem Maße oder überhaupt nicht mehr arbeiten können, weniger Geld zur Verfügung haben, muss dann eben am Essen gespart werden. Und dann wird das Brot eben nicht beim Bäcker gekauft, sondern stattdessen beim Discounter – die großen Lebensmittelkonzerne freut das, die kleinen Bäckereien eher nicht.
Dann sind Bäcker auch nicht nur Verkaufsgeschäfte, sondern auch Dienstleister. Heutzutage haben die meisten Bäckereien ja nicht nur eine Verkaufstheke, sondern auch Sitzplätze, man kann dort seinen Kuchen essen und auch gleich eine Tasse Kaffee dazubekommen. Das geht nun natürlich wegen des Lockdowns auch nicht mehr – eine weitere Einnahmequelle, die wegfällt, zudem auch noch eine mit einer guten Marge. Dass Gastronomiebetriebe vor allem an den Getränken gut verdienen, ist ja keine ganz neue Erkenntnis.
Was noch hinzukommt: In der Innenstadt ist generell lockdownbedingt wesentlich weniger los. Die meisten Geschäfte haben geschlossen, also fallen deren Kunden schon mal weg als potenzielle Bachwarenkäufer, und auch Schüler, die sich sonst immer mal vor oder nach dem Unterricht eine Laugenstange oder ein süßes Gebäck gekauft haben, kommen zurzeit nicht mehr in die Bäckerei, da sie eben nicht mehr zur Schule gehen.
Und das alles macht sich dann in Summe schon massiv bemerkbar. Und die Frage ist, ob der vorherige lukrative Zustand so einfach wieder in Gang gebracht werden kann, wenn denn dieser Lockdown vorbei und die Pandemie dank Impfungen unter Kontrolle ist.
Für die USA hat der Ökonom James K. Galbraith diese Problematik in einem Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik (leider zurzeit nur gegen Bezahlung lesbar – lohnt sich aber definitiv) geschildert. Viele Anbieter von Waren, aber vor allem auch Dienstleistungen existieren nämlich vor allem deshalb, weil wir als Volkswirtschaft generell in einem ziemlichen Überfluss leben. Kosmetik- und Tattoo-Studios, Friseure, Gastronomie, Fitnessstudios, viele Geschäfte, die elektronische „Spielereien“ verkaufen – das brauchen wir alles nicht wirklich zum Überleben, sondern es ist ein Luxus, an den wir uns allerdings ziemlich gewöhnt haben.
Mir hat beispielsweise als Kind noch meine Oma die Haare geschnitten (bis ich dann etwas älter war und darauf keinen Bock mehr hatte), essen gegangen sind wir als Familie nur sehr selten, es war auch nicht selbstverständlich, dass wir Kinder dauernd irgendwas zum Naschen gekauft bekamen, und Nagel- oder Tattoo-Studios gab es vielleicht ein paar in St. Pauli, aber eben nicht in jeder Kleinstadt oder gar auf dem Land. Diese Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen, aber ich denke, dass klar ist, worauf ich hinauswill, oder?
Die Menschen, die in diesem Bereich der „Luxus-„Betriebe arbeiten, sind dort allerdings nicht nur angestellt, sondern gehen selbst auch wiederum zum Friseur, ins Fitnessstudio, zum Kosmetikstudio, ins Restaurant, ins Kino usw. Dazu werden viele von ihnen nur auch nach dem Ende des Lockdowns nicht unbedingt wieder in der Lage sein, da ihre Arbeitgeber dicht gemacht oder Personal eingespart haben, weil ihnen die Einkünfte weggebrochen sind. Und wer keine Arbeit hat, nimmt eben weniger Dienstleistungen von anderen in Anspruch. Was auch für Menschen gilt, die verunsichert sind, zwar noch einen Job haben, aber dennoch aufgrund einer schlechten wirtschaftlichen Lage um ihren Arbeitsplatz fürchten.
Genauso ist es auch mit den Bäckereien wie derjenigen, in der meine Frau war, denn auch bei Bäckern basiert vieles auf „Luxus“, den sich Menschen eben sparen, wenn sie mit weniger Geld über die Runden kommen müssen. Die Folge: weniger Umsätze, weniger Personal, eventuell sogar Geschäftsaufgabe, sodass die dort Angestellten auch weniger Geld ausgeben können – und schon befinden wir uns in einer ziemlich hässlichen Abwärtsspirale.
Das ist eben auch der Hauptunterschied von einer Dienstleistungsgesellschaft zu einer Produktionsgesellschaft, wie Galbraith ja auch darlegt: In Letzterer fällt es leichter, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, indem man durch Geld positive Impulse schafft. Ich fürchte nur, dass unsere Regierungspolitiker, die ja überwiegend ohnehin ihren überkommenen neoliberalen ökonomischen Vorstellungen anhängen, die sich schon im letzten Jahrtausend, spätestens jedoch seit der Finanzkrise 2008 als falsch erwiesen haben, dann auch nur mit überkommenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf die herannahende Rezession reagieren werden, die eben nicht zu einer Dienstleistungsökonomie passen.
Und speziell im Kulturbereich wird es dann noch andere spezifische Schwierigkeiten geben, den Betrieb wieder zum Laufen zu bringen. Klar, Museen und auch Kinos können relativ einfach so wieder aufmachen, aber Konzerte beispielsweise sind mit einem gewissen Vorlauf verbunden: Die Künstler müssen gebucht werden, es muss ein Vorverkauf stattfinden, es müssen unter Umständen ganze Tourneen geplant werden – und das dann alles mit der Ungewissheit, ob denn in einigen Monaten, wenn das stattfinden soll, überhaupt solche Veranstaltungen möglich sein werden oder doch wieder alles abgesagt werden muss. Fürs Theater sieht es nicht viel anders aus, denn so ein Stück bringt sich ja nicht mal eben von jetzt auf gleich auf die Bühne, sondern es bedarf dazu zahlreicher Vorbereitungen. Und daran hängen übrigens nicht nur die Künstler und Veranstalter, sondern auch zahlreiche andere Branchen: Gastronomie, wo die Konzert- oder Theaterbesucher vor oder nach der Veranstaltung einkehren, Hotels, in denen Übernachtungen gebucht werden, Taxifahrer, welche die Menschen zu den Veranstaltungen fahren, und natürlich Kostümbildner, Schneider, Bühnentechniker, Visagisten bis hin zu Grafikern und Druckereien für Ankündigungsplakate – die Liste ließe sich hier noch reichlich lang fortführen.
Was noch verschärfend hinzukommt: Durch die coronabedingte Aussetzung der Insolvenzmeldepflicht seit letztem März wird, sobald diese wieder einsetzt, eine ziemlich große Insolvenzwelle auf uns zukommen. Das betrifft dann vor allem nicht nur Betriebe, die jetzt wegen der Pandemie große Einbußen hinnehmen mussten, sondern auch solche Unternehmen, die im Grunde finanziell noch gut aufgestellt sind, aber eigentlich schon insolventen Firmen zugearbeitet haben, sei es nun in Form von Dienstleistungen oder Warenlieferungen, und nun ihre Rechnungen nicht mehr bezahlt bekommen. Der Sinn einer Insolvenzmeldepflicht ist nämlich vor allem eine Schutzfunktion, die genau so etwas verhindern soll.
Dann dürfte auch dem Letzten klar werden, dass wir eine richtig fiese Wirtschaftskrise haben, wenngleich sich einige weniger ja bisher prächtig im Zuge der Pandemie bereichert haben. Aber das sind nun mal auch nicht diejenigen, die unsere Wirtschaft in der Breite tragen, tatsächliche Wertschöpfung erwirtschaften, für viele Arbeitsplätze sorgen – und natürlich auch Steuern zahlen.
Das dürfte also noch reichlich ungemütlich werden, selbst wenn die Corona-Pandemie dann unter Kontrolle sein sollte.
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