Fernsehamateure
Ich zahle GEZ und das aus vollster Überzeugung. Gutes
Fernsehen braucht Geld, um ein qualitativ hochwertiges
Programm auszustrahlen. Und bei den Privaten schaue ich
auch immer die Werbung und interessiere mich für die
angepriesenen Produkte und kaufe sie.
So müsste es sein!
Leider ist mir als überzeugter Hartz-IV-Empfänger die
GEZ erlassen und der Staat hindert mich an dem Kauf vieler
Werbeprodukte, durch Kürzung meiner redlich erworbenen
Bezüge. Ich kann nun einmal nicht einfach irgendwelche
Maßnahmen des Arbeitsamtes annehmen. „Ich denke über
die Welt nach!“ Mit diesem Argument konnte ich bei der
Arbeitsagentur nicht durchdringen. Ignorantes Pack! Wir
brüsten uns damit, ein Land von Dichtern und Denkern zu
sein, doch kaum denkt einer, schon bekommt er Ärger mit
dem Staat. Was denken die sich eigentlich? „Denken sei
keine Leistung“, so argumentierten die. „Wo kämen wir
denn hin, wenn die Leute nur noch denken würden!“
Unsere Politiker bekommen wohl fürs Nichtdenken so viel
Geld. Und sie sind gewählt worden, weil die Wähler nicht
denken.
Auch die Fernsehredakteure stehen vor dem Dilemma.
Denken gefährdet ihren Arbeitsplatz. Also bringen sie
Programme auf den Sender, die nicht durchdacht sind. Und
so sind diese Fernsehprogramme dann auch. Deshalb ist das
sogenannte Qualitätsfernsehen auch so gut wie ausge-
storben. Braucht man ja nur dann, wenn denkende
Menschen es schauen. Aber der denkende Fernseh-
konsument ist in die Minderheit geraten. Deshalb gibt es
auch immer weniger professionelle Schauspieler. Sie
werden ersetzt durch Laien. Laien sind glücklich und
dankbar, wenn sie ins Fernsehen kommen und billig sind sie 79
auch. Reality TV ist das neue Zauberwort. Hier wird so
getan, als würden uns ganz normale Menschen ihr Leben
vor der Kamera zeigen. Das ist natürlich alles Lug und Trug,
aber erfreut sich großer Beliebtheit.
Da gibt es zum Beispiel Raus aus den Schulden, wo ein
staatlich geprüfter Entschulder kommt, prüft die Finanzen
einer hoch verschuldeten Familie. Dann entschuldet er ein
wenig, dann zeigt er ihnen, was für Versager sie sind, erklärt
uns, warum sie über ihre Verhältnisse leben, meckert sie
gehörig an und geht dann voll des Glücks, sie gerettet zu
haben, wieder nach Hause. Die arme Familie bleibt
betroffen, aber geläutert, zurück und eine ganze Nation
nimmt Anteil an deren traurigem Leben. Und das alles in
sechzig Minuten brutto, fünfundvierzig Minuten Netto.
Finanziert wird die Produktion durch Werbung, die sich die
betroffene Familie nie wird leisten können. So geht
Fernsehen.
Oder wenn die Kinder nicht so wollen, wie sie! Dann
taucht eine diplomierte Kinderpsychologin auf und erklärt
uns, wie Kindererziehung geht. Lösung ist dann immer die
Stille Treppe, früher bekam man eine Ohrfeige und gut war
es. Besonders schwere Fälle müssen dann zu den Strengsten
Eltern der Welt. Die leben dann vierzehn Tage in einem
fremden Land und werden dort erzogen. Nach neunzig
Minuten Sendung kommen sie wieder wohlerzogen zurück.
Es gibt aber auch Hilfesendungen für die ganze Familie.
Sie wollen ihren Garten verschönern lassen, ihre Wohnung
aufmöbeln lassen oder ihren Messi-Haushalt verschönern?
RTL hat für jedes dicke Problem eine dicke Frau, die uns
zeigt, wie unfähig und geschmacklos wir doch eingerichtet
sind. Von Seiten der Redaktion wird gerne gewünscht, dass
wir heulend und schreiend, gerne auch vollkommen
zusammenbrechend, unsere Fresse in die Kamera halten. Es
soll ja authentisch rüberkommen. Die Seele entblößen, 80
damit der Fernsehkonsument berührt ist. Redakteure
sorgen auch gerne mal dafür, dass festgelegte Dialoge
gesprochen werden, die sich ein Autor ausgedacht hat. Und
so klingen die dann auch, wenn normale Menschen plötzlich
Sachen sagen, die man ihnen eingebläut hat. Aber die
Dramaturgie muss ja stimmen. Zuviel Harmonie schadet
auch der Quote. Und der Zuschauer möchte sich ja
schließlich unterhalten lassen. Und so suchen die Fernseh-
gewaltigen immer nach freiwilligen Schwiegertöchtern oder
Bauern, die verzweifelt nach Partnern suchen. Gruselige
Gestalten werden so zu Fernsehprominenten. Und eine
ganze Nation schaut zu und lacht über sie!
Ganz übel wird es aber, wenn diese Amateur-
schauspieler, selbst der Ausdruck ist noch geschmeichelt,
bei Gerichtsshows und echten Kriminalfällen mitspielen. Da
kommt mir regelmäßig das Mittagessen hoch. Diese
Sendungen sind wirkungsvoller als jedes Abführmittel. An
den Haaren herbeigezogene Fälle, die eine Glaubwürdig-
keitsschwelle übertreten haben, dass man am liebsten in
die Auslegeware oder das Parkett beißen möchte. Dagegen
sind die Dialoge in der schlechtesten Soap-Opera, sofort mit
dem Literaturnobelpreis zu würdigen.
Darsteller, die man eigentlich nur schlagen möchte,
reden dort in einer nicht nachzuahmenden Weise ihren Text
stolpernd, phonetisch und rhetorisch sinngebend falsch,
ohne jegliche, ehrliche Emotion, runterleiernd und über-
trieben, dass es einen wundert, dass eine Frau wie Richterin
Barbara Salesch oder Alexander Hold sie nicht alle zur
Todesstrafe verurteilt, inclusive der verantwortlichen
Redakteure, wegen Verarschung des Fernsehzuschauers
und Beleidigung eines ganzen Berufsstandes, nämlich der
professionellen Schauspieler, die ihren Beruf von der Pike
auf gelernt haben. Und auch sämtliche Zuschauer gleich 81
mit, die sich diesen unterirdischen, selten dämlichen
Schwachsinn ansehen.
***
Beispiel gefällig? Bitte!!!!
(Nachfolgende Szene spielt im fiktiven Gerichtssaal von
Richterin Salesch)
Richterin: Der Mann hat sie also in den Wald
mitgenommen und dort missbraucht?
Opfer: (Frau, Mitte fünfzig, unattraktiv)
Ja ... so war es ... das Schwein!
Richterin: Ich kann ihren Schmerz ja verstehen, aber
bitte nehmen sie sich zusammen.
Opfer: Er war doch so gemein zu mir! Du
Schwein!
Angeklagter: (Typ Zuhälter. Gerne mit Ruhrpottdialekt,
Tattoos, Piercings, Irokesenschnitt)
Ey, die Alte pack ich doch mit der Kneif-
zange nicht an, woll!
Richterin: Herr Kawuttke, ich muss doch sehr bitten!
Angeklagter: ... nicht mal mit der Kneifzange, woll!
Richterin: Zweihundert Euro an die Staatskasse oder
ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft.
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Opfer: Geschieht dir recht, du Schwein!
(In diesem spannenden und nervenaufreibendem Augen-
blick öffnet sich die Saaltür. Ein pickliger junger Mann,
vornehmlich mit Hornbrille und Pullunder, kommt
schüchtern herein.)
Richterin: Junger Mann, wir sind mitten in einer
Verhandlung. Was wollen sie?
Mann: Ich halte es nicht mehr aus! Ich war es. Es
tut mir leid.
Opfer: Ja, er war es! Du Schwein!
Richterin: Gut, dann zieh ich mich jetzt zur Beratung
mit mir zurück.
WERBUNG (ca. 9 – 18 Minuten)
Richterin tritt wieder auf. Die Spannung im Raum ist kaum
zu überbieten.
Richterin: Im Namen des Fernsehvolkes verkünde
ich folgendes Urteil. Der Angeklagte wird
freigesprochen. Die Kosten fallen dem
Steuerzahler zur Last. Die Verhandlung ist
geschlossen.
Und solche und ähnliche Sendungen laufen Tag für Tag
und werden von bügelnden Hausfrauen, alkoholisierten
Alkoholikern, durchgefallenen Pisaschülern und anderen
denkfremden Zuschauern konsumiert. Und diese abgrund-
miesen, dilettantischen Schauspieldarsteller feiern Zuhause 83
in ihrer Eckkneipe bis zur Bewusstlosigkeit den Beginn ihrer
Fernsehschauspielkarriere.
Und ich sitze immer noch völlig fassungslos ob diesen
geistigen Dünnpfiffs vor der Glotze, kopfschüttelnd und
ungläubig. Die können diese Sendung doch nicht wirklich
ernst meinen?! Doch, sie können! Und das beweisen sie uns
tagtäglich. Wenn ich jetzt denken dürfte ... aber ich darf ja
nicht ... deshalb schaue ich es morgen wieder.
Eine Woche später habe ich bereits mein Casting zu
Richter Alexander Holt hinter mir. Hurra! Jetzt werde ich
auch berühmt.
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