Social Media ist auf nahezu allen Smartphones. Schnell installiert, einfach bedient und halb-anonym kann hier jeder seine Meinung frei in die Tasten tippen oder die Kamera sprechen. Genauso wie jeder schnell und einfach die verschiedensten Meinungen abrufen und kommentieren kann. Es ist gewollt und gleichermaßen unvermeidlich, Antworten zu erhalten. Meistens ebenso schnell und in der Regel halb-anonym. Zuspruch aus der eigenen Meinungsblase ist ebenso sicher, wie mitunter kräftiger Gegenwind aus der anderen, gegensätzlichen Richtung. Meinungen sind dazu da, ausgetauscht zu werden.
Social Media macht es uns einfach. Meinungsaustausch findet ohne Blickkontakt, ohne jede Mimik, Gestik oder Stimmfarbestatt. Eine trügerische Einfachheit. Setzt sie doch ungleich höhere Maßstäbe an die eigene Disziplin und gute Kinderstube, soll der Meinungsaustausch fair erfolgen. Zuweilen wäre ein längerer Weg zwischen Hirn und Tastatur mit ausreichend Zeit zur Meinungsbildung wünschenswert. Denn Meinungsbildung ist ein mitunter schwieriger Prozess. Es braucht dafür Fakten und Informationen ebenso wie Erfahrungen. Es braucht Einblicke in gegebene Umstände, die ein Urteil ermöglichen. Urteilen wir, schwingt darin regelmäßig auch ein moralischer Grundton unserer eigenen Überzeugung mit. Meinung ist immer auch ein moralbasiertes Urteil.
Erfahrungen sammeln wir, Moral entwickeln wir und Fakten suchen wir – im besten Fall. Dies mittlerweile vornehmlich im World Wide Web. Genauso leicht zugänglich und schnell abrufbar haben die Informationen beste Chancen, in unser Faktenportfolio zu gelangen, die mit einem Klick erreichbar und gut verständlich sind. Beste Voraussetzungen für die Medien und ihre Produkte. Während Fakten- oder wissenschaftsbasierte Plattformen entweder komplett den Experten vorbehalten oder nur von Ihnen erkenntnisgewinnend nutzbar sind und allgemein zugängliche, verständlichere Plattformen mit inkludierten Werbezwecken immer noch gezielter und vor allem ausdauernder Suche nach Informationen bedürfen, fliegen Medieninhalte einem förmlich zu. Leicht zugänglich, ständig präsent, jederzeit abrufbar in Print, Funk, Fernsehen und Social Media. Medien sind nicht zuletzt deshalb wichtiger Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Sie sind Grundlage für Meinungsbildung und damit für unseren demokratischen Meinungsaustausch, für unsere Demokratie.
Aber nur dann, wenn sie der breiten faktenbasierten Information der Menschen, unabhängig von Werbeeinnahmen und jenseits gezielter Beeinflussung dienen. Dringende Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunks war und ist daher genau das, die Wahrung der politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit.
Problematisch wird es, verschwimmen in den Medien, insbesondere den öffentlich-rechtlichen, Information und Meinung und wird aus Informationsjournalismus ein nicht klar als solcher erkennbarer Meinungsjournalismus. Moralbasierte journalistische Urteile werden als Fakten getarnt verbreitetoder sogar schon selbst als Fakten angenommen, in jedem Fall jedoch als faktisch gesetzt behandelt.
Es scheint fast zwangsweise logisch, dass Menschen zu leugnen scheinen, wenn sie sich trotz der weit verbreiteten moralbasierten faktisch gesetzten medialen Meinungen ihr eigenes, dann abweichendes Urteil bilden. Öffentlich geäußert laufen sie Gefahr, einem öffentlichen Shitstorm zu erliegen.Die eigene (abweichende) Meinung wird daher entweder erst gar nicht mehr öffentlich geäußert, nicht selten relativiert und angepasst oder gar komplett zurückgezogen. Alles im Sinne des einheitlichen Meinungsbreis. Dies ist Gift für unsere offene, tolerante Diskussionskultur und unsere Demokratie.Unsere im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit existiert ohne Frage, läuft aber leer.
So passiert es, dass Experten, die die Meinung der Politiker nicht teilen, nicht einmal mehr nach ihrer Interpretation der Fakten und damit Meinung gefragt werden.
So geschieht es, dass die Aktion #allesdichtmachen für die beteiligten Schauspieler existenzgefährdend wird, wenn ein Mitglied des öffentlich-rechtlichen Rundfunkrates mit deren Kündigung droht, beteiligte Schauspieler Morddrohungen erhalten oder öffentlich zum Boykott schauspielerischer Arbeit aufgerufen wird.
‚Es gibt kein Grundrecht auf Applaus‘ sagte kürzlich ein guter Bekannter im Zusammenhang mit #allesdichtmachen und den heftigen Reaktionen dazu. Freilich gibt es kein Grundrecht, dass die eigene Meinung für gut befunden wird. Es gibt aber genauso wenig das Recht des anderen, abweichende Meinungen zu verurteilen oder Existenzen zu bedrohen. Und es gibt kein Recht der journalistischen Seite, über diese Meinungen zu richten, Bilder zu framen, die abweichende Meinungen extremisieren oder Forderungen nach Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Feindbildern zu belegen und als populistisch abzutun.
Im Gegenteil: Meinungsfreiheit braucht zu allererst grundlegende Fakten und Informationen eines verantwortungsvollen Journalismus, öffentlich-rechtlich oder nicht, ist dabei egal. Meinungsfreiheit braucht aber auch Toleranz und das Aushalten völlig divergierender Meinungen.
Was ist unsere Meinungsfreiheit sonst noch wert, wenn diese an die Grenzen sich mehr und mehr herausbildender journalistischer und gesellschaftlicher Meinungshoheit trifft?
Was ist unsere Meinungsfreiheit wert, wenn vom Mainstream abweichende, selbst auf unsere Verfassung fußende,Meinungen mit einem öffentlichen, teilweise vernichtenden Shitstorm überrannt werden. Wenn immer auch im Vorfeld einkalkuliert werden muss, welche persönliche, existenzgefährdende Konsequenz aus der eigenen, öffentlich geäußerten Meinung folgen könnte.
Nein, es gibt kein Grundrecht auf Applaus, es darf aber auch keine allgemeine Meinungshoheit geben, die Meinungsfreiheit zwar zulässt, abweichende Meinungen jedoch mit Buße belegt.
Unabhängiger Journalismus, der faktenbasiert informiert ist wichtiger denn je. Was würde passieren, gäbe es hoheitlichen Meinungsjournalismus, der noch dazu gebührenfinanziert ist?
Ein sich kartellartig ausbildendes Meinungsmonopol entstünde.
Meinungsfreiheit könnte diesem Meinungsmonopol ähnlich wie David gegen Goliath zwar mutig entgegentreten, würde jedoch wie eine Fliege zertreten werden.
Gut daher, dass wir davon noch weit entfernt sind. Oder nicht?