Der russische Angriff auf die Ukraine ist gerade das Thema Nummer eins in der Öffentlichkeit, und bei der Verurteilung dieses Angriffskrieges sind sich ja im Grunde auch alle einig. Über die Vorgänge dort kann man sich ja hinreichend über verschiedene Medien, teilweise sogar über Ticker, informieren, daher möchte ich mal den Blick darauf richten, was denn dieser Krieg in unserer Gesellschaft so alles zum Vorschein bringt und wie man die Reaktionen unserer Politiker einordnen könnte.
Zunächst mal finde ich die Rezeption des Krieges generell schon sehr heftig. Klar, dass ist totaler Mist, was Russland da angezettelt hat, und das kann nicht schöngeredet werden. Dennoch ist es ja nicht so, dass dieser Angriff auf die Ukraine nun in einer ansonsten vollkommen friedlichen Welt geschehen ist. Es gibt und gab in den letzten Jahrzehnten zahlreiche kriegerisch ausgetragene Konflikte, und viele davon wurden hier so gut wie nicht wahrgenommen, wie ich letzte Woche schon mal verwundert in einer Folge meines Videoblogs Schaukelstuhl-Gedanken festgestellt habe.
Die Ukraine ist natürlich in Europa und dadurch dichter an uns dran als Syrien, Afghanistan, Libyen, Irak, Jemen usw. Aber muss man deswegen nun gleich Szenarien bis hin zu einem Dritten Weltkrieg an die Wand malen? Und vor allem: Es wird ja menschen- und völkerrechtlich argumentiert, und da dachte ich bisher eigentlich, dass diese Rechte universell für alle Menschen auf diesem Planeten gelten.
Zudem wird auch bei der Be- und Verurteilung der russischen Aggression die regionale Vorgeschichte so ein bisschen außer Acht gelassen. In der Ukraine wird ja seit dem Maidan-Umsturz im östlichen Landesteil Krieg geführt vonseiten der Kiewer Regierung gegen die dort ansässige russischstämmige Bevölkerung, die Separationsabsichten hegt, was dann ja auch in der Ausrufung der beiden Volksrepubliken Donezk und Luhansk müdete. Das ist auch nichts Neues, darüber hat beispielsweise bereits die Tagesschau 2014 berichtet, wobei dort auch betont wurde, dass es tatsächlich rechtsextreme Bataillone sind, die dort eingesetzt werden. Diese Ausschnitt aus der Sendung kann man sich als Video auf rumble anschauen, wobei mir schon klar ist, dass dies durchaus eine fragwürdige Plattform ist. Anderswo konnte ich das allerdings nicht finden … Ansonsten wird dieser Aspekt allerdings gerade so gut wie nicht thematisiert, bis auf wenige Ausnahmen, wie beispielsweise ein Artikel von Lutz Herden für der Freitag, der zudem noch anspricht, dass ja auch die ukrainische Regierung sich nicht an die Absprachen des Minsker Abkommens gehalten hat.
Damit will ich nun den Einmarsch Russlands in der Ukraine keineswegs rechtfertigen, denn ein Angriffskrieg ist nach meinem Dafürhalten niemals zu rechtfertigen. Das gezielte Ausblenden dieses Hintergrundes ermöglicht es allerdings, ein über den aktuellen Konflikt hinausreichendes Bedrohungsszenario zu entwerfen: „Die Russen wollen ganz Europa überrennen!“ Und was ist dann die Konsequenz daraus? „Wir brauchen mehr Militär!“ Wofür ja auch gerade 100 Milliarden Euro bereitgestellt werden sollen.
Und um dieses Szenario (was bei den Rüstungsunternehmen zu knallenden Champagnerkorken und der Gewissheit, die Ausgaben für Lobbyismus und fette Posten für ehemalige Politiker gut investiert zu haben) auch gut rüberzubringen. sodass die Leute da mitziehen, braucht es natürlich ein griffiges Feindbild: Putin. Und am besten auch gleich die Russen schlechthin.
Um das so zu verfestigen, war es natürlich sinnvoll, erst mal die russischen Kommunikationskanäle zu kappen. Ich bin ja nun auch kein Freund von Russia Today und ähnlichen vom russischen Staat finanzierten Medien, da diese eben doch in der Regel sehr einseitige Berichterstattung bieten. Andererseits: Kann es bei so einem Konflikt denn wirklich verkehrt sein, sich darüber zu informieren, wie die als Gegner ausgemachte Seite so tickt? Und sollte man es mündigen Bürgern nicht selbst überlassen, zu beurteilen, was sie als seriöse Informationsquellen sehen und was nicht?
Wenn irgendwelche Medien zensiert, gesperrt oder verboten werden, dann schrillen bei mir nämlich stets die Alarmglocken. Es sei denn, dass diese nun eindeutig kriminelle Dinge machen, wie zum Beispiel Volksverhetzung betreiben, zu Straftaten aufrufen, Rufmordkampagnen starten oder ähnliche Widerlichkeiten fabrizieren.
Wobei: Einiges von dem eben Genannten trifft ja nun zweifelsohne auf die BILD zu oder auch auf rechte Hetzmedien wie Junge Freiheit oder Compact. Und die sind ja bisher noch nicht verboten worden …
Aber klar: Wenn man die Sicht der anderen Seite nicht zu sehen bekommt, dann ist es einfacher, diese Seite auch vom Gegner zum Feind zu machen. (Das hat Heribert Prantl in seinem nach wie vor aktuellen Buch „Der Terrorist als Gesetzgeber“ sehr gut beschrieben.) Denn auf diese Weise kann man besser ausblenden, dass es sich bei „den anderen“ auch um Menschen handelt, selbst wenn diese nun komplett andere Absichten und Handlungsmaximen als man selbst haben sollte.
Dazu passt dann auch, dass gerade die Kiewer Regierung über alle Maßen zu „den Guten“ hochstilisiert wird. Natürlich hat man erst mal mehr Sympathien und Solidarität für denjenigen, der von einem anderen angegriffen wird, und das ist ja auch vollkommen o. k. so. Das Hohelied der ukrainischen Heroen, die selbstlos die Freiheit der ganzen Welt gegen Putins Armeen verteidigen, hat für mich aber zumindest ein paar dunkle Flecken, angefangen mit dem oben bereits erwähnten Krieg gegen die eigenen Bevölkerung in der Ostukraine über die offensichtliche Vorliebe oder zumindest Toleranz von Neonazis bis hin zur dort grassierenden enormen Korruption (die im letzten Jahr im September noch in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung beschrieben wurde) und einem Präsidenten Wolodimir Selenski, über den im Zuge der Pandora Papers im letzten Jahr Folgendes berichtet wurde:
Der ukrainische Staatspräsident Wolodimir Selenski wird mit mehreren Offshore-Firmen in den Dokumenten erwähnt. Er war als Saubermann zu den Wahlen angetreten, jetzt bringen ihn die Pandora Papers unter Druck. Er und Freunde von ihm sollen hinter zehn Briefkastenfirmen stehen. Rein formell hatte er sich von den Firmen zum Amtsantritt zurückgezogen. Seine Anteile hatte er Freunden übertragen. Allerdings soll laut einem Dokument aus den Pandora Papers eine Firma, die früher ihm, später seiner Frau gehörte, offenbar nach seinem Amtsantritt noch Dividenden von einer Offshorefirma auf den Jungferninseln erhalten haben. Der Öffentlichkeit blieben diese Einkünfte bisher verborgen. (Quelle)
Das alles ist natürlich kein Grund, da gleich ins Land einzumarschieren, aber für eine differenzierte Beurteilung der Situation durchaus nicht irrelevant, wie ich finde. Doch natürlich ist die vereinfachte Gut-gegen-Böse-Erzählung bestens dafür geeignet, um dann solche Maßnahen wie Waffenlieferungen in die Ukraine (s. hier) zu rechtfertigen und in der Öffentlichkeit damit positive Reaktionen zu erzielen. Waffenlieferungen in Krisengebiete – was da nicht mal was?
Zumindest offiziell ist es nämlich eine Richtlinie der deutschen Politik, das nicht zu machen. Klar, die Kriegsparteien im Jemen haben da schon mal deutsche Waffen bekommen, und auch Nato-Kumpel Erdogan lässt seine Einheiten munter mit deutschen Panzern in kurdischen Autonomiegebieten in Nordsyrien herummarodieren (s. gerade wieder ganz aktuell hier) – aber das wird ja auch nicht so an die große Glocke gehängt.
Ein weiterer Vorteil dieser Schwarzweißsichtweise: Es kann nun alles „dem Russen“ in die Schuhe geschoben werden, ohne dass man selbst politisch handeln müsste. Ein Beispiel: die stark gestiegenen Spritpreise. Dass diese vorher schon aus diversen Grünen recht hoch waren und die Preissteigerung nicht aus einer tatsächlichen Knappheit resultiert, sondern erst mal vor allem spekulativ ist, wird dabei nämlich genauso nicht erwähnt wie potenzielle Eingriffsmöglichkeiten der Politik.
So könnte man ja beispielsweise für die Dauer des Krieges die Mineralölsteuer senken. Ging ja bei Corona mit der Mehrwertsteuer auch recht problemlos, und das ist wohl ein deutlich größerer organisatorischer Brocken, da diese ja auf allen Rechnungen und Belegen mit aufgeführt werden muss. Das würde zumindest kurzfristig diejenigen entlasten, die aufgrund einer seit Jahrzehnten verschlafenen und auch von der aktuellen Regierung nicht zu erwartenden Verkehrswende aufs Auto angewiesen sind, um beispielsweise zur Arbeit zu kommen.
Aber dass das nicht gewollt ist, wurde ja schon deutlich, als Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kürzlich verkündete, dass Deutschland bereit sei, einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen, um Russland mit Sanktionen zu bedenken (s. hier). Dass sie damit wohl vor allem die Normalbürger gemeint haben dürfte, wird spätestens dann klar, wenn man nun liest, dass zwar russische Produkte aus Supermarktregalen verschwinden sowie einige russische Oligarchen und Finanzinstitute sanktioniert werden, andererseits aber die Energieimporte aus Russland nicht eingeschränkt oder gar ausgesetzt werden. In einem Artikel dazu auf Spiegel Online steht:
Zugleich hob der Bundeskanzler hervor, dass die Bundesregierung mit ihren Partnern innerhalb der Europäischen Union und darüber hinaus seit Monaten »mit Hochdruck« daran arbeite, Alternativen zur russischen Energie zu entwickeln. »Das geht aber nicht von heute auf morgen«, erklärte Scholz. »Daher ist es eine bewusste Entscheidung von uns, auch weiterhin die Aktivitäten der Wirtschaftsunternehmen im Bereich der Energieversorgung mit Russland weiterzuführen.«
Da möchte man dem Kanzler ja fast schon begütigend die Glatze tätscheln und ihm mitteilen: „Tja, Olaf, da hätten die letzten Regierungen, an denen du und deine Partei ja auch oft genug beteiligt wart, vielleicht mal die erneuerbaren Energien nicht so ausbremsen und sabotieren sollen, dann gäbe es ja schon mal so eine Alternative zur russischen Energie …“
In jedem Fall zeigt diese Feindbildstrategie bereits einige unschöne Auswirkungen, die ein Facebook-User in einem Beitrag mal dokumentiert hat: Beschädigung von russischen Einzelhandelsgeschäften hier in Deutschland, Drohbriefe gegen Russen, Verunglimpfung von allem, was irgendwie mit Russland zu tun hat. Und auch ein Artikel vom Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet von Vandalismus gegen einen russischen Supermarkt in Oberhausen.
Da ist es offensichtlich für einige der Aufgewiegelten nicht mehr möglich, zwischen der russischen Regierung, dem russischen Militär und irgendwelchen Russischstämmigen, die hier in Deutschland leben, zu unterscheiden.
So was wird dann natürlich beispielsweise noch forciert mit einer Meldung, dass vier ukrainische Literaturinstitutionen alles Ernstes fordern, alle russischen Bücher und Verlage weltweit zu boykottieren. Nun soll es ja auch russische Autoren geben, die sich explizit regimekritisch geäußert haben, aber das wird hierbei dann einfach ignoriert: Russe = böse.
Es wird also vonseiten der Regierung aufgewiegelt, ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Kollateralschäden, dabei aber nicht konsequent gehandelt, was die Sanktionen angeht, die Kosten werden vor allem die Normalbürger zu tragen haben, es wird auf einmal viel Geld rausgehauen, was zuvor beispielsweise für Klimaschutzmaßnahmen nicht vorhanden war (empfehlenswert dazu die Kolumne von Thomas Fricke auf Spiegel Online), und es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn letzten Endes nicht wieder Vermögende, die Finanzindustrie und Konzerne (nicht nur aus der Rüstungsindustrie, da ist es ja offensichtlich) reichlich profitieren werden. Ach ja: Durch die Schwarzweißsichtweise wird auch noch die Spaltung der Gesellschaft im Sinne des Teile-und-herrsche-Prinzips weiter vorangetrieben. Dazu muss man sich ja nur mal anschauen, wie rabiat da verbal gewütet wird, wenn jemand in sozialen Medien beispielsweise mal eine differenzierte Sichtweise der Vorgänge vorschlägt. Zudem werden auch Maßnahmen ergriffen, die nicht geeignet sind, diesen Krieg zu beenden oder zu verkürzen (Waffenlieferungen an die Ukraine), und mit den Opfern des Krieges in Form von Geflüchteten wird komplett anders verfahren als mit anderen Geflüchteten in den Jahren zuvor.
Erinnert mich jetzt so ziemlich an dieselben Handlungsschemen, die wir während der Corona-Pandemie erlebt haben …
Und so drängt sich mir die Vermutung auf, dass es genau wie bei der Pandemie nicht darum geht, möglichst viele Menschenleben zu retten und die Krise möglichst glimpflich ablaufen zu lassen, sondern vor allem um die Umsetzung der eigenen politische Agenda und den Profit der eigenen Klientel.
Zumindest wäre das ein stringentes Handeln unserer Regierenden – bei dem mir allerdings angst und bange wird, wenn ich an die Klimakatastrophe denke. Denn das bei dieser wohl größten aller Krisen (einen Atomkrieg mal außen vor gelassen) nun anders agiert werden könnte, dafür gibt es leider zurzeit keine Anzeichen. Zumal ja auch der Krieg in der Ukraine wieder dafür benutzt wird, festzustellen, dass Klimaschutz nun eben erst mal hintenanstehen müsste – noch eine Parallele zur Pandemie …
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