Als Simon Singh und ich GESUND OHNE PILLEN[1] (die deutsche Übersetzung von TRICK OR TREATMENT[2] mit einem etwas irreführenden deutschen Titel) publizierten, war die Reaktion der deutschen Leserschaft eher durchwachsen. Hocherfreut waren wir darüber, dass unser Buch damals in Deutschland zum ‚WISSENSCHAFTSBUCH DES JAHRES‘ gewählt wurde. Betrübt hat uns jedoch, dass es sich nur recht zögernd verkaufte und weit davon entfernt war, ein Bestseller zu werden (alle anderen der rund 20 Übersetzungen waren deutlich erfolgreicher).

Das war im Jahr 2009.

Inzwischen scheint sich da einiges geändert zu haben.

Seit Jahrzehnten gab es auf dem deutschen Markt zur Alternativmedizin hauptsächlich Lobhudelei, d.h. Bücher, die diesen Bereich total unkritisch abhandelten und von Leuten verfasst waren, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hatten. Derartiges ist nicht nur beschämend, es gefährdet zweifelsohne auch die Gesundheit der Leser.

Solche Machwerke gibt es natürlich auch heute noch; um genau zu sein, sie dominieren weiterhin die Szene. Was sich geändert hat, ist die Tatsache, dass inzwischen mehr und mehr Werke publiziert werden, die erstens kritisch sind und zweitens von Experten verfasst wurden, die die wissenschaftlichen Grundlagen beherrschen. Autoren wie Natalie Grams[3], „Der Apotheker“[4], Christian Keil[5], Florian Aigner[6], und Nikil Mukerji[7] (sowie meine Wenigkeit[8]) sind nur einige von denen, die hier (jeweils unter differenten Gesichtspunkten) zu nennen sind.

Wieso ist das von Bedeutung?

Kritische Analysen im Gesundheitssystem sind wichtig; ich würde sogar meinen sie sind essenziell. Nur sie können Fortschritt herbei führen; Lobhudelei kann das ganz sicher nicht. Und in der Alternativmedizin gibt es zweifelsohne viel zu kritisieren. Nur wenn wir die Defizite erkennen und bloß legen, können wir hoffen, sie in Zukunft zu überwinden.

Ferner ist der Büchermarkt im gewissen Sinn auch ein Spiegel der Gesellschaft. Was in Deutschland publiziert wird, entspricht in etwa dem, was in deutschen Köpfen vor sich geht. So gesehen ist der Trend zu mehr kritischen Analysen ein Zeichen dafür ist, dass sich deutsche Leser nicht mehr jeden Blödsinn andrehen lassen. Kritisches Denken scheint in Mode zu kommen.

Eine jüngste Untersuchung aus München, impliziert, dass dieser Trend sogar bei jungen Allgemeinmedizinern angekommen zu sein scheint.[9] Hier wurden Jungmediziner zur ihrer Einstellung zur Alternativmedizin befragt, und es zeigte sich, dass sie im Vergleich zu älteren Kollegen deutlich skeptischer eingestellt waren. Sie bemängelten die fehlende oder wenig überzeugende Evidenz und setzten deutlich weniger dubiose alternativmedizinische Verfahren am Patienten ein.

Als ich noch ein medizinisches Grünhorn war, also vor rund 40 Jahren, war die Situation eher umgekehrt. Da waren die Jungen diejenigen, die für mehr Offenheit gegenüber der Alternativmedizin plädierten und die ‚alten Hasen‘ waren meist skeptisch. Diese Entwicklung führte dann schließlich dazu, dass es fast ‚politisch inkorrekt‘ wurde, auf Evidenz zu bestehen, wenn jemand mit seinen Bach-Blüten, Schuessler-Salzen, oder Kaffee-Einläufen daher kam. Viele Ärzte schienen in diesem verschwurbelten Klima die weise Warnung von Carl Sagan vergessen zu haben: „Keep an open mind, but not so open that your brains fall out.”[10]

Aber, wie gesagt, derzeit dominieren noch die Bücher, die mit Titeln wie ‚WER HEILT HAT RECHT‘ (der wohl dümmste Spruch in der deutschen Medizin[11]) das Blaue vom Himmel runter lügen. Dass sich das derzeit ändert, ist nur zu begrüßen. Der deutsche Büchermarkt passt sich langsam aber (hoffentlich) unaufhaltsam dem an, was im englischsprachigen Raum schon längst passiert ist. Denken wir nur an den enormen Erfolg von Ben Goldacre’s Buch ‚BAD SCIENCE‘ aus dem Jahr 2009.[12]

Kritik tut Not - in der Alternativmedizin tut sie sogar sehr Not! Endlich beginnen viele der Beteiligten zu begreifen, wieviel Schaden unkritische Promotion von Scharlatanerie anrichtet und wie notwendig und wohltuend eine Neuorientierung ist hin zur kritischen, evidenzbasierten Information im Sinne des Patientenwohls.


  1. Gesund ohne Pillen - was kann die Alternativmedizin?: Amazon.de: Singh, Simon, Ernst, Edzard, Fritz, Klaus: Bücher ↩︎

  2. Trick or Treatment?: Alternative Medicine on Trial: Amazon.de: Singh, Dr Dr. Simon, Ernst, Professor Edzard: Bücher ↩︎

  3. Was wirklich wirkt: Kompass durch die Welt der sanften Medizin: Amazon.de: Grams, Dr. med. Natalie: Bücher ↩︎

  4. Die Wahrheit über unsere Medikamente: Wann sie helfen. Wann sie schaden. Wann sie Geldverschwendung sind: Amazon.de: #DerApotheker: Bücher ↩︎

  5. Fakemedizin: Falsche Heilversprechen skrupelloser Ärzte und gerissener Gurus: Amazon.de: Kreil, Christian: Bücher ↩︎

  6. Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl: Eine Liebeserklärung an die Wissenschaft: Amazon.de: Florian Aigner: Bücher ↩︎

  7. Die 10 Gebote des gesunden Menschenverstands: Amazon.de: Mukerji, Nikil: Bücher ↩︎

  8. Alternativmedizin - was hilft, was schadet: Die 20 besten, die 20 bedenklichsten Methoden GU Reader Körper, Geist & Seele: Amazon.de: Ernst, Edzard: Bücher ↩︎

  9. How Young German General Practitioners View and Use Complementary and Alternative Medicine: A Qualitative Study - PubMed (nih.gov) ↩︎

  10. Skeptic » Insight » A Skeptical Maxim (May) Turn 75 This Week ↩︎

  11. Wer heilt hat Recht! Der vielleicht dümmste Spruch in der Geschichte der deutschen Medizin (publikum.net) ↩︎

  12. Bad Science: Amazon.co.uk: Goldacre, Ben: Books ↩︎

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