Der deutsche Korallenexperte Andreas Dietzel hat die Monate der Pandemie für eine Bestandsaufnahme sämtlicher Korallen dieser Erde genutzt. Dabei stieß er auf erstaunliche Erkenntnisse.
Korallen sind eines der Sinnbilder für den Klimawandel geworden. Erhitzt sich das Meerwasser, so verwandeln sich die zuvor farbenreichen Meerestiere in weiße und schwarze Gerippe. Ist solch eine Bleiche zu intensiv, dauert zu lange oder wiederholt sich in zu kurzen Abständen, sterben die Korallen. Das Great Barrier Reef in Australien hat seit den 1990er Jahren beispielsweise rund die Hälfte seiner Korallen verloren. Allein seit 2016 musste das Weltnaturerbe drei Massenbleichen durchstehen.
Eine Studie aus dem Jahr 2008 prophezeite gar, dass in den nächsten Jahrzehnten weltweit bis zu einem Drittel aller riffbildenden Korallenarten austerben werden. Dieses Horrorszenario gab den Ausschlag für eine Gruppe Forscher an der James Cook Universität in Townsville, weiter zu forschen. „Wir wollten sehen, wie viele Korallen es insgesamt auf der Erde gibt, um dadurch abschätzen zu können, wie gefährdet sie wirklich sind“, sagte Andreas Dietzel, ein deutscher Korallenexperte, der die Studie leitete, für die die Forscher Satelliten- und Felddaten aus aller Welt heranzogen.
Eine halbe Billion Korallen
Heraus kam eine erstaunliche Zahl: „Wir schätzen, es es etwa 500 Milliarden Korallen weltweit gibt“, erklärte Dietzel in einem Zoom-Call. „Das sind ungefähr so viele Korallen wie Bäume im Amazonas oder Vögel auf der Erde.“ Das sind erst einmal gute Nachrichten – vor allem da die Studie, die im Fachmagazin „Nature Ecology and Evolution“ veröffentlicht wurde, ebenfalls herausfand, dass etwa ein Fünftel der 318 untersuchten Korallenarten jeweils mehr als eine Milliarde Individuen umfasst. Die acht häufigsten Arten sind sogar zahlreicher als die Weltbevölkerung.
„Das ist vielleicht so überraschend auch wieder nicht, wenn man bedenkt, dass die Ausbreitung von einigen Korallenarten sich um die halbe Welt erstreckt, von der Ostküste Afrikas bis nach Französisch-Polynesien“, sagte Dietzel. Wichtig ist dabei aber, dass die Zahlen, die die Forscher errechnet haben, auch ein neues Licht auf das Aussterberisiko der Nesseltiere werfen. Denn: „Dass diese Arten über ihre gesamte globale Verbreitung aussterben, ist eher unwahrscheinlich“, so der Forscher.
Eine Zukunft mit weniger Artenvielfalt
Die Studie will dabei nicht kaschieren, wie groß die Gefahr der globalen Erwärmung für die Korallenriff-Ökosysteme auf der ganzen Welt ist. Die Situation sei nach wie vor „äußerst besorgniserregend“, sagte Dietzel. An einzelnen Riffen würden verschiedene Korallenarten durchaus verschwinden. Außerdem sei die genetische Diversität innerhalb von Arten gefährdet. „Diese ist jedoch sehr wichtig für die Anpassungsfähigkeit von Korallen an die sich ändernden Umweltbedingungen“, erklärte der deutsche Forscher. Künftig seien Riffe ein „weniger komplexes Habitat für Fische“ und das wiederum werde die Zahl der Fische im Laufe der Zeit reduzieren. „Wir werden uns in Zukunft mit einer geringeren Biodiversität zufrieden geben müssen“, sagte er.
Korallenriffe sind eines der wichtigsten Ökosysteme der Welt: Sie beherbergen etwa ein Viertel aller Tier- und Pflanzenarten im Meer. Zudem sind Riffe für den Menschen von großer Bedeutung: Über 500 Millionen Menschen sind weltweit für den Fischfang wie auch für den Tourismus von ihnen abhängig. Das Great Barrier Reef brachte Australien vor der Pandemie beispielsweise rund sechs Milliarden Australische Dollar pro Jahr ein – umgerechnet rund 3,9 Milliarden Euro. Außerdem agieren Riffe als Bollwerke und schützen die Küstengebiete bei Stürmen vor Erosion.
Kein Gewinner unter den Korallen
Schon heute ist klar, dass es bei den Korallen „keine wirklichen Gewinner“ des Klimawandels gibt, wie sich dies bei anderen Tierarten wie den Quallen abzeichnet. „Es gibt eigentlich nur Arten, die mit den wärmeren Meerestemperaturen weniger schlecht zurechtkommen als andere“, sagte Dietzel. Deswegen sei es auch am Menschen, den Nesseltieren unter die Arme zu greifen.
Hoffnung geben mehrere Projekte: Beispielsweise versuchen Forscher des Australian Institute of Marine Science, verschiedene Korallen zu kreuzen, um so widerstandsfähigere Arten zu schaffen. Ähnlich wie man Äpfel gezielt so züchtet, damit sie süßer schmecken oder länger haltbar sind, versucht man, Korallen durch gezielte Kreuzung widerstandsfäher zu machen. Andere Projekte versuchen, so viele Einzelriffe wie möglich zu retten: Dazu gehören Versuche, hitzeresistentere symbiotische Algen mit Hilfe von Flugzeugen über Riffe zu sprühen oder widerstandsfähigere Korallenarten in andere Riffe zu transferieren. Einem australischen Meeresbiologen gelang es beispielsweise auch, mit Hilfe von Larven neue, gesunde Korallen auf beschädigten Riffen zu züchten.
Titelbild - gesundes Riff: Foto Chad Taylor, Unsplash
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