Vor einiger Zeit las ich einen Artikel auf heise online, in dem es darum ging, dass eine künstliche Intelligenz (KI) nun wohl schon bald einen musikalischen Hit schreiben könnte. Spätestens jetzt sollte einem klar werden, dass die Verwendung von KI offensichtlich komplett verkehrt gedacht wird.
Wie entsteht denn „normalerweise“ ein Song? Nun, da hat jemand eine Idee und das Bedürfnis, sich auszudrücken oder eine Idee auf musikalische Weise zu transportieren, sodass er das dann eben in Form einer entsprechenden Komposition umsetzt. Wenn anderen Menschen dies zusagt, sie davon vielleicht sogar emotional berührt werden, dann hören sie sich den Song an, auch mehr als einmal, sodass das dann ein Hit wird. Oder dass zumindest der Künstler etwas davon hat, indem er Tonträger oder Donwloads verkauft und Konzerte vor Zuschauern spielt.
Und wie sieht das aus, wenn eine KI Musik schreibt? Na ja, zunächst einmal muss man sich vor Augen halte, dass eine KI in dem Fall gar nicht weiß, dass sie Musik schreibt. Sie weiß nicht mal, was Musik eigentlich ist, denn sie hat Musik auch noch nie erlebt. Ihre musikalisch „Erfahrung“ basiert ausschließlich auf der massenweisen Einverleibung von gestohlenem geistigen Eigentum anderer (s. dazu hier), das dann entsprechend analysiert und rekombiniert wird, um so eine möglichst große Deckungsgleichheit mit dem zu erzielen, was als Massengeschmack analysiert wurde.
Klingt jetzt insgesamt ein bisschen weniger romantisch als die menschliche Variante des musikalischen Entstehungsprozesses, oder? Und eben so, als würde man das Pferd von hinten aufzäumen, indem man nämlich ausschließlich vom Produkt ausgeht und nicht von der Intention des Musikers, die ja Kunst eigentlich zugrunde liegen sollte.
Klar, dass der Künstler nicht mehr unbedingt im Mittelpunkt steht und viel Musik mittlerweile ausschließlich unter kommerziellen Gesichtspunkten produziert wird (als Gipfel dieser Entwicklung kann man so was wie Castingshows sehen, bei denen die Interpreten letztlich austauschbar sind und von vornherein klar ist, welcher Produzent denen Lieder auf den Leib schreibt), ist ja nichts ganz Neues mehr, sondern eine Entwicklung, die seit einigen Jahrzehnten deutlich an Fahrt aufgenommen hat. Und die ja auch oft genug kritisch gesehen wird, wenn sich Menschen beispielsweise darüber beschweren, dass es „heute ja gar keine gute Musik mehr gibt“.
Doch, die gibt es, nur ist leider die Produzentenmusik mittlerweile derart omnipräsent auf allen Kanälen, dass man nach wirklich von Musikern mit Intention geschriebener Musik schon ein bisschen suchen muss. Aber das ist eben eine „normale“ Entwicklung in einer nur auf Profitstreben getrimmten Gesellschaft, da bildet dann die Kunst leider keine Ausnahme.
Das ist übrigens nicht nur bei der Musik der Fall, sondern auch bei Streamingdiensten wie beispielsweise Netflix, wo es mittlerweile Vorgaben dafür gibt, wie Serien gestaltet werden sollen, wenn Netflix diese produziert (s. hier). Was dann zu einem ziemlichen optischen Einheitsbrei führt. Aber auch die Konsumenten von Filmen und Serien gehen da ja durchaus mit, indem künstlerischer Ausdruck für viele kaum noch zählt, sondern es nur noch um die Quantität der angesehenen Filme und Serien geht, die sich dann via „Speed Watching“ (s. hier) reingegiert werden.
Das ist nun auch bei der Musik nicht unähnlich, denn auf gängigen Hörgewohnheiten und Stereotypen basierende Songs waren schon immer recht erfolgreich – klar, wenn die Melodie so einfältig ist, dass man die gleich beim ersten Hören mittträllern kann, dann hat man das auch schnell im Ohr -, bilden mittlerweile aber eher die Regel als die Ausnahme, zumindest was die mediale Präsenz angeht.
Wenn es also in erster Linie darum gehen soll, möglichst massenkompatible musikalische Pattern zusammenzubasteln, dann kann man das doch auch gleich eine KI machen lassen, oder? Zumal man dann noch nicht mal einen Interpreten dafür braucht, der sich vielleicht mal zickig gebärden könnte bei Erfolg und dann sogar so was wie Ansprüche gegenüber dem Produzenten anmeldet. Wie praktisch!
Nun ist „praktisch“ in der Kunst allerdings m. E. nicht eben ein Gütesiegel. Praktische Sachen berühren niemanden, wühlen nicht auf, regen selten zum Nachdenken an und inspirieren auch nur wenige, selbst künstlerisch tätig zu werden. Ein Passfoto ist mit Sicherheit eine praktische Sache, wird aber eben auch sehr selten in einer Kunstgalerie ausgestellt …
Kunst ist ja nun mal etwas zutiefst Menschliches, und das wird nun durch KI technisiert. Fragt da eigentlich mal jemand, was der Vorteil davon ist? Übernimmt die KI hierbei dann, was ja immer von deren Befürwortern als Argument vorgebracht wird, Arbeitsprozesse, die niemand gern macht? Da hab ich nun allerdings nicht so ganz den Eindruck, dass es viele Musiker gibt, die sich freuen würden, wenn sie nicht mehr Musik schreiben können, sondern stattdessen bei Lidl an der Kasse sitzen oder Pizza ausliefern müssten.
Hier liegt m. E. mal wieder eine Verselbstständigung von Technik vor: Man entwickelt etwas, weil man es kann, und lässt dabei außer acht, was denn die Folgen davon sein könnten und ob das überhaupt jemand braucht. Dass dieses ganze KI-Gedöns dabei dann auch noch einen Berg Ressourcen verschlingt, kommt noch hinzu – erst recht wenn diese KI dann für etwas ohne jeden gesellschaftlichen Mehrwert genutzt wird.
Und was noch hinzukommt: Kunst wird so entwertet. Dafür braucht es dann nämlich, wenn die KI das zumindest manierlich hinbekommt, kein Talent, keine Inspiration und keine Übung mehr, sondern nur noch ausreichend Rechenpower. Und dabei dürfte dann auch wenig tatsächlich Neues entstehen, denn eine KI kann ja nur bereits Vorhandenes neu kombinieren, um daraus dann etwas zu schaffen. Der menschliche Faktor, der beispielsweise das künstlerische Potenzial eines unbeabsichtigten Fehlers erkennt und daraus dann etwas Neues weiterentwickelt, ist ja bei der KI nicht vorhanden. Genauso wie kreativer Irrsinn, einfach mal was komplett Aberwitziges auszuprobieren. Dafür dürfte kein Platz sein bei einer KI, die von Leuten entwickelt wird, um ein möglichst verkaufsträchtiges Kunstprodukt herzustellen.
Nun kann man natürlich sagen, dass es immer noch Menschen geben wird, die auf Musik, die von anderen Menschen gemacht wird, stehen. Allerdings muss man berücksichtigen, dass Medien immer auch Menschen prägen, und gerade junge Menschen, die mit bestimmten Medien aufwachsen, haben dann auch oft ein anderes Medienkonsumverhalten und damit eine andere Art der Kunstrezeption, wie ich ja vor ein paar Monaten schon mal in einem Artikel am Beispiel TikTok beschrieben habe. Und wenn irgendwann immer weniger Menschen nachkommen, die sich für menschgemachte Musik interessieren, dann wird die Situation für die Künstler auch nicht gerade rosiger, sodass es weniger menschgemachte Musik geben wird. Abwärtsspirale und so …
Insgesamt gesehen dürfte diese Entwicklung von Musikporduktions-KI zu einer Verarmung der Kultur und einer Verarmung der Künstler führen. Und ob das nun unbedingt gesellschaftlich wünschenswert ist, wage ich doch glatt mal sehr zu bezweifeln.
Wer natürlich davon profitieren würde, sind diejenigen, die Musik dann als Produkt vermarkten, da sie sich noch mehr Gewinne einstreichen können. Schließlich kann der Produktionsprozess standardisiert werden, wird dadurch günstiger und berechenbarer. Aber das ist natürlich auch nicht eben überraschend, dass dann auch im Kunstbereich die Vielfalt durch monopolisierte Einfalt ersetzt wird, denn so funktioniert nun mal der viel gelobte „freie Markt“.
Nicht so wirklich tolle Aussichten für Liebhaber von Musik und anderer Kultur …
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