Die Energiewende ist nicht nur ein technisches Problem, sondern wird mithin als Wandel im Verhältnis des modernen Menschen zur Natur verstanden. Die Einsicht, dass es auf Dauer nicht gut gehen kann, mehr zu verheizen, als in derselben Zeit nachwächst, ist in der Ökonomie eine Selbstverständlichkeit und findet endlich auch für die Ökologie beziehungsweise den Zusammenhang zwischen beiden Zuspruch. Die technikoptimistische Behauptung, dass wir immerzu neue Energiequellen finden werden, bevor uns die alten ausgehen, ist zum einen durch den gemächlichen Fortschritt bei der Kernfusion, zum anderen durch die Risiken der Kernspaltung fragwürdig geworden.

Die „erneuerbaren Energien“ stehen mit ihrem Namen für das Versprechen, dass die Natur sich von ihren Nebenwirkungen stets erholen, regenerieren werde. Zu beachten ist, dass streng genommen auch fossile Energieträger durch natürliche Prozesse weiterhin entstehen und insofern auch „erneuerbar“ sind, nur bei Weitem nicht in dem Maße, in welchem sie heute gefördert werden. „Die Erneuerbaren“ unterscheiden sich von ihnen im Wesentlichen dadurch, dass sie einen beträchtlich sanfteren Eingriff in die betroffenen Ökosysteme darstellen.

Im Zuge dessen geht die Bestseller-Autorin Naomi Klein in ihrem Buch über den Klimawandel so weit, die „extraktiven“ Energiequellen mit Footballspielern zu vergleichen, welche die Erde anrempeln, regenerative Energien aber mit Surfern, die die Wellen reiten, wie sie kommen1. Ich denke, dass es sich hierbei um eine übermäßige Romantisierung handelt. Denn selbst, wenn erneuerbare Energien ihren Zweck erfüllen sollten, bleibt fraglich, inwiefern sie wirklich mehr „im Einklang mit dem Rhythmen und Zyklen der Natur“ stehen. Klein meint zudem, dass der Wechsel zu erneuerbaren Energien dafür stehe, dass wir die Kräfte der Natur nie ganz besitzen können2. Doch Strom soll doch nach wie vor allzeit verfügbar aus der Steckdose kommen. Das elektrische Licht soll doch vor allem dann leuchten, wenn die Sonne nicht gerade scheint; die Klimaanlage soll kühlen, wenn es warm ist, die Heizung wärmen, wenn es kalt ist.

Ein „Einklang mit der Natur“ existiert hier allenfalls am Anfang der Kausalkette, bei der Energieerzeugung und Einspeisung ins Netz. Das Stromnetz wird immer weiter automatisiert und soll in Zukunft von künstlicher Intelligenz kontrolliert werden (smart grids), was wohl eher eine Abkehr von der Natur als eine Zuwendung zu ihr bedeutet. Doch vor allem für den Verbraucher ändert sich nichts, gesetzt, dass in technischer und ökonomischer Hinsicht alles funktionstüchtig bleibt. Dass die Energiewende auch eine unmittelbare Auswirkung auf die Art und Weise unseres Konsums hätte, wäre daher nicht absehbar.

Die Rückwirkung, welche erneuerbare Energien auf ihre Umwelt haben, ist aber ebenfalls nicht zu vernachlässigen. Zunächst einmal wird allzu leicht vergessen, dass auch Staudämme wie Chinas gigantische Drei-Schluchten-Talsperre unter das Prädikat fallen; Talsperren greifen unter anderem durch den Stausee hinter ihnen massiv in die Umgebung ein und stellen ein unüberwindliches Hindernis für Fische dar. Doch auch die Nebenwirkungen dezentraler Energieerzeugung sollten nicht unterschätzt werden: Windräder erzeugen kilometerlange Windschatten, eine künstliche Windstille also, welche das lokale Klima beeinflussen kann. Ein Forscherteam hat errechnet, dass die Deckung des aktuellen Energiebedarfs der USA mit hundert Prozent Windenergie die Oberflächentemperatur der Nation um 0,24°C erhöhen dürfte. Diese Zahl mag unscheinbar anmuten, doch in Zeiten des Klimawandels wissen wir, dass sie nicht vernachlässigbar ist.

Letztlich will ich aber nicht über die erneuerbaren Energien selbst urteilen, sondern nur über ihre weltanschaulichen Implikationen und Interpretationen. Festzuhalten ist hier, dass der Ausbau von „smart grids“ eben alles andere als „off the grid“ ist, wie autarke Lebensweise auch bezeichnet wird. Weniger kalt und abweisend als ein Atomkraftwerk wirken die Erneuerbaren übrigens ebenfalls nicht. Energie ist wohl, so ließe sich leider sagen, nie „schön“, und hat mit der Eleganz und Leichtigkeit einer Surferin nicht viel zu tun.

Das Wort „Energie“ kommt vom griechischen ergon, „Werk“, und bedeutet selbst bereits etwas ähnliches wie „Werktätigkeit“ oder eben „Arbeit“. Auch in der Physik bleibt die Energie ja nicht nur eng mit der „Arbeit“ verbunden, sondern auch mit „Leistung“ und „Kraft“, die allesamt erstaunlich anthropomorphe Begriffe darstellen, wenngleich sie Ingenieuren natürlich zumeist als Messgrößen gelten. Nichtsdestotrotz ließe sich doch äußern: Solange wir die Natur unter dem Aspekt der Energie betrachten, betrachten wir sie als Arbeiterin; und wenn es um unsere Energieversorgung geht, führen wir uns dabei als ihr Arbeitgeber auf. Es gibt gute und schlechte Arbeitgeber, und es mag sein, dass der Ausbau von erneuerbaren Energien ihr Burnout verhindert und ihre Zufriedenheit mehrt. Doch das Wesen der Natur erschöpft sich nicht darin, für uns zu arbeiten. Das wäre eine triste Welt. Ist im Zuge der Energiewende auch auf ein anderes Verständnis von Natur und Energie selbst zu hoffen? Blieben sonst die Machtverhältnisse, deren Wandel Naomi Klein in der Energiewende sehen will, nicht unangetastet?

1 Naomi Klein (2014): This Changes Everything: Capitalim vs. the Climate. Simon & Schuster, New York, S. 394
2 Ebd.

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