Die Internationale Raumstation ISS gilt als das größte internationale Raumfahrtprojekt der Geschichte. Selbst zu Zeiten schärfster politischer Krisen auf der Erde, war sie stets ein Hort und Beispiel guter internationaler Kooperation. Doch die Zeit der ISS neigt sich dem Ende zu.
Die Internationale Raumstation ISS ist nun seit mehr als zwei Jahrzehnten im All und ist längst zu einem Symbol internationaler Kooperation geworden. Seit dem Beginn ihres Aufbaus im Jahr 1998 ist sie stets gewachsen und ist derzeit ein gemeinsames Projekt von 16 Staaten bzw. 5 Raumfahrtagenturen und zugleich das größte menschengemachte Objekt im All. Selbst in Krisenzeiten zwischen den beiden Hauptbetreibern der Station – Russland und USA – blieb sie stets eine Verbindungsstelle, über die die beiden Staaten erfolgreich kooperieren konnten.
Doch die Zeit dieses einmaligen internationalen Projektes neigt sich allmählich dem Ende zu. Wie auch jedes andere menschengemachte Objekt hat auch die ISS ein bestimmtes „Haltbarkeitsdatum“. Schon seit Jahren beklagen Experten, dass die Station zunehmend Materialermüdung aufweist. Reparaturen sind zwar möglich, können aber nur lokale Schwachstellen ausgleichen. Eine Generalüberholung ist in dem Vakuum des Weltalls kaum möglich. Irgendwann, ob früher oder später, wird die ISS vermutlich das gleiche Schicksal ereilen, wie die russische Raumstation „Mir“ – die Station wurde im Jahr 2001 kontrolliert zum Absturz gebracht, nachdem ihr Weiterbetrieb wegen der Materialermüdung nicht mehr zu vertreten war.
Russland setzt auf nationale Raumstation…China sowieso
Und so blicken Raumfahrtnationen zunehmend auf die Zeit nach der ISS. Während die ESA und die NASA immer noch damit zögern, greifbare Nachfolgeprojekte vorzustellen und stattdessen die Station trotz Risiken weiterbetreiben wollen, will die russische Raumfahrtagentur Roskosmos schon bald aus der ISS aussteigen und eine eigene Station aufbauen.
So erklärten Vertreter von Roskosmos, dass Russland spätestens 2028 die Nutzung der ISS komplett einstellen wird. Dies hänge nicht mit politischer Situation zusammen, sondern wegen trivialer Sicherheitsbedenken. Die ISS-Module würden zunehmend irreparable Materialschwachstellen aufweisen, sodass die Sicherheit der Kosmonauten schon bald nicht mehr gewährleistet werden kann.
Man geht sogar davon aus, dass bereits ab 2024 die Nutzung der ISS „mit zusätzlichen Risiken verbunden sein wird“, so Roskosmos.
Daher soll zügig der Bau der „Russischen Orbitalen Technischen Station“ vorangetrieben werden, die in einer niedrigen Erdumlaufbahn platziert werden soll. Die Station soll modular aufgebaut sein, sodass die einzelnen Module nach ihrer Abnutzung ausgetauscht und in beliebiger Weise zusammengesetzt werden können. Im Sprech von Roskosmos heißt es dazu, dass die Station durch ihre „offene Architektur“ eine „unbegrenzte Lebensdauer“ erhalten solle. Das erste Modul soll schon im Jahr 2025 in den Orbit gehoben werden, es sei schon in der Herstellung. Danach sollen zügig drei weitere Kapseln folgen, um ein großes Spektrum wissenschaftlicher Tätigkeit ausüben zu können. Auf Dauer soll die Station bis zu sieben solche Module umfassen.
Auch China – nie Teil des ISS-Projektes gewesen – treibt den Aufbau einer eigenen permanenten Raumstation voran. Der Aufbau der Station begann im April 2021, als das Kernmoduls „Tianhe“ in die Erdumlaufbahn gebracht wurde. Bis 2022 soll sie um zwei Wissenschaftsmodule erweitert werden, die in einer T-Form mit dem Kernmodul verbunden werden. In der Zukunft soll die Station dann um weitere Module nach und nach ergänzt und dauerhaft von sechs Raumfahrern bewohnt werden.
„Gastaufenthalte“ für die Europäer?
Sollten die russischen und chinesischen Raumfahrtpläne gelingen, dürften mittelfristig zwei Raumstationen um die Erde kreisen. Da weder die ESA noch die NASA bislang den Aufbau eigener Stationen planen, werden ihre Astronauten nach dem absehbaren Ende der ISS vermutlich auf die chinesische oder die russische Station umsteigen und gewisser Weise „Gastaufenthalte“ buchen müssen.
Gerade die Chinesen signalisierten bereits, dass sie ausländische Raumfahrer bei sich arbeiten lassen werden (vermutlich aber nicht für umsonst). Im Jahr 2016 unterzeichneten Peking und die UNO ein Abkommen, dass China ihre Raumstation allen Mitgliedern der Vereinten Nationen für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung stellen wolle. Im Jahr 2017 unterzeichnete die italienische Agentur Agenzia Spaziale Italiana ein separates bilaterales Abkommen mit China, wo es um potentielle zukünftige Aufenthalte im All und wissenschaftliche Nutzlasten ging. Im Jahr 2019 wurde ein ähnliches Abkommen zwischen Pakistan und China unterzeichnet. Auch Frankreich soll bereits signalisiert haben, auf der chinesischen Raumstation arbeiten zu wollen. Im Juni 2021 erklärten chinesische Vertreter, dass ausländische Raumfahrer bereits jetzt chinesisch lernten und sich für die Teilnahme an chinesischen Missionen vorbereiteten.
Roskosmos dürfte ähnliche Verträge und Kooperationen mit internationalen Partnern vorbereiten.
Somit scheint es, dass zumindest kurzfristig Russland und China die nahe Erdumlaufbahn mit ihren Stationen dominieren werden. Gerade die Europäer könnten nach dem Ende der ISS zu Gästen in der bemannten Raumfahrt zu werden. Ob Washington doch noch einen Kurswechsel einleitet und (zumindest aus Prestigegründen) eine eigene Raumstation aufbauen wird, ist unklar. Das Weiße Haus signalisiert bislang keinerlei Interesse an einem solchen Projekt.
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