Momentan wird wieder "händeringend" nach Arbeitskräften gesucht. Wie eigentlich immer. Nach Arbeitskräften zu suchen, ohne dabei die Hände zu ringen, ist ja seit Jahrzehnten verpönt, quasi kaum mehr denkbar. Ist die Fähigkeit eigentlich angeboren oder kann man das irgendwo lernen, dieses Händeringen? Gibt es da VHS-Kurse oder IHK-Fortbildungen? "Willkommen zu unserem Wochenendseminar 'Erfolgreich Hände ringen für Anfänger'"? Oder kann man da einen Bachelor drin machen, einen Master oben drauf setzen und promovieren? Wenn nicht, dann kann das, gemessen an der Allgegenwärtigkeit dieser Kulturtechnik, nicht mehr allzu lange dauern.
"»Unfassbar, warum finden wir nur niemanden?«, beschwert sich der Unternehmer [Arnold Menschenschinder]. »Da zahlen wir genau auf Mindestlohnniveau, bieten unflexible Arbeitszeiten, unbezahlte Überstunden und mangelnde Aufstiegschancen und trotzdem will kaum einer bei uns anfangen. Ich stehe da vor einem Rätsel.« Ähnlich ergehe es befreundeten Unternehmern wie dem Chef der WerEinenBetriebsratGründetWirdRausgemobbt OHG, der BoniNurAnVorstände AG und der Firma WirBildenNiemandenAusUndWundernUns-DannÜberFehlendenNachwuchs & Söhne. »Die finden auch niemanden. Es ist echt wie verhext!«" (Der Postillon)
Es ist schon lustig: Ungefähr dieselbe bürgerlich-konservativ/liberale Blase, mit tatkräftiger Unterstützung von Spezialdemokraten, der Deutschlands Jugendliche und Jungmenschen einst nicht jung genug sein konnten beim Übertritt ins Berufsleben - will heißen: in die wirtschaftliche Ausbeutbarkeit -, die tapfer stritt für G8 und Turbostudium alla Bolognese, will jetzt wieder einen staatlichen Pflichtdienst einführen. Weil Markt- und Privatwirtschaft ja alles immer zum Besten für alle regeln.
Die Jungen sollen also bittesehr ein Jahr oder mehr ihrer Zeit und Arbeitskraft kostenlos - Halt Stopp! Für Kost und Logis plus ein lächerliches Taschengeld (bei Weigerung droht Strafe) - drangeben, damit man es der coronagebeutelten Wirtschaft nicht zumuten muss, allzu marktgerechte Löhne zu zahlen (merke: Angebot und Nachfrage gilt nur, solange es dem Kapital dient), sich gar um Mitarbeiter auch mal zu bemühen, und, wenn es nach einem wie Nikolaus Blome geht, auch am Airport dafür zu sorgen, dass coronagebeutelte Familien wieder in den Urlaub fliegen können. Begründung: Die Bundeswehr habe schließlich auch in den Gesundheitsämtern ausgeholfen. So siehst du aus, Schätzchen!
Kein Wort davon, dass ungefähr dieselbe bürgerlich-konservativ/liberale Blase, mit tatkräftiger Unterstützung von Spezialdemokraten, in den letzten Jahrzehnten alles Erdenkliche unternommen hat, damit die Situation exakt so desolat ist wie sie ist: Den öffentlichen Dienst zusammengestrichen, wo es nur ging (der ist mittlerweile vielerorts so unattraktiv, dass man Lehrer demnächst wohl per Rollkommando wird beschaffen müssen). Staatliche Leistungen gekürzt, wo es nur ging (und darüber hinaus). Die Infrastruktur verrotten lassen. Alles privatisiert und an Finanzmärkte und Investoren verschachert, was ging. Andere Volkswirtschaften zerquetscht. Es sehenden Auges zugelassen, wenn nicht aktiv befördert, dass das Land zur Billiglohnramschbude verkam. Wer das zu kritisieren wagte, war ein 'linker Spinner'.
Und jetzt, da es für diese satt und fett auf ihren Planstellen sich fläzenden oder sonstwie gut versorgten Boomer mal ein klein wenig unbequem zu werden droht - will heißen: jetzt, da die Ergebnisse exakt dessen, wofür sie die letzten Jahrzehnte gestritten haben, auch ihnen auf die Füße zu fallen beginnen, da rufen sie nach staatlichem Zwangsdienst für die Jungen. Damit das verwöhnte Jungvolk auch mal was zurückgibt. Für was denn? Den ganzen ausgefallenen Unterricht? Die Vorlesungen im Homeoffice? Die Lockdowns*?
Mal ehrlich: Ich glaube, es hackt.
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*Die nicht wirklich welche waren, aber trotzdem.
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