Unterwegs zu einem neuen ökonomischen Paradigma Teil I

Denkatelier mit Dr. Christoph Quarch

Für die einen ist ethisches Leadership die avancierteste Spielart der Führungskunst, die anderen diffamieren es als realitätsfernen „Bullshit“. Dieser Streit ist unfruchtbar, da sich beide Parteien in einem fragwürdigen geistigen Paradigma bewegen: Sie interpretieren Führung nach Maßgabe technischer Prozesse – ein Mindset, der aus der 18. Jahrhundert stammt und dem heutigen Erkenntnisstand nicht mehr angemessen ist. Zukunftsfähiges Führen sollte Maßnehmen an den Realitäten menschlichen Lebens und von ihnen her ein tragfähiges Ethos unternehmerischen Handelns entwickeln. Was ansteht, ist ein Paradigmenwechsel, in dessen Folge sich Führungskräfte nicht länger als Ingenieure, sondern als Gärtner verstehen.

Führung

Wer eine Führungsaufgabe innehat, muss wissen, wo es lang geht. Ohne eine Idee davon zu haben, wohin man andere zu führen gedenkt, wird niemand dieser Aufgabe gerecht werden können. Die Herausforderung dabei liegt darin, dass es immer mehr als nur eine Richtung gibt, die man verfolgen könnte. Wäre es anders, bräuchte es keine Führung. Führung steht so gesehen immer vor der Frage, welcher Weg zu wählen ist; genauer: an welchen richtungsweisenden Kriterien man als Führungskraft Maßnehmen sollte, um seiner Führungsaufgabe zu genügen. Damit kommt die Ethik ins Spiel, denn Ethik erhebt den Anspruch zu ermitteln, was dem menschlichen Handeln maßgeblich und richtungsweisend ist – oder doch sein sollte. Wer eine Führungsaufgabe innehat, kommt deshalb nicht darum herum, sich mit Ethik zu befassen. Leaderhip, das seinem Namen gerecht wird, ist deshalb immer ethical leadership.

Damit stellt sich aber umso dringlicher die Frage: Was ist maßgeblich? Sind es ethische Normen und Gebote? Ist es der Markt? Oder ist es das Leben selbst: Is it the real life, is it just fantasy?

Denken

Zunächst müssen wir uns eines klar machen: Nichts, was wir tun, ist selbstverständlich. Alles was wir tun, gründet in der Weise, wie wir denken. Die Weise, wie wir denken, ist jeweils das Produkt einer langen und verschlungenen Geschichte des menschlichen Geistes. Es ist offenkundig, dass Menschen zu anderen Zeiten und in anderen Kulturkreisen anders dachten als der Mensch der westlichen Spätmoderne. Sie hatten ein anderes Weltbild, sie hatten ein anderes Menschenbild, sie hatten ein anderes Verständnis davon, was ein Unternehmen ist. Dabei lässt sich kaum ermessen, ob das eine Welt- oder Menschenbild besser als ein anderes ist. Fest steht nur, dass sie häufig verschieden sind.

Unsere Denkweise ist so etwas wie die Matrix unseres Handelns. Oder – wenn sie eine etwas zeitgemäßere Metapher vorziehen – sie ist so etwas wie das Betriebssystem unseres Gehirns. Das heißt: Unsere Denkweise präfiguriert unser gesamtes Verhalten zur Welt – und das, meist ohne dass wir uns dessen bewusst wären. Tatsächlich fragen wir uns nur selten, wie wir denken und folgen im Übrigen unseren Routinen und Gewohnheiten … die ihrerseits meist den tradierten Denkweisen anderer folgen; oder dem, was man üblicherweise tut. Über sein Denken, denkt man meist nicht nach – zumindest solange nicht, als man mit ihm in der Welt zurechtkommt. Und das wird vorzugsweise dann der Fall sein, wenn die Welt dem gleichen Denken folgt und man – in diesem Sinne – mit der Welt im Einklang ist.

Weil wir für gewöhnlich unser Betriebssystem – unsere Denkweise – nicht eigens reflektieren, stellen wir uns nur selten solche grundstürzenden Fragen wie diese: Entspricht unser Denken der Wirklichkeit? Oder verstellt unser Denken die Wirklichkeit? Ja, entstellt es womöglich sogar die Wirklichkeit? Denken wir eigentlich richtig? Tatsächlich haben wir allen Grund zur Annahme bzw. Sorge, letzteres könne nicht der Fall sein. Denn die Menschheit steht zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor einer Reihe gigantischer Herausforderungen, die allesamt Folgen unseres landläufigen Denkens sind: das drohende ökologische Desaster mit Artensterben, Klimaerwärmung und Vermüllung der Ozeane; eine disruptive Informations-Technologie, die uns mehr Möglichkeiten in Aussicht stellt, als wir seelisch und moralisch verdauen können; eine globale Geldwirtschaft, die von einer Krise in die nächste taumelt und dabei enorme soziale Verwerfungen generiert. Kurz: Wir haben berechtigten Grund zur Annahme bzw. Sorge, dass unsere bisherige Denkweise den Planeten entstellt, unser soziales Miteinander gefährdet und letztlich auch unserer Ökonomie schadet. Kurz: Anstatt im Einklang mit der Wirklichkeit zu leben, entfernt uns unsere Denkweise immer weiter vom realen Leben und treibt uns in Sackgassen, aus denen sie uns nicht mehr heraus navigieren kann.

In einer solchen Situation ist wenig damit geholfen, in Ethik-Kodizes oder Codes of Conduct abstrakte Normen und Werte zu formulieren, die unser Handeln orientieren sollen – zumindest ist damit solange nichts geholfen, wie die Grundmatrix unseres Denkens dadurch nicht in Frage gestellt wird. Ethical Leadership kann sich deshalb nicht damit begnügen, immer neue Verhaltensregeln für Unternehmen zu formulieren. Vielmehr kommt es nicht daran vorbei, die Matrix des eigenen Denkens in Augenschein zu nehmen und daraufhin zu befragen, ob sie es erlaubt, die Welt, in der wir leben, so zu erschließen, dass wir uns und sie nicht länger mit unserem Tun gefährden.

Fragen wir deshalb: Was ist die Matrix unseres Denkens? Wie lässt sie sich beschreiben? Woran nimmt das Denken maß?

Paradigmen

Die Matrix unseres modernen Denkens wurde im 18. Jahrhundert formatiert. Aus dieser Zeit datieren nicht nur unsere wichtigsten politischen Kategorien wie die Ideen der Menschenrechte, der parlamentarischen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Auch die Grundlagen unseres heutigen globalen Wirtschaftssystems stammen aus dieser Zeit. Der Mindset, der damals geboren wurde, lässt sich als ökonomisch-technisch-wissenschaftlicher Komplex beschreiben. Die prägnanteste Formel dafür fand der Philosoph René Descartes, der schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts erklärte, der Mensch sei wesentlich ein maître et possesseur de la nature.

Seither denkt der neuzeitliche Mensch nach Maßgabe einer Technik, die er selbst erfunden hat. Das heißt: Die Matrix unseres Denkens ist seither mechanisch. Wir denken die Welt und uns selbst nach Maßgabe technischer Apparaturen bzw. Maschinen. Das gilt auch für Unternehmen. Landläufig werden Unternehmen als Maschinen interpretiert und organisiert – Ethical leadership gerät dann zu einer Art Gebrauchsanleitung für die optimierte Nutzung von Ressourcen und Geräten.

Denn eben darum geht es bei Maschinen. Will man abstrakt beschreiben, was eine Maschine ist, dann kann man dies wie folgt tun: Eine Maschine verarbeitet gegebene Ressourcen zu einem gewünschten Output – gleichviel ob es sich dabei um Human Resources, Material Resources oder beides zugleich handelt. Die Verarbeitung erfolgt nach standardisierten Abläufen, die nach Maßgabe eines gewünschten, maximalen Outputs optimiert werden. Bedient und gewartet wird die Maschine von Führungskräften, die ihr eigenes Tun entsprechend der technischen Grundmatrix als eine besondere Spielart der Ingenieurskunst interpretieren, die darauf abzielt, vorhandene Ressourcen optimal zu nutzen und Verfahren bzw. Regeln dafür zu entwerfen bzw. zu implementieren, die einen maximalen Ertrag in Aussicht stellen.

Sofern wir uns dafür entschieden haben, unsere landläufige Denkweise in Frage zu stellen und einem Realitätscheck zu unterziehen, kommen wir nun an einer unbequemen Frage nicht länger vorbei: Taugt diese dem technischen Denken der frühen Neuzeit entlehnte Leitmetapher für ein zukunftsfähiges Verständnis von Führung bzw. Ethical leadership? Meine Antwort lautet: Nein. Nein, weil es die Realität verkennt. Nein, weil es auf einer Fiktion bzw. Abstraktion basiert, die der komplexen Wirklichkeit von Unternehmen nicht gerecht wird. Nein, weil das real life dabei ausgeblendet oder gar vergessen wird. Wenn wir heute Unternehmen so denken und gestalten wollen, dass sie der harten – dafür aber auch lebendigen – Wirklichkeit dieser Welt gewachsen sind, dann müssen wir eine andere Leitmetapher finden als den technologisch-optimierten Apparat des 18. Jahrhunderts. Fragt sich nur welche?

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