Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen, dass es mit der Lobhudelei im Bereich Alternativmedizin auf dem deutschen Büchermarkt allmählich zu Ende geht.[1] Ich sehe das als ein Indiz dafür, dass die Tage der jahrzehntelangen Blütezeit der medizinischen Scharlatanerie in Deutschland gezählt sind.

Ja, ja, ich gebe gerne zu, dass das eine sehr optimistische Sichtweise sein mag. Aber jetzt hat meine Theorie eine weitere Unterstützung von einer mehr als unwahrscheinlichen Seite erhalten.

Als ich noch in Deutschland wohnte - das ist rund 30 Jahre her - hätte ich die Apotheken Umschau[2] nicht mit der Kneifzange angefasst. Ich habe dieses Blatt, das schon damals in fast allen Apotheken auslag, als eine Hochburg der Schwurbel-Medizin in Erinnerung. Dementsprechend zurückhaltend reagierte ich, als mich vor ein paar Wochen ihr Chefredakteur anrief und mich um ein Interview mit einer seiner Mitarbeiterinnen bat. Er erklärte mir, dass  die Apotheken Umschau (derzeitige monatliche Auflage: 7.631.100) beabsichtige, der evidenzbasierten Medizin eine Lanze zu brechen und beteuerte, dass diese Kursänderung nunmehr auch dauerhaft sei. Dabei, so meinte er, könnte ich helfen.

Dass er da bei mir offene Türen einrannte, brauche ich wohl nicht zu betonen. Das Interview war also beschlossene Sache, und am 1. September wird es in der Apotheken Umschau erscheinen.

Das alles ist vielleicht kaum der Rede wert. Was jedoch aus meiner Sicht fast sensationell erscheint, ist die Tatsache, dass das fragliche Heft vom 1. September nicht nur mein Interview enthält, sondern eine ganze Serie von Artikeln bringt, die die Prinzipien der evidenzbasierten Medizin erklären, ihre Vorzüge preisen und die Alternativmedizin entsprechend kritisch beleuchten. Nicht nur das, es kommen zudem einige der prominentesten Vertreter der deutschen Skeptiker-Szene zu Wort. Sogar der hervorragenden Iris Hundertmark wird ein Artikel gewidmet; sie war die erste deutsche Apothekerin, die den Mut hatte, Homöopathie wegen Unwirksamkeit aus ihrer Apotheke zu verbannen[3]. So kommen insgesamt vier gute Artikel mit folgenden Titeln zusammen:

  • Wissen was wirkt. Warum wissenschaftliche Erkenntnisse bei der Suche nach der bestmöglichen Behandlung so wichtig sind
  • Oft handelt es sich um Betrug (das Interview mit mir)
  • Therapien auf dem Prüfstand
  • Bei mir gibt's keine Globuli mehr. Iris Hundertmark schreibt hier über den Spagat zwischen Kundenwunsch und Wirknachweis

Als diese Neuigkeiten vor einigen Tagen erstmals auf Twitter bekannt wurden, war die Aufregung groß. Ein Beobachter meinte trocken: „Das kommt mir ein wenig so vor, als würde beim Metzger eine Ausgabe einer veganen Kochzeitschrift ausliegen." Der Vergleich ist wahrlich nicht unpassend.

Deutsche Apotheken sind schon immer das kommerzielle Zentrum der Schwurbel-Medizin gewesen. Dass Pharmazeuten nicht nur Geschäftsleute sind, sondern auch eine ethische Verantwortung haben, die nicht zuletzt auch beinhaltet, dass unwirksame Mittel nicht als wirksame Therapien angepriesen und verkauft werden sollten, hat man dabei stets diskret außer Acht gelassen. Auch dass sich Pharmazeuten hierzu international recht eindeutig positioniert haben, wollte man offenbar nicht wahr haben.[4]

Aber die Zeiten ändern sich, und Apotheker sollten sich heute sehr gründlich überlegen, was ihnen wichtiger ist: der eigene Profit oder ihre ethische Pflicht gegenüber dem Kunden. Das Zeitalter der evidenzbasierten Medizin ist unwiderruflich angebrochen! In Deutschland ist das mit erheblicher Verspätung und deutlichem Zögern passiert. Und in den Apotheken ist die evidenzbasierte Praxis eine Entwicklung, die bislang nur in Ansätzen bemerkbar war. Aber dennoch halte ich sie für unaufhaltbar, denn die Evidenz lässt sich nicht auf Dauer todschweigen oder gar unterdrücken.

Das zumindest ist meine Hoffnung - ich bin nun einmal ein unverbesserlicher Optimist!


  1. Das Ende der Lobhudelei: Ein Blick auf deutschsprachige Bücher zum Thema ‚Alternativmedizin‘ (publikum.net) ↩︎

  2. Impressum | Apotheken-Umschau ↩︎

  3. Lange überfällig: In Deutschen Apotheken verschwinden Homöopathika aus den Regalen (publikum.net) ↩︎

  4. “Pharmacists should not sell or dispense homeopathic products” (edzardernst.com) ↩︎

Dir gefällt, was Edzard Ernst schreibt?

Dann unterstütze Edzard Ernst jetzt direkt: