Wir sagen „Klimakrise“, weil es nicht nur um den Klimawandel, die Erderwärmung und den anstehenden Kollaps ganzer Ökosysteme geht, sondern auch und vor allem um die politische Krise (!) dahinter. Es geht um das politische Versagen verantwortlicher Politiker*innen angesichts des Untergangs der Menschheit, dessen sie sich sehr bewusst sind – und von dessen Symptomen sie trotzdem immer wieder überrascht werden. Wir leben in einer Krise des fehlenden Handelns der Menschheit angesichts des eigenen katastrophalen Schicksals. Und des Willes der verantwortlichen Politiker*innen, sich zu einem echten Versuch des Wandels aufzuraffen.
Wir sagen Corona-Krise aus den gleichen Gründen. Und wenn auch nicht im gleichen Ausmaß wie das Klima, so hat doch das Corona-Virus langsam eine sehr ereignisreiche Geschichte über sein Zusammenspiel mit der Menschheit geschrieben. Das Virus und die Menschen, das Virus und die Deutschen, es wird eine immer wendungsreichere und verzwicktere Geschichte. Eine Geschichte, die mir schon länger zu bunt geworden ist.
Ein schlechter Serien-Plot
Wenn Corona ein Film wäre, dann wäre es ein unglaubwürdiger, das habe ich jetzt schon öfter auf Twitter gelesen. Ich denke, die Corona-Krise ist mehr eine Serie, die mit jeder neuen Staffel konstruierter erscheint. Wie diese Serien, die einmal mit einer einzigen Staffel begonnen, sich aber ein Hintertürchen für einen weiteren Plot offen gelassen haben, und dann irgendwie gut liefen. Also wurde eben eine zweite Staffel gedreht und eine dritte, die von der vorherigen nicht so gut zu unterscheiden war. Und die unsere Geschichte schon weiter führte, aber halt auch nicht so richtig, und eigentlich, denk man sich, reicht es jetzt auch. Jetzt könnten die Protagonist*innen mal gelernt haben, mit der immer gleichen Herausforderung umzugehen, also bitte.
Und dann liest man, die vierte Staffel kommt und trotz allem Unbehagen muss man die wohl sehen, weil jetzt ist man schon so weit und man will schließlich ein Happy End. Doch schon während der ersten Folgen stellt man fest, dass es schon wieder genauso losgeht, wie in Staffel zwei. Und man denkt sich, jetzt muss ihnen doch mal was Neues einfallen – aber das tut es nicht. Die gleichen Protagonist*innen stehen vor den gleichen Herausforderungen und wieder verändert sich wenig. Natürlich sind da Nuancen, aber man ist frustriert und möchte gerne abschalten, aber loslassen ist dann auch nicht.
Da sind wir jetzt ungefähr. Wir steuern auf einen zweiten Winter zu, der sehr stark durch das Corona-Virus geprägt sein wird, und stecken dabei immer noch mitten in der Krise. Die verantwortlichen Politiker*innen sind größtenteils dieselben geblieben, die Held*innen auch, nur sind sie noch müder geworden und zahlenmäßig geschrumpft. Eine zunächst sehr mächtig scheinende Waffe gibt es auch, die allerdings nur wirken kann, wenn alle sie mittragen, aber das hat leider nicht so recht geklappt. Alles in allem stehen wir vor einer neuen Herausforderung, deren Grundtendenzen bekannt sind, zu der aber mehr Wissen, mehr Mittel und mehr Verständnis hinzukamen. Doch anstatt dies entschärfend zu nutzen, schlittern die Figuren in eine neue-alte Krise – und wirken relativ hilflos dabei.
Ein ernüchterndes Menschenbild
Jetzt wäre der Punkt, an dem sie abschalten würden, wäre die Corona-Krise ein Film, lese ich auf Twitter. Meiner war schon lange. Doch das Perfide an der aktuell laufenden Staffel ist, finde ich, dass ich mich nicht mehr mit dem Menschenbild identifizieren kann. In der ersten Staffel, da konnte ich mich noch hineinversetzen in die Aufregung, die Unsicherheit, die Angst aller Protagonist*innen, der Politiker*innen eingeschlossen. Da war die Herausforderung neu. Eine Pandemie, das hatte noch keine Figur regeln müssen. Und da war viel Solidarität, von allen für alle, und wo sie fehlte, konnten Unwissen und Angst das erklären.
Die vierte Staffel übertreibt nun, was in den letzten beiden schon eingeführt wurde. Die Unsolidarischen werden lauter, und sie werden gefährlich. Sie greifen direkt zu den Waffen, zum Glück nicht oft, wenn, dann aber intensiv. Doch vor allem bedrohen sie indirekt. Alle Unsolidarischen sind gefährlich, für alle Figuren. Sie sind die Schwachstellen in dem rettenden Plan, der Impfung und der Herdenimmunität, die so willkommen in der letzten Staffel großflächig eingeführt und gepriesen wurden. Es sind die Unsolidarischen, die mehr oder weniger wissentlich den ganz und gar überflüssigen Tod vieler in Kauf nehmen.
Es mag viele soziologisch und psychologisch erklärbare Gründe dafür geben – doch es fällt schwer, die Unsolidarischen in dieser Geschichte nicht langsam zusammen mit dem Virus auf die Seite des Bösen zu kartieren. Denn so wenig das Virus als biologisches Ding Absichten verfolgt, so viel ist es Menschen möglich, sich zu informieren, ihre Mitmenschen mitzudenken, Folgen abzuschätzen. Niemand kommt dieser Tage an den Berichten zu völlig ausgelasteten Intensivstationen und ausgebranntem Pflegepersonal vorbei. Und deswegen mag ich diese Staffel nicht – ich glaube nicht an das Böse in den Menschen. Bleibt noch die Unfähigkeit der verantwortlichen Politiker*innen zu Aufklärung und vor allem zu entschlossener Handlung. Auch hier fällt mir die Unterstellung von reinem kalten Machtkalkül schwer.
Es wird Zeit für eine neue Erzählung, damit dies die letzte Staffel bleibt. Es wird Zeit für ein Happy End – das gerne zu früh, zu schnell, zu unspektakulär und zu endgültig für diese durchwachsene Serie kommen darf. Ein bisschen Kitsch und heile Welt und schnell gelöste Probleme, das könnte ich jetzt vertragen.
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