Der bisherige Witz des Jahres ist Giorgia Melonis Dementi, eine Faschistin zu sein. Denn wenn sie eine Faschistin wäre, so ihre Logik, dann würde sie das sagen. Der ist echt zu gut! Als wenn auch nur ein Faschist/Rechter/Nazi mit politischen Ambitionen seit 1945 jemals offen dazu gestanden hätte, einer zu sein. Stattdessen wird bloß doof rumgeschwurbelt : Allenfalls ist man "rechts", tritt irre mutig für "gesunden Patriotismus" ein, gegen "Genderwahn" und "politische Korrektheit", man ist "mit Sicherheit kein Nazi/Faschist, aber...", man "holt sich sein Land zurück". Und überhaupt: "Wie kommen Sie darauf? Sehen Sie hier vielleicht irgendwo ein Hitlerbärtchen und eine SA-Uniform? Sehen Sie? Haha! Und überhaupt, seit wann ist es ein Verbrechen, sein Land zu lieben?"
Das Timing jedenfalls ist nahezu perfekt: Vor fast genau 100 Jahren, vom 27. bis 31. Oktober 1922, fand Mussolinis Marsch auf Rom statt.
Machen wir uns nichts vor: Faschismus kann tatsächlich ein großer Spaß sein. Zum Beispiel für die, die Rechtsstaat für ein Symptom von Verzärtelung und Dekadenz halten, die für ihr (gefühltes) Elend, ihre Unzufriedenheit und ihren Frust konkrete Schuldige brauchen und die es antörnt, wenn denen mal so richtig gezeigt wird, wo der Hammer hängt. Wenn du nicht willst, das man dir tu, das füge gerne andren zu. Geil! So lange man selbst nicht ins Visier gerät, versteht sich. Das wäre dann weniger geil.
So ging es 33-45 vielen in Deutschland. So lange es nur Juden, Kommunisten, Schwule etc. traf - nicht schön, das, aber nun ja, das Leben ist hart. Sind vielleicht ja auch ein klein wenig selbst schuld, gell? Als das Regime sich gegen Kriegsende immer mehr in einen Bestrafungsrausch auch gegen deutsche Volksgenossen steigerte und immer mehr Städte in Klump gebombt wurden, da wurde gemurrt und gejammert über die "Verbrecher da oben", die sich des armen Deutschlands bemächtigt hatten, die dem Morden jahrelang dumpf zugeschaut hatten, klagten, von Goebbels souffliert, über "angloamerikanischen Bombenterror". Dass von Anfang an nie etwas anderes als Verbrecher am Ruder waren, die zudem demokratisch gewählt wurden, dass es das NS-Regime war, das sich als erstes in Ausradier-Phantasien erging - nun ja, man darf nicht immer so pingelig sein, gelle?
"Ich hatte jedoch das starke Gefühl, dass die Stiefeltern, wie überhaupt alle 'Menschen' aus unserem kalten und bösen Land, den Italienern die Sonne, das Essen, die Kultur, die Lebensfreude und vor allem das blaue Meer abgrundtief neideten. Dessen war ich mir instinktiv sicher, doch was wusste ich schon, ich war ja erst sechs Jahre alt." (Ulli Hannemann)
Normalerweise wäre eine Regierungschefin Meloni eine bessere Schnurre. Italien hat einen legendären Verbrauch an Regierungen und Faschismus ist dort weniger negativ konnotiert. Denn immerhin fuhren die Züge pünktlich. Italienischer Faschismus verzichtete weitgehend auf Völkermord, wenn man von dem brutalen Abessinienkrieg absieht. Der war zweifellos schlimm, aber eben auch nicht viel schlimmer als das Vorgehen anderer Kolonialmächte zur selben Zeit. Das macht nichts besser und gewiss nichts ungeschehen, aber man war halt in illustrer Gesellschaft. Vor allem aber gab es in Italien tatsächlich nennenswerten antifaschistischen Widerstand und man war, anders als die Deutschen, in der Lage, sich des Duce aus eigener Kraft wieder zu entledigen.
Angesichts der Volatilität des italienischen Wahlvolkes ist es unwahrscheinlich, dass eine von Meloni geführte Koalitionsregierung überhaupt genügend Zeit hätte, Italien in eine autoritäre Diktatur zu verwandeln. Zumal die Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor links/liberal tickt und im Kern das befürwortet, was Meloni gern abschaffen will: Offene Gesellschaft, LGBTQ-Rechte, liberales Abtreibungsrecht etc. Das Blöde ist halt - Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich -, dass die beiden maßgeblichen Kräfte der Linken sich gegenseitig die Direktmandate in den Einzelwahlkreisen streitig machten.
Schwerwiegender ist die außenpolitische Dimension. Sicher, Meloni und ihre Regierung werden sich hüten, die EU zu weit zu reizen oder gar auszutreten. Zwar gehört Italien zu den Nettozahlern, wird aber wegen des jüngsten Zinssprungs bei Staatsanleihen sehr bald auf EU-Gelder angewiesen sein. Es heißt aber einiges, dass die ersten überschwänglichen Glückwünsche von Viktor Orbán, von der AfD, von Marine Le Pen und der spanischen Vox kamen. Auch im Kreml wird man das Wahlergebnis mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen haben. Es wird knapp. Bleibt zu hoffen, dass Timothy Snyder recht behält.
(Dass die patriotische AfD schmerzfrei genug ist, eine Regierungschefin zu bejubeln, die eine "gewisse Antipathie gegen Deutschland" hegt, ist eine andere Geschichte, sollte aber niemanden überraschen.)
"Mit Parteien wie Fratelli d'Italia, Rassemblement National, Fidesz, Schwedenpartei [gemeint sind wohl die Schwedendemokraten, d.V.] oder FPÖ regiert erstmals Putin mit. Die halbfaschistischen Parteien sind seine fünften Kolonnen. Sie sind dem russischen Kriegsherren durch Zahlungen und Freundschaftsverträge verbunden. Vor allem aber haben sie mit ihm ein gemeinsames Ziel: die Zerstörung der Europäischen Union.
Ich kann mich noch gut erinnern, was EU, Währungsfonds und Weltbank unternommen haben, um die linke Regierung der Syriza in Athen zu stürzen. Kein Angriff auf Pensionen und kleine Einkommen, der die Anhängerschaft der Linken treffen konnte, wurde ausgelassen. Massenarmut wurde zur entscheidenden Waffe, mit der die Syriza-Regierung niedergekämpft wurde." (Peter Pilz)
Und wo bleibt jetzt der Alarm, der Aufschrei des bürgerlichen Lagers? Bleibt aus, weil das bürgerliche Lager längst mit im Boot ist. Es ist das alte Lied: Weil Rechtsextreme nicht an den herrschenden Besitzverhältnissen rütteln, finden Konservative sie allenfalls lästig, letztlich aber tolerabel und im Zweifel beherrschbar. Manche lernen’s halt nie.
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