Die Bundesregierung hat ein Imagevideo zur Corona-Pandemie produzieren lassen, das wohl lustig sein soll, bei mir aber eher ungläubiges Staunen ob des darin präsentierten Zynismus ausgelöst hat.
Doch seht selbst, hier findet sich das Video auf YouTube, leider konnte ich das zurzeit nur auf dem Kanal der BILD finden (was aber irgendwie auch schon wieder passend ist): https://www.youtube.com/watch?v=KQemhii-PHs
Passives Auf-der-Couch-Liegen mit Chips- und Pizzafressen sowie Brausegetränken aus Dosen als glorifiziertes Heldentum.
Was für ein Hohn all denjenigen gegenüber, die nicht einfach auf der Couch liegen bleiben können, sondern zur Arbeit gehen müssen, sich dabei in überfüllte Busse und Bahnen quetschen oder sogar mit Covid-19-Patienten zu tun haben.
Was für ein Hohn all denjenigen Studenten gegenüber, die gerade ihre Minijobs verloren haben und sich nun reichlich verschulden müssen, um die Miete für die Bude, in der die Couch steht, und die Kohle für Chips und Pizzaservice (den sich vermutlich von diesen Studenten kaum noch jemand leisten kann) aufbringen zu können.
Was für ein Hohn all den Pizzaboten und sonstigen Auslieferern gegenüber, die sich so einen kommoden Lebensabend, wie ihn der alte weiße Mann in dem Video offensichtlich genießen kann, aufgrund ihrer prekären Beschäftigung nie werden leisten können und die nun in dem Video dem zu Hause bleibenden Nichtstuer sein „Heldentum“ ermöglichen. Tja, die können wohl nicht so einfach in der Wohnung bleiben, wie man sieht, und viel älter als der „Held“ sieht die Pizzazustellerin in dem Video auch nicht aus.
Was für ein Hohn all denjenigen Soloselbstständigen, Künstlern und in der Veranstaltungsbranche Beschäftigten gegenüber, die nun gerade zwangsweise zu Hause auf der Couch bleiben und zusehen müssen, wie sich ihre über Jahre aufgebaute Existenz in Luft auflöst.
Was für ein Hohn all den psychisch Kranken gegenüber, die unter den Lockdown-Maßnahmen oft deutlich mehr zu leiden haben als der „Durchschnittsbürger“, gegenüber den Alleinstehenden, denen die Einsamkeit aufgrund reduzierter Kontaktmöglichkeiten häufig sehr zu schaffen macht, den Menschen mit Soziophobien, die nun eine für sie allerdings überhaupt nicht gute Vermeidungsstrategie geliefert bekommen haben.
Was für ein Hohn allen Kindern und Jugendlichen gegenüber, denen nun wichtige Erfahrungen, die sie eben nur im Umgang mit anderen haben, vorenthalten werden, denen so viele wunderbare Momente verloren gehen (ich denke da nur an die Abiturienten, die keine Möglichkeiten zu Abifeiern oder -fahrten haben – für mich persönlich war das beispielsweise eine sehr prägende Zeit, die zudem viele langjährige Freundschaften begründet hat).
Der Historiker und Publizist René Schlott hat passende Worte dafür in einem auch sonst lesenswerten Kommentar auf Deutschlandfunk Kultur gefunden:
Denn wir leben Ende 2020 in einem eindimensional normierten Maßnahmenstaat, der in vermeintlich ironischen, eigentlich aber zynischen Videobotschaften nicht etwa den Gesundheitsschutz durch Bewegung und eine ausgewogene Ernährung propagiert, sondern die von Fernsehen, Chips und Cola begleitete Lethargie zum Ideal stilisiert.
Da ist auch einiges dran, denn sein Immunsystem stärkt man durch das in dem Video als heldenhaft präsentierte Verhalten mit Sicherheit nicht – und gerade ein gutes Immunsystem könnte ja vielleicht in Zeiten einer Pandemie durchaus sinnvoll sein …
Und dann schwingt da natürlich auch noch etwas mit, was mir schon in den Wochen zuvor immer mal wieder aufgefallen ist: Stimmungsmache gegen Jugendliche.
Wenn es um die Kritk am „Partymachen“ geht, dann ist damit ja in der Regel nicht die Feier zu Opas 80. Geburtstag gemeint, sondern es wird eben das assoziiert, was junge Menschen gern machen: ausgehen, tanzen, feiern. Dazu haben sich beispielsweise schon recht treffend Albrecht Müller auf den NachDenkSeiten und Jens Balzer auf Zeit Online vor einigen Wochen geäußert, dass hier nun „Jugend“ als eine Art Feindbild aufgebaut wird im Sinne von: „diese rücksichtslosen Jugendlichen“.
Und das sind dann die, die noch vor Kurzem von Erwachsenen gefordert haben, ihnen nicht weiter die Zukunft zu versauen und endlich was gegen den Klimawandel zu unternehmen. Aber nun sind die selbst nicht so sehr betroffen wie ältere Menschen, und da ist denen dann auch alles egal! Also wirklich!
Was für ein perfektes Seznario, um Fridays for Future und deren berechtigte Forderungen zu diskreditieren. Und nebenbei kann so auch noch ein weiterer Schauplatz beim leider sehr erfolgreichen Teile-und-herrsche-Spiel aufgemacht werden: Jung gegen Alt.
Ich hab natürlich auch in den letzten Monaten Gruppen von Jugendlichen gesehen, die keinen Wert auf Abstand legen. Aber eben auch genau solche Gruppen von Erwachsenen. Und Eltern, deren Kinder in Geschäften ohne Mundschutz rumtoben. Und vir allem auch ältere Menschen, die beispielsweise beim Einkaufen überhaupt nicht auf Abstand achten und sogar noch patzig werden, wenn man sie darauf anspricht.
Aber es geht ja nicht um generell rücksichtsloses Verhalten, denn das ist ja schließlich eines der zentralen Dogmen des Neoliberalismus (s. hier und hier), sondern darum, die Menschen gegeneinander aufzuwiegeln und Sündenböcke zu präsentieren. Eine beliebte Vorgehensweise von Rechtsextremisten und -populisten – unsere Regierung macht’s halt genauso. Und haut sogar noch öffentliche Gelder raus, um das Ganze dann in Form eines widerwärtigen und zynischen Videos unter die Menschen zu bringen.
Jan Böhmermann hat auf diesen Mist die passende Antwort und auch zwei Videos in ähnlichem Stil und mit der gleichen Tonalität produziert, bei denen einem dann schon das Lachen im Halse stecken bleiben kann. Die beiden Clips kann man sich auch auf YouTube anschauen: https://www.youtube.com/watch?v=ydrOLEe_xNo und https://www.youtube.com/watch?v=UJ_-VICjCTM.
Und da wird dann sehr eindringlich gezeigt, dass Nichtstun und Passivität alles andere als heldenhaft und zudem schon ein elementarer Bestandteil des alltäglichen Lebens vieler Deutscher sind, nämlich wenn es um ertrinkende Flüchtlinge und Rechtsextremisten bei Polizei und Bundeswehr geht.
Ach ja, stimmt, da war doch was … die Probleme gibt’s ja auch noch …
Die interessieren den deutschen Untertan zurzeit nur nicht so wirklich, denn die betreffen und bedrohen ihn ja nicht selbst. Der schaut sich dann lieber Werbevideos seiner Obrigkeit an und freut sich an der dort präsentierten Muckeligkeit – die ihm dann auch noch schön suggeriert: Nach Corona geht alles wieder so seinen schönen geregelten Gang wie zuvor, darum werden wir danach dann auch genauso weitermachen wie zuvor, und wir werden irgendwann alle mal schmunzelnd auf diese Zeit zurückblicken.
Schon interessant, wie so ein kleines dümmliches Video die Intentionen unserer politischen Führung offenlegt, wenn man nur mal ein bisschen genauer hinschaut.
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