Die Bundestagswahl ist vorbei und das Wort „deutlich“ wird meiner Meinung nach überstrapaziert. Ein Abstand von unter fünf Prozent ist für mich nicht deutlich und deswegen gibt es meiner Meinung nach auch keinen deutlichen Regierungsauftrag für Olaf Scholz. Davon einmal abgesehen, haben sich auch 74 Prozent der Wählenden gegen Olaf Scholz als Kanzler entschieden. Okay, das mit den 74 Prozent ist eventuell ein wenig eindimensional betrachtet, aber Fakt ist, diese Menschen haben erst einmal nicht die SPD und somit auch nicht Scholz gewählt, dass da noch taktisches Wählen mit hineinspielt und einige vielleicht doch Scholz wollten, kann da erst einmal vernachlässigt werden.
Ich möchte damit nicht sagen, dass der Scholz jetzt nicht die Regierung bilden soll, aber er sollte es mit ein wenig mehr Demut machen, so wie auch die SPD mehr Demut an den Tag legen sollte, zumindest was die Wahl im Bund und in Berlin angeht, weniger Demut braucht sie in Mecklenburg-Vorpommern, denn dort kann durchaus von einem deutlichen Sieg und einem deutlichen Regierungsauftrag an die SPD gesprochen werden. Aber genug der einleitenden Worte, denn eigentlich möchte ich auf etwas anderes hinaus.
Lasst uns mal über die „Sonstigen“ reden
Was sagt es eigentlich über unsere Demokratie aus, wenn in Berlin über 12 Prozent der gültig abgegebenen Stimmen und im Bund über 8 Prozent eben dieser Stimmen unter den Tisch fallen? Stimmen, die keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments haben und somit auch keinen Einfluss auf die dort gemachte Politik? Klar, es gab gute Gründe für die Fünf-Prozent-Hürde, aber wenn die Anzahl der Stimmen, die daran scheitern, immer mehr steigt, dann braucht es ein Ausgleichsinstrument, damit der politische Wille auch wirklich im Parlament abgebildet ist. Die Aufteilung der Sitze, die diesen abgegebenen Stimmen zustehen würde, auf die im Parlament vertretenen Parteien darf hier nicht weiter die Lösung sein, auch wenn genau das, das Ziel der Fünf-Prozent-Hürde ist, damit die Regierungsbildung nach der Wahl einfacher wird.
Ich gebe zu, ich habe auch keine wirkliche Lösung für das Problem, die einfachste wäre wohl, diese Hürde einfach abzuschaffen, aber vielleicht könnten auch einfach die Sitze, die den sonstigen eigentlich zustehen würden, durch eine Art Losverfahren vergeben werden. Sicher bin ich mir aber, dass es eine gute Lösung geben könnte, wenn es den politischen Willen dazu gäbe.
Stellt die ausgehandelten Koalitionsverträge zur Wahl
Nach Wahlen wird auch immer wieder von einem Wählerwillen gesprochen, den die Parteien jetzt umzusetzen hätten. Ich weiß nicht, ob dieser aus Umfragen abgeleitet wird, die sonst von der Politik ignoriert werden, oder ob ich auf meinem Stimmzettel einfach noch nicht den Ort gefunden habe, wo ich meine Wunschkoalition angeben kann. Kurz gesagt, bei der Wahl haben die Wählenden eigentlich erst einmal nur ihre Parteienpräferenz kundgetan. Klar, einige haben taktisch gewählt, aber das ist meiner Meinung nach der falsche Weg, weil so Parteien legitimiert werden, die vielleicht gar keine so große Zustimmung erhalten hätten. Aber ich schweife ab ...
Es gibt also erst einmal keinen Wählerwillen, der umzusetzen wäre. Um die Demokratie an dieser Stelle zu stärken, wäre es eigentlich sinnvoll, wenn für alle möglichen Koalitionen ein Koalitionsvertrag ausgehandelt wird und diese ausgehandelten Koalitionsverträge dann zur Wahl gestellt werden. Die Wählenden hätten dann die Möglichkeit, ihre Wunschkoalition zu legitimieren und dann könnte auch vom Wählerwillen gesprochen werden.
Klar, die Wählenden müssten sich dann mit den Koalitionsverträgen beschäftigen, sie müssten also mehr Zeit in die Demokratie investieren, aber das ist ja nicht wirklich etwas Negatives und es könnte sogar mehr Mitgestaltung für jeden einzelnen Wählenden bringen.
Bürger*innenräte
In diesem Zusammenhang möchte ich auch Bürger*innenräte ins Spiel bringen, die bei den Koalitionsverhandlungen mit am Tisch sitzen könnten. Sozusagen als Lobbyorganisation für die Wählenden. Davon abgesehen, halte ich Büger*innenräte auch so für eine super Ergänzung in unserer Demokratie. Es ist nicht der Idealzustand, den ich mir wünsche, aber das ist die Parteiendemokratie generell nicht, aber es könnte der Anfang sein, um unsere Demokratie in die richtige Richtung weiterzuentwickeln und am Ende nicht doch wieder im Faschismus zu enden, um hier eine mögliche Dystopie ins Spiel zu bringen.
Wenn also etwas deutlich geworden ist, dann eher, dass es endlich ein deutliches Demokratieupdate braucht. Es braucht mehr Mitbestimmung für die Bürger*innen, auch für die, die derzeit nicht wählen dürfen. Mit der derzeitigen Demokratieform werden wir die Probleme - und vor allem das Klimaproblem - nicht lösen können. Das zeigte auch die Diskussion zwischen Frau Neubauer und Herrn Kühnert bei Markus Lanz.
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