Mein politisches Handeln fing so richtig mit dem Kampf gegen die sog. Freihandelsabkommen neueren Stils an wie TTIP, CETA et cetera. Das sind eigentlich Umweltzerstörungs- und Demokratiezersetzungsabkommen. Damals durften nicht einmal die von uns gewählten Abgeordneten erfahren, worum es da ging. Irgendwann durften sie dann nach Protest Dokumente einsehen, aber nicht kopieren. So geheim war die geplante Machtübernahme der Konzerne. Damals gingen Hunderttausende auf die Straßen. Hier hatte ich mal was zu TiSA geschrieben, was vollständig unter dem Radar lief und noch viel absurder geheim verhandelt wurde.

Heute kommunizieren die ganz offen, wo sie hinwollen. Ja sie schreiben gar rotzfrech Bücher darüber und geben Interviews und erfahren noch breitere Unterstützung von Politik und Medien. Aber für einige von denen, mit denen ich früher die gleiche Meinung teilte gegen die Freihandelsabkommen, sind diese Bücher oder Interviews von Mächtigen und/oder Milliardären jetzt Verschwörungstheorien. Also nicht die Bücher oder Interviews selbst, sondern wenn Menschen darüber schreiben, was in den Büchern steht oder was die maßgeblichen Akteure selbst von sich geben.

Ich habe mich damals auch als Organ der Rechtspflege und Demokrat gegen diese Freihandelsabkommen gewehrt, weil sie die Parlamente entmachten und die Exekutive stärken sollten, weil sie die Judikative durch Schiedsgerichte aushebeln sollten und schließlich allein die Drohung vor milliardenschweren Klagen für entgangene Gewinne Staaten davon abhalten sollte, überhaupt gemeinwohlorientierte Gesetze zu erlassen. Denn für derlei Frevel hagelte es Klagen nicht wegen eines tatsächlichen Schadens, sondern weil der Konzern nicht die Gemeingüter wie Bodenschätze, saubere Luft, sauberes Wasser etc. bzw. die Lebensqualität und Gesundheit der Bevölkerung billig ausbeuten und märchenhafte Gewinne einstreichen konnte. Diese Gewinnerwartung sollte neuerdings der Schaden sein, den die Allgemeinheit Shareholdern zahlen sollte.

Es scheint fast so, als hätten die Konzerne und ihre Shareholder aktuell andere Wege gefunden, ihre Stellung auszubauen und sich die Taschen vollzumachen und die Umwelt- und Demokratiebewegung wagt keine Kritik mehr. Im Gegenteil, sie hat im Endeffekt in großen Teilen mit dazu beigetragen und es teils geradezu herbeigeschrien, dass mit der Reform des Infektionsschutzgesetzes am 21. April 2021 die Legislative, die Judikative, der Föderalismus und die Gewaltenteilung insgesamt geschwächt und die in der Coronapanedemie ohnehin bereits übermächtige Exekutive massiv gestärkt wurde. So ergibt das mit diesen checks and balances auch Sinn: Die Exekutive hat die anderen Gewalten weggecheckt und diese balancieren nur noch auf einem schmalen Grad. Gleichzeitig findet die größte Umverteilung von öffentlichem Vermögen zu Privaten statt. Konzerne und deren Shareholder freuen sich über eine Neuordnung und Zementierung der Kräfteverhältnisse und die breite Unterstützung der Zivilgesellschaft. Was genau versteht denn die Umweltbewegung eigentlich unter system change? Was versteht Fridays for Future unter system change?

Angesichts der sehr ungleichen Kräfteverhältnisse sollte man als Zivilgesellschaft aufhören, sich durch hanebüchenen Quatsch unnötig spalten zu lassen und gemeinsam an einem Strang ziehen, wenn man denn irgendwas gegen die großen heraufziehenden Krisen unserer Zeit auf halbwegs demokratischem und gerechtem Weg ausrichten will. Und dazu ist es notwendig, die Stellung der Machtfrage wieder legitim zu machen und nicht alles pauschal in den Bereich von Verschwörungstheorien zu rücken. Denn eines dürfte mehr als deutlich geworden sein:

Wer die Machtfrage nicht stellt, gestaltet nicht, sondern wird gestaltet.


(Foto: vituscolomba auf pixybay.com)

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