In Kürze:
- Wie derzeit in Deutschland, gab es auch zuvor, z.B. in den Nachbarländern, hitzige Debatten über die Finanzierung und Ausrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR).
- Generell nimmt das Vertrauen in Medien- und Nachrichtenhäuser ab, ein Trend, der nicht vor öffentlich-rechtlichen Anstalten Halt macht.
- Ein Reform-Vorschlag sieht einen Rollenwechsel vor, wonach der ÖRR künftig weniger produziert und mehr kuratiert. Dadurch sollen Mittel effizienter genutzt und Vertrauen gestärkt werden.
(Dieser Artikel erschien als EN Original auf Medium)
Die Debatten sind hitzig, die Wogen gehen hoch. Selten hat in Deutschland die Thematik des Rundfunkbeitrages so viel Aufsehen erregt, wie dieser Tage. Die Ablehnung der Erhöhung von 86 Cent (pro Beitragszahler) in Sachsen-Anhalt führt zu politischem Klamauk und rechtlichen Drohungen. Fakt ist, Deutschland hat den relativ gesehen teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) der Welt. Die rund 8 Mrd. Euro gehen primär an ARD, ZDF, sowie Deutschlandradio, Deutsche Welle, und die regionalen Rundfunkanstalten (BR, SWR, NDR, etc.).
Während die Debatte in Deutschland derzeit Höchsttemparaturen erreicht, waren die alpennahen Nachbarländer in den letzten Jahren bereits in ähnlichen Situationen. Österreich und die Schweiz haben sich mit der Finanzierung des ÖRR befasst und ebenfalls politische Geschütze hochgefahren. In der Schweiz fand 2018 gar eine Volksabstimmung (was sonst?) zur "Abschaffung der Billag" (Billag = Finanzierungsvehikel) und somit zur Abschaffung der Finanzierung der ÖRR statt. Die Abstimmung an sich, war ein Inbegriff der zuletzt immer polarisirender werdenden Vorlagen. Diese dienen dem Trend des populistischen politischen Klimas und verkennen meist die Vielfalt der Realität. Es gibt nicht nur ja oder nein, alles oder nichts. Die Welt ist vielfältiger - wir sollten öfter über Reformen, statt über Verbote, sprechen & abstimmen.
Die Initiative zur Abschaffung der Billag ging 2018 in der Schweiz mit 71,6% Nein-Stimmenanteil verloren. Vorerst bleibt in der Schweiz also (fast) alles beim Alten.
Die Frage ist nicht, ob es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht. Öffentlich-rechtliche Anstalten stellen essenzielle Bestandteile der Medienlandschaft dar und erfüllen wichtige, mandatierte Aufgaben. Das Feld komplett der Privatwirtschaft zu überlassen würde nicht zu besseren Resultaten führen. Medien & Nachrichten sind Teil der öffentlichen Infrastruktur und fallen daher zu gewissen Teilen auch in öffentliche Verantwortung. Der Staat hat sicherzustellen, dass alle relevanten Themen in der Berichterstattung berücksichtigt werden - und dass seine Bürger Zugang zu Nachrichten & Medien haben.
Ein der Privatwirtschaft überlassener Mediensektor würde dazu führen, dass viele Themen nicht mehr vertreten wären - und, dass immer mehr Bürger aus der Welt der Qualitätsmedien ausgepreist würden. Das Phänomen des "pricing out" ist ernstzunehmen und unterstreicht die Wichtigkeit des ÖRR. Die Medienwelt hat in den letzten 5+ Jahren verstanden, dass eine primär werbefinanzierte Berichterstattung a) nicht der Qualität dient, b) für viele nicht tragfähig ist - und c) wie 2020 gezeigt hat, auch nicht krisenfest ist. Während (online) Abonnemente als Umsatztreiber erfolgreich wiederentdeckt werden, werden Zahlungsschranken (Paywalls) enger gesetzt. Was, wenn der private Qualitätsjournalismus hinter Zahlungsschranken verschwindet - und nur noch Billigmedien mit 60%+ Anzeigen-Umsatzanteil für die breite Öffentlichkeit übrig bleiben? Zugang zu Nachrichten ist daher eine der essenziellsten Aufgaben des ÖRR. Demokratie dauert länger als 20 Minuten.
Öffentlich-Rechtliche Anstalten sind also essenziell. Wo liegt denn das Problem?
Es geht in diesem Beitrag nicht um die aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland/Sachsen-Anhalt. Stattdessen geht es um den unterliegenden Reformbedarf, der scheinbar in der Politik- und Finanzierungs-getriebenen Diskussion oft zu kurz gerät. Es folgt also auch nicht ein Vorschlag zur Finanzierung des ÖRR, sondern ein Reformvorschlag bezüglich des Mandates und der Fokussierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Solch eine Reform müsste sich auf jeden Fall mit dem Thema des Vertrauensverlustes auseinandersetzen - ein Thema, welches die gesamte Medienwelt beschäftigt. Die breite Einstellung gegenüber Nachrichten und Medieninhalten ist in vielen Ländern und Regionen besorgniserregend:
Weder der ÖRR, noch die erwähnten Länder Deutschland, Österreich, Schweiz, sind von diesem Trend ausgenommen. Die nächste, untere Grafik, veranschaulicht den Vertrauensverlust gegenüber der BBC (wer ähnliche Erhebungen für ÖRR-DACH hat, gerne melden). Die Grafik zeigt, was in nur zwei Jahren passieren kann (~12% Verlust des Vertrauens) und drängt die Frage auf: wo wir 2022 stehen werden?
Was zu tun ist, gibt im Falle des Deutschen ÖRR eigentlich der Rundfunkstaatsvertrag vor. Dieser stellt das Mandat der öffentlich-rechtlichen Anstalten klar und gibt unter anderem vor, dass:
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.
Neben dem oben erwähnten Thema des Zugangs, zu Nachrichten und Qualitätsjournalismus, stellen die Objektivität und Unparteilichkeit wohl mit die wichtigsten Aufgaben des ÖRR dar. Wer den Auszug oben genau liest, stellt fest, dass dabei nicht gefordert wird, dass Inhalte selbst, von den öffentlich-rechtlichen Anstalten, erstellt werden. Was wäre also, wenn der ÖRR generell weniger produzieren und mehr kuratieren würde?
Ein Vorschlag:
Für die meisten Themen findet sich eine Fülle von Berichten, aus unterschiedlichsten Quellen (Nachrichtenagenturen, Zeitungsartikel, Podcast, Ausland, usw.). Was also, wenn der ÖRR seine Ressourcen mehr auf diese Vielfalt richten würde, als auf die eigene Erstellung von Inhalten? Eine wohl kuratierte Auswahl an Berichterstattung zu relevanten Themen würde auch Aufgaben wie e.g. Fact Checking beinhalten. Ausserdem müssten die Inhalte von privaten Anbietern, die dann auf öffentlich-rechtlichen Portalen umsonst verfügbar gemacht würden, trotzdem entschädigt werden. So könnten Teile des ÖRR Budgets in private Qualitätsmedien fliessen. Das würde also indirekt zur Sicherung einer breiten, vielfältigen Medienlanschaft beitragen.
Warum sollte jemand der Kuration der öffentlich-rechtlichen mehr Vertrauen, als deren Inhalten?
Die Frage ist berechtigt. Aber es gibt auch Antworten und Daten hierzu. Die Konfrontation mit verschiedenen Perspektiven zu Nachrichteninhalten hilft nicht nur bezüglich Confirmation Bias (Bestägigungsfehler), sondern fördert auch Medienkompetenz. Um der Vertrauensbasis weiter zu dienen, müsste der Kurations-Prozess so transparent wie möglich gestaltet werden.
Bei dem Vorschlag ist wichtig, dass "weniger eigene Inhalte produzieren" nicht "keine eigene Inhalte produzieren" heisst. Gerade die öffentlich-rechtlichen Anstalten aus dem DACH Raum haben einige hervorragende Nachrichtenangebote im Köcher, welche den privaten Angeboten locker die Stirn (oder mehr) bieten können. Es geht vielmehr um eine Fokussierung der öffentlich-rechtlichen Inhalte - weg von Unterhaltung, hin zu Nachrichten und Information. Gerade viele TV basierte Unterhaltungsformate sind enorm aufwändig und kostspielig - und nur wenige davon können in profitable Exporte entwickelt werden (wie z.B. der Tatort).
Verschiedene Perspektiven zu allen relevanten Themen kuratieren, geht nicht manuell. Doch die Technologie um genau das automatisiert zu tun ist heute bereits verfügbar. Viele Nachrichten Aggregatoren arbeiten bereits in diese Richtung, bedienen aber in den meisten Fällen jedoch eher blind eben diesen Confirmation Bias. Wir versuchen bei Varia andere Wege zu gehen und identifizieren explizit unterschiedliche Perspektiven. Für die Vielfalt, gegen die Filterblasen.
Neben Aggregatoren, könnte grundsätzlich jedes Nachrichtenformat diesen Weg gehen - verschiedene Perspektiven unterschiedlichster Quellen darzustellen. Dies bringt immer gleich die Herausforderung der Verteilung von Anzeige- und Abonnemente-Umsätzen mit sich. Ohne eine gute Lösung hier, bedeutet ein Klick auf einen Beitrag einer anderen Quelle, ein Klick weg vom Umsatz. Lösungen hier sind nicht trivial, aber klar machbar. Man kann sich sogar eine Medien-Welt ähnlich der code-sharing Welt der Luftfahrt-Allianzen vorstellen. Eine Star Alliance der Medien, quasi, wo Inhalte, Einnahmen und Nutzerdaten nach Verteilschlüssel geteilt werden. Der Aspekt des Nutzerdaten-teilens ist in der Schweiz in gewissen Zügen bereits Realität.
Aber, es gibt auch ein Bereich, wo all diese eben genannten Herausforderungen gar nicht erst bestehen, wo die Star Alliance der Medien Idee nicht eine Utopie, sondern gar ein Mandat sein könnte. Richtig, im ÖRR. Der ÖRR ist in der Pole-Position um so einen Ansatz umzusetzen. Dabei würden öffentliche Mittel verwendet um eine private, vielfältige Medienlandschaft zu fördern - und breiten Zugang zu Qualitätsjournalismus zu sichern. Ausserdem würde das Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Anstalten selbst gesteigert. Hört sich gut an...
Danke fürs Lesen. Ich freue mich selbstverständlich über Anregungen & Kommentare zu diesem Beitrag!
Eine wirklich hervorragende Dokumentation der Herausforderungen des ÖRR, sowie ein Manifest dazu wurde übrigens hier von Konrad Weber erstellt. Konrad war bis vor kurzem Leiter der digitalen Strategie des SRF, weiss also wovon er spricht.
Dieser Artikel wurde recherchiert & geschrieben in Varia Research
Quellen:
Reuters Digital News Report 2020
https://www.digitalnewsreport.org/
Wo die 8 Mrd. in Deutschland heute hin fliessen
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/rundfunkbeitrag-wofuer-ard-zdf-und-deutschlandradio-geld-ausgeben-17091678.html?xing_share=news
Digital nudging to counter confirmation bias (study)
https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fdata.2019.00011/full
Rundfunkstaatsvertrag Deutschland
https://www.ard.de/home/Rundfunkstaatsvertrag/538802/index.html