CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß hat sich am 11. Dezember 2020 für spezifische staatliche Förderprogramme ausgesprochen, um die komplementärmedizinische Forschung zu stärken (Mehr Forschung zur Komplementärmedizin nötig - Alexander Krauß - Für unser Erzgebirge im Bundestag! (alexander-krauss.com)). "Obwohl der Großteil der Bevölkerung alternativmedizinische Angebote wünscht, gibt es kaum Forschung in diesem Bereich", sagte Krauß. Zwischen 1986 und 1996 habe es zwei Förderprogramme gegeben. Daran solle angeknüpft werden. Auch aus dem Innovationsfonds müsse mehr Geld in Projekte mit komplementärmedizinischem Ansatz fließen. Der CDU-Politiker sprach sich auch für staatlich finanzierte Lehrstühle für Naturheilverfahren aus. Derzeit gebe es lediglich zehn Stiftungsprofessuren im Bereich der Komplementärmedizin.
Das hört sich erstmal recht gut an; aber dann kommen doch Zweifel auf. Krauß hat Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft sowie Evangelische Theologie studiert. Somit ist er vielleicht nicht optimal informiert, wenn es um (komplementär)medizinische Forschung geht. Ich würde meinen, dass er bei seiner im Prinzip lobenswerten Unterstützung dieses Bereichs mehrere wichtige Punkte bedenken sollte.
Krauß meint, dass es kaum komplementärmedizinische Forschung gäbe. Er wäre dann wohl überrascht, zu hören, was Medline, die größte medizinische Datenbank, hierzu offeriert. Unter den folgenden Suchbegriffen kann man dort beispielsweise abrufen (Stand 11/12/2020):
- Dietary supplements (Nahrungsergänzungsmittel): 88 933 Artikel,
- Herbal medicine (Pflanzenheilkunde): 48 746 Artikel,
- Integrative medicine: 45 638 Artikel,
- Acupuncture : 33 936 Artikel,
- Holistic medicine (Ganzheitliche Medizin): 22 829 Artikel,
- Complementary (ergänzende) and alternative medicine: 19 292 Artikel,
- Chiropractic: 8 390 Artikel,
- Homeopathy: 6 006 Artikel.
Das Problem in der komplementärmedizinischen Forschung ist aus meiner Sicht nicht primär ihre Quantität, es ist vielmehr ihre Qualität. Auf meinem Blog (edzardernst.com) nehme ich mir fast täglich neuerschienene Studien aus diesem Bereich vor. Mit erschütternder Regelmäßigkeit muss ich dann feststellen, dass diese oft nicht einmal das Papier wert sind, auf denen sie publiziert wurden.
Aber damit könnte man vielleicht sogar leben; schlecht gemachte Studien könnte man einfach beiseite tun und das Augenmerk sodann auf die wenigen belastbaren Daten in diesem Bereich legen. Das passiert jedoch leider nicht. Im Gegenteil, in der Komplementärmedizin scheint man drittklassige Forschung zu lieben und belastbare Wissenschaft zu meiden.
Die Erklärung für dieses absonderliche Phänomen ist einfach: Schlechte Forschung liefert meist positive Ergebnisse, während gute Forschung das oft nicht tut. Und in der Komplementärmedizin liebt man nun einmal das Positive. Wenn berichtet wird, dass Homöopathie bei Krebs hilfreich sei, dann wird so heftig jubiliert, dass man vergisst wie unglaubwürdig ein solcher Befund ist. Wenn man dagegen darstellt, dass die Homöopathie nicht nur unplausibel, sondern auch unwirksam und daher gefährlich ist, dann schreien die Enthusiasten Zeter und Mordio.
Und wieso ist die Mehrheit der komplementärmedizinischen Forschung so wenig zuverlässig? Die Antwort auf diese Frage ist sicherlich vielschichtig, aber ein Faktor spielt bestimmt eine ganz hervorragende Rolle, und das sind die komplementärmedizinischen Forscher selbst.
In den vielen Jahren, in denen ich in diesem Bereich tätig bin, habe ich folgendes Szenario vielfach hautnah miterlebt:
- Ein glühender Anhänger eines komplementärmedizinischen Verfahrens, der wissenschaftlich völlig unbeleckt ist, beschließt seine Lieblingstherapie zu beforschen.
- Er legt (bewusst oder unbewusst) seine Studien so an, dass negative Ergebnisse weitgehend ausgeschlossen sind.
- Er publiziert ein positives Resultat nach dem anderen.
- So avanciert er rasch zu einem ,Experten‘ auf seinem Gebiet.
- Kritik an seinen Studien erntet allenfalls ein müdes Lächeln und wird von Alternativmedizinern ignoriert.
- Als enthusiastischer Experte ist unser Pseudowissenschaftler nun bei Journalisten gefragt.
- Mit deren Hilfe werden seine falsch-positiven Ergebnisse weithin verbreitet und akzeptiert.
Dieses Phänomen ist in der komplementärmedizinischen Forschung derart weit verbreitet, dass ich auf meinem Blog eine ‚Alternative Medicine Hall of Fame‘ eingerichtet habe. Dort finden sich immer mehr Forscher der Komplementärmedizin, die ständig nur positive Studien zu ihrer Lieblingstherapie publizieren, selbst wenn die Daten noch so wenig Hand und Fuß haben.
Zurück zu Alexander Krauß; die von ihm avisierte Unterstützung der komplementärmedizinischen Forschung ist nur mir Einschränkungen eine gute Idee:
- Wenn Projekte gefördert werden, die die Komplementärmedizin nicht wirklich knallhart prüfen, sondern darauf abzielen, sie zu bestätigen oder hoch zu loben, dann ist das nur Geldverschwendung.
- Wenn Lehrstühle mit Enthusiasten besetzt werden, dann ist das letztlich kontraproduktiv.
- Wenn komplementärmedizinische Forschung nicht von geschulten Wissenschaftlern, sondern von enthusiastischen Befürwortern betrieben wird, dann werden wir auch weiterhin von miserabler Pseudowissenschaft in die Irre geleitet.
Sollte eine staatliche Förderung der komplementärmedizinischen Forschung tatsächlich ins Auge gefasst werden – und schlussendlich wäre ich dafür - dann sollte großen Wert darauf gelegt werden, dass sie auch richtig eingesetzt wird. Es gibt bereits viel zu viel Pseudowissenschaft in der Komplementärmedizin. Was wir brauchen ist nicht noch mehr Lobhudelei von naiv Gläubigen, sondern kritische Evaluation von ausreichend geschulten Wissenschaftlern.
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