Spätestens nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz steht fest: Die CDU befindet sich in einer Krise. Die Partei hat in beiden Ländern Verluste eingefahren und der Abstand zu ihren Hauptgegnern belief sich auf annähernd zweistellige Werte. Im Angesicht von Impfdebakel und Dauer-Lockdown verliert die Bevölkerung ihr Vertrauen. Von einem Bewusstsein für diese dramatische Lage und ihre Ursachen ist aber wenig zu spüren.
Der „Corona-Bonus“ ist weg
Der seit knapp einem Jahr anhaltende Höhenflug der Union in den Sonntagsfragen begann bereits vor einigen Monaten zu bröckeln. Spätestens aber seitdem klar ist, dass die bundesdeutsche „Impfkampagne“ eine völlige Katastrophe ist, befinden sich die Unionsparteien erneut im Sturzflug. Dabei muss man sich vor Augen führen, dass sich die Umfragewerte, die im Mai 2020 mit teilweise 40 % ihren Höchststand erreichten, nicht auf die inhaltliche Aufstellung der Partei zurückführen lassen. Vielmehr sind sie das Resultat einer reflexhaften Krisendynamik innerhalb des Meinungsbildes der Bevölkerung. So zu tun, als erhielten (noch spärlich vorhandene) Inhalte diesen Zuspruch, ist also nicht nur falsch, sondern camoufliert in selbstbetrügerischer Weise die strukturellen Probleme der CDU.
Seitdem das Scheitern der Bundesregierung in einer Bandbreite an Teilbereichen innerhalb der Pandemiepolitik, sei es etwa die noch immer nur spärlich erfolgte Auszahlung der sog. „Novemberhilfen“, die lockdownzentrierte Konzeptlosigkeit und jüngst die desaströse Bilanz der Impfkampagne, offenkundig ist, wird die Union abgestraft. Die Landtagswahlen standen im Zeichen der „Maskenaffäre“, aber demonstrieren auch die allgemeine Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der gegenwärtigen Arbeit der Bundesregierung.
Merkelismus und Alternativlosigkeit
Als außerordentlich schädlich erweisen sich die Anzeichen einer Alternativlosigkeit, wie sie von Merkel schon zuvor in Krisensituationen praktiziert worden ist. Schon im Kontext des Atomausstiegs, der „Eurorettung“ und der Flüchtlingskrise erwies sich dieser Politikstil als toxisch für das gesellschaftlich-politische Klima der Nation und spielte eine entscheidende Rolle bei der Formation und dem Aufstieg der AfD als Protestbewegung. Freiräume für Debatten werden so abgeschnürt, was verständlicherweise zu Unmut in großen Teilen der Bevölkerung führt. Profiteure dieses Alternativlosigkeitspostulats sind im Rahmen der Coronapolitik gegenwärtig in erster Linie die Freien Demokraten, aber auch Kleinparteien, wie das Beispiel der Freien Wähler insbesondere in Rheinland-Pfalz, aber auch in Baden-Württemberg illustriert. Aber auch innerhalb der CDU regt sich zusehends Widerstand gegen den Corona-Kurs. Eine derartige Alternativlosigkeit ist nicht nur schädlich für das Klima in Gesellschaft und Politik, sondern auch grob fahrlässige Demokratievernachlässigung par excellence. Demokratie existiert nämlich nicht „per default“, sondern muss für ihren Erhalt über eine vitalisierende Debattenkultur gepflegt werden, andernfalls rollt man autoritären und radikalen Bestrebungen den roten Teppich aus.
Profillosigkeit als Strukturmerkmal
Diese Diagnostik offenbart jedoch ein viel tieferliegendes Problem der CDU, gewissermaßen „des Pudels Kern“: Ihre seit Jahren bestehende eklatante Profillosigkeit. Wofür steht die Union eigentlich? Was hat die Partei für Ambitionen? Angela Merkel hat die CDU in den nunmehr fast 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft angesichts ihrer hohen Beliebtheitswerte zwar Erfolge beschert, aber um welchen Preis? Die Union regierte in drei Vierteln ihrer Regierungszeit mit der SPD, setzte ihre Inhalte um und zog teilweise deren Wählerschaft an sich. Die „Sozialdemokratisierung“ der Union ist dabei – anders als im linken und parteiinternen, „merkeltreuen“ Milieu – eben nicht nur ein „rechtes Narrativ“, sondern wird der Partei selbst von Sozialdemokraten bescheinigt.
Das Prinzip der „asymmetrischen Mobilisierung“ mag Merkel persönliche Erfolge und der Union punktuelle Satisfaktion durch entsprechende Wahlergebnisse beschert haben, hat im Ergebnis aber die Partei von innen heraus erodieren lassen. Da sich der „Corona-Bonus“ nun verabschiedet, muss dieses Problem die Partei wieder beschäftigen. Was ist noch übrig von der ehemals dezidiert konservativen und wirtschaftsliberalen Ausrichtung der CDU? In der Partei werden Frauenquoten, (noch) mehr Etatismus und – zum Entsetzen vieler – in einigen Kreisen sogar mögliche Koalitionen mit der Linkspartei ernsthaft in Erwägung gezogen. Jeder Vorstoß in Richtung einer inhaltlich konservativen Aufwertung der Partei wird von linken Kreisen innerhalb der Partei sabotiert, verunglimpft und teilweise in parteischädigender Weise sogar in AfD-Nähe gerückt. Zu beobachten war dies jüngst nach dem Vorschlag einer Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der als konservativ und wirtschaftsliberal geltenden Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT).
Äußert man sich kritisch gegenüber der Kanzlerin, manövriert man sich in hohen Parteikreisen schnell ins Abseits. Nachdem die von Merkel designierte Nachfolgerin für den Parteivorsitz, Annegret Kramp-Karrenbauer, krachend gescheitert ist, verkörperte die erneute Kandidatur des Friedrich Merz für viele, die mit dem gegenwärtigen Zustand der Partei unzufrieden sind, die große Hoffnung auf eine Neuorientierung und Restauration alter inhaltlicher Stärke. Merz scheiterte erneut an den Delegierten, aber die Wahl war alles andere als eindeutig. Die Partei ist gespalten. Die Basis, aber auch der Parteinachwuchs und die MIT votierten überwiegend für Merz. Die Delegierten hingegen nahmen wenig Rücksicht auf diese Sehnsüchte und wählten Armin Laschet – erneut den von Merkel favorisierten Kandidaten – zum Parteivorsitzenden. Das „System Merkel“ agiert innerparteilich an der Basis vorbei und stützt sich im Wesentlichen auf die Autorität der Funktionäre, die so quasi erpressbar sind.
Illusionäre Blindheit vor Stolz
Die Reaktionen auf die Wahlniederlagen aus Teilen der Partei zeigen jedoch vor allem eines: Völlige Blindheit für die Probleme der Partei. Nun heißt es, die Union müsse einfach „jünger, weiblicher, digitaler“ werden und schon habe sich das Problem inhaltlicher Profillosigkeit von selbst erledigt. Mit trivialen Wohlfühlfloskeln rettet man aber keine Partei. Und schon gar nicht mit einer Verfestigung linksgerichteter Politik in Kombination mit einer weiteren Distanzierung von traditionell christdemokratischen Positionen. Eine Distanzierung von ebenjenen Positionen, die die Partei in der Bundesrepublik groß gemacht und ihr insgesamt fünfmal das Kanzlerprivileg verschafft haben. Wozu braucht man die Union überhaupt noch, wenn sie sich vollends von ihren Wesensmerkmalen verabschieden und in eine etwas bürgerlichere Kopie der Bündnisgrünen mutieren will? Es muss in der CDU eine offene Debatte über die Folgen der Kanzlerschaft Angela Merkels und eine inhaltliche Neuausrichtung geben. Auch, um das konservative Lager überhaupt noch integrieren zu können und die Partei am Zerbrechen zu hindern. Die Noch-Kanzlerin ist nicht unfehlbar und auch nicht immun gegen Kritik.
„Es ist nicht gottgegeben, dass die CDU den Kanzler stellt“, stellte Armin Laschet angesichts des katastrophalen Wahlsonntags fest. Das stimmt, sollte aber auch nicht den Irrglauben befeuern, man müsse um jeden Preis das Kanzleramt okkupieren. Stimmen, die nun Markus Söder zur „letzten Hoffnung“ der Unionsparteien stilisieren, würden bei dieser so wichtigen Aufgabe eher zu kontraproduktiven Ergebnissen führen. Der bayerische Ministerpräsident büßte in den vergangenen Monaten enorm an Beliebtheit (dies ist nach wie vor das Hauptargument für seine mögliche Aufstellung) ein und erweist sich mit autoritärer Coronapolitik, bürgerfeindlicher Rhetorik und inhaltlicher Serpentinenfahrt gerade als karikierte Schaufensterpuppe des profillosen Opportunismus, der die Schwesterparteien in den vergangenen Jahren in einen „Regierungszombie“ verwandelt hat. Erreicht werden kann die Katharsis im schlimmsten Falle über einen Gang in die Opposition, auch wenn viele Parteimitglieder eine solche Diagnose nicht gern hören. Die CDU sollte sich im Rahmen einer konservativ-wirtschaftsliberalen Renaissance auch inhaltlich wieder auf ihr Genom besinnen. Andernfalls läuft die Partei sehenden Auges ihrem Untergang entgegen.
Foto: © CDU/Steffen Böttcher
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