Das letzte bekannte Exemplar des Tasmanischen Tigers ist 1936 gestorben. Kurz danach soll die Tierart auch in der Wildnis ausgestorben sein. Eine neue Untersuchung stellt jetzt jedoch die Behauptung auf, der Raubbeutler habe noch viel länger gelebt. Möglicherweise sei er bis heute am Leben.
Am 7. September 1936, nur zwei Monate nachdem die Spezies gesetzlich geschützt wurde, starb der letzte bekannte Tasmanische Tiger im Zoo in Hobart auf Tasmanien. Forscher hielten es bisher für unwahrscheinlich, dass die Tierart noch lange danach in den Wäldern der australischen Insel überlebt hat. 1982 erklärte die Weltnaturschutzunion die Tiere offiziell für ausgestorben, 1986 folgte auch die Regierung von Tasmanien.
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, hängt mit einer Kombination von Faktoren zusammen, die sich allesamt auf die Ankunft der Europäer in Australien im 18. Jahrhundert zurückführen lassen. Denn die neuen Siedler rodeten Wälder, schleppten Krankheiten ein und begannen bald eine erbarmungslose Jagd auf den Beutelwolf, wie der Tasmanische Tiger auch genannt wird. Als Fleischfresser standen die Tiere in Verdacht, Vieh zu reißen, und so führte die tasmanische Regierung 1888 eine Prämie von einem Pfund pro gefangenem Beutelwolf ein. Die rund 5000 Beutelwölfe, die zum Zeitpunkt der europäischen Besiedlung wohl noch auf Tasmanien lebten, wurden auf diese Weise rasant dezimiert. Bisher galt der Tasmanische Tiger deswegen – ähnlich wie der Dodo oder die Wandertaube – als Symbol für das vom Menschen verursachte Artensterben.
1200 Sichtungen seit 1910
Ein Studie, die im Januar über bioRxiv, ein Preprint-Server für Biowissenschaften, veröffentlicht wurde und sich derzeit noch in Peer-Review befindet, argumentiert nun aber, dass die Tiere deutlich länger in den weitläufigen Wäldern auf Tasmanien überlebt haben könnten, als die Wissenschaft dies bisher für möglich gehalten hatte. So könnten die Beutelwölfe erst Ende der 1990er oder Anfang der 2000er Jahre ausgestorben sein, heißt es in der Studie, die auch im wissenschaftlichen Online-Magazin Mongabay vorgestellt wurde. Selbst die Möglichkeit, dass es bis heute einige Exemplare der Tiere gibt, wird nicht völlig ausgeschlossen.
Die Studie stützt sich dabei auf sogenannte „Citizen Science“ oder Bürgerwissenschaft – also auf die Beobachtungen von Bürgern. Für die Studie untersuchten Forscher der Universität von Tasmanien über 1200 Aufzeichnungen solcher Sichtungen und andere Beweise, die zwischen 1910 und 2019 von der Bevölkerung gesammelt wurden. Doch welche dieser Berichte sind wahr, welche sind eine Täuschung oder gar eine Lüge? Die Tiere haben ein markantes Äußeres. Sie sind schlank, haben auffällige schwarze Streifen auf dem Fell, einen hundeähnlichen Kopf und einen langen Schwanz – das allein macht sie zu einem recht einzigartigen und gut erkennbaren Lebewesen.
Sichtungen unterscheiden sich in Glaubwürdigkeit
Im Juli 2019 erhielten die australischen Behörden beispielsweise einen Bericht über einen Fußabdruck, den ein Spaziergänger im Südosten Tasmaniens entdeckt hatte. „Er konnte kein Foto machen, aber er hat es gegoogelt, als er nach Hause kam, und glaubt, es sei ein Tasmanischer Tiger“, steht dazu in dem Bericht des lokalen Umweltministeriums. Im selben Jahr meldete ein bei der Regierung beschäftigter Biologe, dass er einen Tasmanischen Tiger in einer einsamen Region in etwa 30 Meter Entfernung gesehen habe. „Gute Beschreibung gegeben, in den Busch gerannt“, heißt es dazu in dem Bericht. Eine weitere Sichtung stammt aus dem Jahr 2018, als drei Radfahrer sagten, sie hätten gesehen, wie ein Beutelwolf die Straße vor ihnen überquerte.
Die Vorfälle sind nur drei Beispiele aus über 1200 vermeintlichen Sichtungen, die Barry Brook, ein Ökologe der Universität von Tasmanien, gemeinsam mit Kollegen in einer Datenbank zusammengestellt und analysiert hat. Dabei bewerteten die Forscher jede einzelne Sichtung – Beispielen wie dem Fußabdruck wurde weniger Gewicht gegeben, während die Sichtung des Biologen oder der drei Radfahrer als deutlich wahrscheinlicher eingestuft wurde – im ersten Fall, da es sich um einen fachkundigen Experten handelte, im zweiten Fall, da es sich nicht nur um einen, sondern gleich um drei Zeugen handelte.
Letzter Zufluchtsort im Naturschutzgebiet
Die Auswertung der Wissenschaftler lässt die Vermutung zu, dass der Raubbeutler deutlich später als gedacht ausgestorben ist – höchstwahrscheinlich Ende der 1990er oder Anfang der 2000er Jahre. Es sei sogar möglich, dass selbst heute noch einige Beutelwölfe in der abgelegenen Wildnis Tasmaniens lebten, schrieb Barry Brook. Dies könne man aufgrund der Daten nicht völlig ausschließen, doch er halte es für eher „unwahrscheinlich“.
Sollten nach wie vor einige Exemplare des Tasmanischen Tigers am Leben sein, so halten sich diese laut der Wissenschaftler höchstwahrscheinlich im westlichen und südwestlichen Teil Tasmaniens auf. Dort sind weitläufige und für den Menschen schwer zugängliche Naturschutzgebiete wie der Franklin-Gordon Wild Rivers National Park, wo es plausibel wäre, dass selbst ein so großes Beuteltier so lange unentdeckt geblieben ist.
Studie: https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2021.01.18.427214v1.full.pdf
Dir gefällt, was Barbara Barkhausen schreibt?
Dann unterstütze Barbara Barkhausen jetzt direkt: