Digital getriebene, stetig steigende Kundenerwartungen halten die Unternehmen auf Trapp. Sie erfordern eine synchronisierte Zusammenarbeit über alle Abteilungsgrenzen hinweg. Dieser Beitrag zeigt, was dabei zu beachten ist.
Der wichtigste Mensch im Unternehmen? Das ist der Kunde. Wenn ihm was nicht passt, ist er mit einem "Swipe" weg. Zudem kann im Web jeder erfahren, warum das so ist. So ist es der Kunde, der über Sein oder Nichtsein eines Marktplayers entscheidet. Doch klassische Organisationen haben ihn nicht mal im Organigramm. Selbst dort, wo man sich Kundenorientierung groß auf die Fahne schreibt, fehlen die Kunden im Schaubild der Organisation. Wie will man da von Customer Centricity reden? Sie wird zwar gelobt, aber nicht gelebt.
Tradierte Firmen hecheln dem, was Interessenten und Konsumenten wünschen und wollen, meist nur hinterher. Viele werden diesen Wettlauf verlieren. Während herkömmliche Manager sich vor allem auf die Konkurrenz, ihre Quartalsziele und die Kosten fixieren, hat die Elite der Jungunternehmer längst verstanden und auf dem Schirm, dass sich alles, wirklich alles um die Gunst der Kunden dreht.
Dort wird nicht die eigene Herrlichkeit abgefeiert ("Wir sind Marktführer in ..."), sondern gezielt nach Kundenproblemen und einer passenden Lösung dafür gesucht. Sämtliche Produkte, Prozesse und Technologien werden strikt um die Kundenbedürfnisse herum orchestriert. Der Experimentiermodus ist dabei ständig auf "on", denn die Erwartungen der Kunden ändern sich laufend. Und damit aus deren Sicht alles passt, werden Lösungen im Austausch mit den Kunden gemeinsam entwickelt.
Etablierte Unternehmen: selbstfokussiert und prozessadipös
Praktisch jedes erfolgreiche Unternehmen hat am Anfang seiner Geschichte einen kundenbezogenen Daseinssinn, quasi eine Berufung gehabt. "Es kann doch nicht sein, dass ...?" und "Wäre es nicht viel besser, wenn ... ?", mit solchen Startfragen ging es meist los. Von Ehrgeiz und Enthusiasmus beflügelt vollführte die Startcrew die anstehenden Aufgaben ganz im Interesse der Kunden mit Hingabe, Tatkraft und Leidenschaft.
Doch mit zunehmender Größe verwandeln sich die Unternehmen. Sie lösen sich von ihrem eigentlichen Beweggrund und werden zu einer Firma, die vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Die Lebendigkeit stirbt. Herz und Seele gehen verloren. Die Kunden werden zu einem Vorgang. Aus inspirierten Mitarbeitern werden mechanische Abarbeiter, die effizienzbasierten Vorgaben folgen. Eingezwängt in ein Korsett aus Regeln, Standards und Normen ist es ihnen oft einfach nicht möglich, Probleme unkompliziert und kundenfreundlich zu lösen, selbst wenn sie es wollten.
Immer neue Prozesse, ausufernde Verfahren und Vorschriftenberge entarten zu Selbsterhaltungsmechanismen ganzer Bereiche. Sie erzeugen keinerlei Wertschöpfung, sondern stützen die interne Wichtigkeit und dienen der Bedeutungserhöhung. Durch einen Verwaltungsapparat, der letztlich vom Kunden bezahlt werden muss, und eine aufgeblähte Vorgaben- und Kontrolladministration schaffen sich viele überhaupt erst eine Existenzberechtigung. Das blockiert nicht nur, es frustriert auch die Kunden.
Tunlichst sollen die sich in die von den Anbietern vorgedachten Abläufe fügen, umständliche Formalien akzeptieren, mit deren begriffsstutzigen Chatbots reden und im Takt ihrer altersschwachen Software ticken. Heißt: Die Klientel soll ackern, damit man selbst nicht so viel Arbeit hat. Manche Unternehmen sind richtig gut darin, Vorgehensweisen mühsam zu machen, einem die Zeit zu stehlen und schlechte Gefühle zu verbreiten. Niemand glaube doch bitte im Ernst, dass Kunden sowas lange erdulden!
So punktet man bei den Kunden von heute und morgen
Wirklich kundenorientiert ist nur der, der sämtliche möglichen Ärgernisse vom Kunden zum Anbieter verschiebt, sodass nur noch positive Erlebnisse übrigbleiben. Und das ist mehr als ein kleiner Unterschied. Denn jede schlechte Kauferfahrung, jedes miese Serviceerlebnis, jedes ungelöste Kundenproblem, jede einzelne Unannehmlichkeit ist ein Einfallstor für Disruptoren. Also gilt: Erst der Kunde, dann die interne Effizienz.
Zudem müssen, damit Kundenzentrierung wirklich gelingt, Silostrukturen abgebaut werden. Die eigentlichen Probleme, die man als Kunde bekommt, passieren ja meist crossfunktional: Kommunikations- und Abstimmungsprobleme im Gerangel zwischen Zuständigkeiten, Bereichsegoismen, Insellösungen und isolierten Projekten. Ein Kunde nimmt ein Unternehmen immer ganzheitlich wahr. Alles, was ihn betrifft, muss abteilungsübergreifend funktionieren und sich reibungslos miteinander verzahnen.
Eine kundenzentrierte Organisationsentwicklung ist unabdingbar. Denn Unternehmen werden heute von den Kundenwünschen gesteuert. Was den Kunden nervt oder ihn kalt lässt, fällt von jetzt auf gleich durch. Im Web wird man ständig zur Untreue verführt. Und die meisten Menschen lassen sich gerne verführen. Ergo: Nur, wenn es den Kunden großartig geht, wenn man deren Wünsche kennt und bedient, wenn man deren Leben besser oder sie erfolgreicher macht, geht es dem eigenen Unternehmen gut.
Zahlungsbereite Menschen, Toptalente und auch die Gesellschaft erwarten zudem, dass ein Unternehmen hehrere Ziele verfolgt als Marktführerschaft und Maximalrenditen. Sie wollen zunehmend wissen, wie ein Anbieter mit seinen Mitarbeitern und der Umwelt umgeht und wie er glaubhaft zu einer heileren Welt beitragen will. Die Zeiten von Wachstum auf Teufel komm raus und Profit um jeden Preis sind vorbei. Denn Tatsache ist: Das tradierte Wirtschaftssystem bedroht die Lebensgrundlage unseres Heimatplaneten.
Kunden sind Menschen - keine Nullen und Einsen
Im neuen Kundenbeziehungsmanagement geht es vor allem darum, wie sich ein Produkt, eine Lösung oder ein Service sinnvoll in das Leben beziehungsweise die Arbeit einer Person integriert. Doch klassische Manager haben sich den Kunden völlig entfremdet und Messpunkte aus ihnen gemacht. Die Kennzahlenflut, die auf ihren Dashboards erscheint, halten sie für die ganze Wahrheit. Smarte Konsumenten hingegen ducken sich mithilfe passender Tools ganz gezielt weg.
Das Kaufverhalten der Kunden ist bei weitem nicht so gläsern, wie uns die Software-Industrie vorgaukeln will. So bleibt das meiste, das die Menschen denken, sagen, kaufen und tun, den Cookies und Crawlern verborgen. Kunden sind eben keine Nullen und Einsen. Sie sind auch keine Datenpakete. Und ganz gewiss sind sie kein bürokratischer Vorgang, der sich vorgedachten Steuerungsmechanismen unterwirft.
Fast alle Manager glauben, wenn ich sie frage, sie seien in punkto Kundenorientierung schon richtig gut. Doch die Kluft zwischen Eigen- und Fremdbild ist riesig. Eine weltweite Studie des IT-Dienstleisters Capgemini hat ergeben: Während 80 Prozent der Führungskräfte denken, dass ihre Marke die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden gut kennt, bestätigen das gerade einmal 15 Prozent der Konsumenten.
Dieses gewaltige Maß an Selbstüberschätzung und ein verstellter Blick für das, was Kundenorientierung wirklich bedeutet, sind also eher die Norm. Insofern wäre es überaus hilfreich, dass alle Führungskräfte eine typische Customer Journey mal höchstpersönlich durchlaufen, um am eigenen Leib zu erleben, wie es den Kunden tatsächlich ergeht. So mussten bei einem Hersteller von Inkontinenzprodukten die Manager eine Woche lang rund um die Uhr Erwachsenenwindeln tragen - und diese auch verwenden.
Kundenzentrierung braucht kundenfokussierte Leader
Maßgeblich ist, was der Kunde in den "Momenten der Wahrheit" (Jan Carlzon) an den einzelnen Touchpoints, den Interaktionspunkten zwischen Anbieter und Kunde, tatsächlich erlebt. Demnach gilt es, diese so virtuos zu bespielen, dass Transaktionen für kaufwillige Kunden immer wieder begehrenswert sind und Aufpreisbereitschaft erzeugen. Ultimatives Ziel ist es darüber hinaus, ein engagiertes Weiterempfehlen zu bewirken. So kommt neue, gute Kundschaft fast wie von selbst.
Herausragende Customer Experiences lassen sich nicht an Service, Sales & Marketing wegdelegieren. Sie betreffen jeden im Unternehmen. Wenn nur ein einziger Mitarbeiter inkompetent patzt, war für den Kunden "dieser Saftladen" schuld. Jedes Vorkommnis kann dabei Zünglein an der Waage sein. Somit ist eine den Kundeninteressen dienende interdisziplinär synchronisierte Zusammenarbeit heute ein Muss.
Eine typische Customer Journey verläuft immer quer durch die Unternehmenslandschaft über alle Abteilungsgrenzen hinweg. Grundvoraussetzung dafür sind zeitgemäße Organisationsstrukturen, ein kundennahes Management und ein neuer Führungsstil: die kundenfokussierte Mitarbeiterführung. Diese erfordert:
• sichtbar gelebte Kundenzentrierung in der Chefetage,
• kundenfokussierte Spielräume statt starrer Prozesse,
• ein kundenorientiertes Verhalten aller Mitarbeitenden.
Die Schlüsselfragen, die sich ein kundenfokussierter Leader hierbei stellt:
• Interessiert mich das Kundenwohl wirklich – und wie zeige ich das?
• Sind Kunden in meinen Gesprächen regelmäßig und positiv präsent?
• Wie oft spreche ich über die Bedeutung der Kunden für die Firma?
• Bitte ich die Mitarbeiter regelmäßig um kundenfokussierte Vorschläge?
• Habe ich Kundenkontakt und lebe ich Kundenzentrierung sichtbar vor?
Solange allerdings Silostrukturen bestehen, braucht es einen abteilungsneutralen Vertreter der Kundeninteressen, der entlang der Customer Journey die jeweils involvierten Bereiche und Prozessketten miteinander verknüpft. Diesen Brückenbauer und Kundenadvokaten nennt man Customer Experience Manager oder Customer Touchpoint Manager. Hier dazu weitere Infos.
Der Kunde ist zentraler Bestandteil des Orbit-Modells. Die ersten beiden Artikel zum Orbit-Modell finden Sie hier:
Das Buch zum Thema – jetzt auch als Hörbuch: