Es  grüßt mal wieder von fern her ein Murmeltier. Mit der Zuverlässigkeit eines alten Kübelwagens oder VW Käfer wird alle paar Jahre die Sau durchs Dorf getrieben, in Deutschland seien Lebensmittel viel zu billig, die Deutschen in toto ein Volk von Sparfüchsen und Billigfraßfressern. (Moment mal! Eine Sau durchs Dorf treiben? Denkt denn keiner an das Tierwohl???!) Das war Quatsch und ist Quatsch. Die Ausgaben der deutschen Privathaushalte für Lebensmittel bewegten sich 2014 im soliden europäischen Mittelfeld und unterschieden sich nur marginal von  denen in Frankreich und Italien

Ich habe mich schon 2014 ausführlich damit befasst und auch entsprechende Zahlen hinterlegt. Glaube kaum, das sich seither im Kern was geändert hat. Warum soll ich mich also wiederholen?


Welcher Anteil des jeweiligen Haushaltseinkommens in den Kauf von Lebensmitteln fließt, hat zudem kaum etwas mit mehr oder weniger Wertschätzung für hochwertige Lebensmittel zu tun, sondern vor allem mit Armut und Reichtum. So wurde 2014 ausgerechnet in den ärmsten Ländern Europas, bekanntlich alles ausgewiesene Gourmetparadiese, anteilig am meisten für Lebensmittel ausgegeben.

Höhere Lebensmittelpreise kommen nicht zwingend bei den Erzeugern an und führen, etwa im Fall von Fleisch, auch nicht zwingend dazu, dass die generierten Mehreinnahmen gleichsam an die Tiere weitergegeben werden in Form besserer Haltungsbedingungen. Es sollte einem vielleicht was sagen, dass unter den reichsten Deutschen zwei Familien sind, die ihre Milliarden im Lebensmitteldiscount gemacht  haben: Lidl-Gründer und -Supremo Dietrich Schwarz sowie die Erben der verstorbenen Albrecht-Brüder. Das hat seine Gründe:

"Der Deutsche sollte seiner Nahrung mehr Wertschätzung entgegenbringen. Dahinter steckt die Vorstellung, höhere Lebensmittelpreise würden von Handel und Herstellern bis zum Acker durchgereicht. Im Gegenteil: Die vielen EU-Subventionen für die Bauern kassiert der Handel kaltlächelnd wieder ein. Das ist der Hauptgrund, warum »bio« im Supermarkt so billig ist. Außerdem ist der Vorwurf der Agrarlobby an Verbraucher, die sparen wollen, heuchlerisch. Die meisten Landwirte kaufen am liebsten im Discounter ein. Wenn ihnen eine gehobene Qualität so wichtig ist, können sie jederzeit mit gutem Beispiel vorangehen, statt mit dem Finger auf die anderen Kunden im Discounter zu zeigen." (Udo Pollmer)

Kein rein deutsches Phänomen übrigens. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, als auf den Britischen Inseln das deutsche Discount-Prinzip noch nicht angekommen war. Der dortige Lebensmitteleinzelhandel war dominiert von  einem Oligopol aus vier bis fünf großen Ketten (Sainsbury’s, Tesco, Asda, Waitrose sowie im höherpreisigen Bereich Marks & Spencer).

Als serviceentwöhnter, mit Aldi et al. sozialisierter Deutscher kam ich mir vor wie auf einem anderen Planeten: Ich wurde am Eingang begrüßt, mir wurde ein Einkaufswagen in die Hand gedrückt, schaute ich länger als drei Sekunden ratlos in der Gegend umher, fragte sofort jemand: „Hello, good morning/afternoon/evening! How may I help you?“ und geleitete mich persönlich in die gewünschte Abteilung. Überall war jemand am schrubben und wienern. An einer der endlos vielen offenen Kassen wurde mir alles aus der Hand gerissen, von weiteren dienstbaren Geistern in Gratis-Plastiktüten verpackt und um meinen Einkaufswagen brauchte ich mich natürlich auch nicht mehr zu kümmern. Die mussten da das Mehrfache an Personal vorhalten. (Bevor jemand anfangt zu träumen: Inzwischen hat man sich dort nach einer Expansionsoffensive von Aldi Süd und Lidl weitgehend germanisiert.)

Wie wahrscheinlich ist es, dass die im Vergleich zu uns damals astronomischen Preise den dortigen Erzeugern zugute kamen? Oder flossen die Einnahmen doch eher zum Teil in die deutlich höheren Personalkosten? In die legendär verfilzten Strukturen der seit Jahrzehnten alles untereinander auskungelnden Oligopolisten?

Zurück ins Inland. Dass nun ausgerechnet die Grünen, allen voran der vegetarische Landwirtschaftsminister Özdemir, wieder einmal zu niedrige Lebensmittelpreise monieren, ist natürlich kein Zufall. Dass die Grünen überwiegend die Partei der besserverdienenden, etablierten, urbanen bürgerlichen Mittelschicht sind, kann nur diejenigen überraschen, die die letzten beiden Jahrzehnte unter irgendwelchen Steinen verbracht haben.

"Aus dem Vorwurf, die Lebensmittel würden zu wenig kosten, spricht die Arroganz der Bessergestellten. Eigentlich ist es doch eine Errungenschaft, wenn auch die weniger gut Betuchten satt werden." (Pollmer, a.a.O.)

(Dass  durch politische Entscheidungen das Rad wieder ein Stück in Richtung Almosen verteilen und Suppenküchen zurück gedreht wurde, ändert daran nichts. Außerdem sind diese politischen Entscheidungen zurückzunehmen.)

Es ist dieselbe Dünkel, wie anderen den Urlaubsflug abklemmen zu wollen, selbst aber - man kann sich schließlich auch die Öko-Zuschläge leisten - weiterhin Flugreisen zu unternehmen und den adoleszenten Edel-Nachwuchs per Flieger ans andere Ende der Welt ins social gap year düsen zu lassen. Und wenn sogar der Pöbel inzwischen Bio-Ware im Discount kaufen kann, dann wird eben der Hokuspokus der Hörnerverbuddler von Demeter als neues, teures Ideal propagiert.






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