Wenn es ein Unwort unserer Zeit gibt, dann ist dieses Wort „Demokratie“. Nicht weil an der Demokratie selber etwas auszusetzen wäre, sondern weil der Ausdruck selber inzwischen so sehr missbraucht wurde, immerzu als Wurfgeschoss eingesetzt, zur Rechtfertigung von allem Schund und Stümperei dient, und weil er schliesslich auch noch für den Anspruch auf moralische Überlegenheit herhalten soll. Wir sind in jedem Konflikt die Guten, alles was wir tun ist richtig, und wir dürfen allen anderen vorschreiben wie sie fressen und scheissen sollen, denn uns wohnt der heilige Geist der Demokratie inne, so scheint die derzeitige Auffassung zu sein.

Wenn bei uns dann natürlich Untaten geschehen, ist es halb so wild; wenn bei uns den Menschen ihre Grundrechte negiert werden, weil sie den experimentellen Impfstoff nicht wollen, ist es halb so wild; wenn in England Leute festgenommen werden, weil sie derbe Scherze im Internet verbreiten, ist es halb so wild; wenn in der ultrademokratischen Schweiz ein Mann wegen „nicht zeitgerechter Ansichten“ verurteilt wird, ist es halb so wild; wenn amerikanische Politiker anderer Länder Souveränität verletzen, ist es halb so wild; wenn ein Vergewaltiger einer Minderjährigen eine Bewährungsstrafe bekommt, ist es halb so wild; wenn die Leute bald nicht mehr Heizen können, wegen eines Wirtschaftskrieges den sie vielleicht gar nicht wollten, ist es halb so wild. Es ist alles halb so wild, denn es geschieht alles mit dem Segen der Demokratie.

Es wäre interessant zu studieren, ab wann genau es begann zu passieren, dass die Bedeutung der Worte einfach vollkommen gleichgültig wurde, und stattdessen nur ein emotionaler Gedankengang vorlag. Demokratie ist Demokratie, die Herrschaft des Volkes, es bedeutet nicht Rechtsstaat, es bedeutet nicht Gerechtigkeit, es bedeutet nicht Freiheit. Demokratie kann an sich extrem ungerecht sein, wie schon der derbe Scherz sagt (für den der Autor hoffentlich nicht im demokratischen Gulag landet): „Neun von Zehn Menschen sind mit Gruppenvergewaltigung einverstanden.“ Zumal wird gesagt, dass eine pure Demokratie nichts anderes wäre, als die Diktatur der Mehrheit. Dann könnte man entscheiden, dass Rassismus und sonstige Diskriminierung von Minderheiten ja in Ordnung ist, ganz demokratisch. Obwohl genau das ja eigentlich in den letzten zwei Jahren passiert ist, und es wurde auch demokratisch legitimiert, weil es eben nur eine Minderheit betraf. Das System funktioniert.

Warum also sollte die Demokratie für einen Staat eine höhere Legitimierung sein, die diesem auch noch das Recht erteilt, über andere moralische Urteile zu fällen? Erstens einmal würde das mehrere Jahrtausende politischer Entwicklung der Menschheit illegitim machen, und andererseits wäre eine Demokratie, worin (ganz demokratisch) Menschenrechte missachtet und Leute unterdrückt werden legitimer, als eine Autokratie oder Monarchie worin die Menschen eine weitreichende Freiheit besässen und vom Staat mit höchstem Respekt behandelt würden. Die konventionelle Logik sagt, da in einer Demokratie das Volk seine Regierung wählt, wird es logischerweise eine Regierung wählen, die das Volk achtet und ihre Interessen vertritt. Aber es gibt ja je nach Demokratie wenig Auswahl: In den USA gibt es im Grunde zwei Parteien, die in vielerlei Hinsicht, z.B. in der Aussenpolitik, völlig einverstanden sind. Kann es denn wirklich sein, dass über 90% der Wähler dafür sind, sinnlose Kriege in Mittelosten zu führen, die Ukraine massenhaft mit Waffen zu beliefern, Israel bedingungslos zu unterstützen und seine Verteidigung zu finanzieren, oder China diplomatisch auf der Nase herumzutanzen? Man könnte ja sagen, die Wähler sollten sich ansonsten für eine der anderen Parteien entscheiden, aber in der Praxis schaffen diese, aufgrund fehlender Finanzierung, so gut wie nie den Sprung zur tatsächlichen politischen Relevanz. Was ist das eigentlich mit der Demokratie, worin nur die zwei politischen Kräfte, die viele Millionen an Spendengelder bekommen, auch erfolgreich sind? Wenn es doch einzig und allein nach den Interessen des Volkes ginge, wären doch solche Spendengelder fast vollkommen unnütz.

Winston Churchill sagte bekanntlich: „Es wird gesagt, dass die Demokratie die schlechteste Regierungsform ist, mit Ausnahme aller anderen die probiert wurden.“ Dieser Text soll kein Plädoyer gegen die Demokratie sein, wohl aber gegen die Demokratie als ultimative Legitimation. Denn unter den Banner, oder besser gesagt, hinter dem Banner der Demokratie, spielt sich vieles ab, was nicht gerecht ist, was die Freiheit des Individuums untergräbt, und was sogar nicht sehr demokratisch ist; und je mehr dieses Wort „Demokratie“ als Seligsprechung verwendet wird, umso mehr wird all das verdeckt, was eigentlich, gemäss dem Sinn eines demokratischen Staates, in dem das Volk für das Volk regiert, gar nicht geschehen sollte. Die derzeitige Handhabung des Wortes „Demokratie“ entspricht nicht einem freien Land, worin das Volk der Souverän ist, sondern einer totalitären Bewegung, worin im Namen der Ideologie, des Volkes, des Vaterlandes oder was auch immer, alle im Gleichschritt mitmachen sollen, alle genau gleich denken sollen, und möglichen Gräuel und Schrecken verbrochen werden. Denn genau das ist es auch, was heute aus der Demokratie gemacht wurde: Die demokratischen Staaten, zusammengeschlossen in einer gleichgeschalteten Bewegung, worin alle die gleichen Ansichten vertreten, worin alle die gleichen Ideale verfolgen, worin aller genau gleich denken sollen, drängen sich den bösen Autokratien auf und wollen ihre Regierungen stürzen. Und dabei geht eine einfache Logik vergessen: Wie ist es überhaupt demokratisch, einem anderen Land eine Regierungsform aufzwingen zu wollen?