Vor 30 Jahren erschien mit 'Metallica' eines der wichtigsten Alben der Popgeschichte.

Um zu verdeutlichen, welche enorme popkulturelle Bedeutung das 1991  erschienene, in Anlehnung an das 'White Album' der Beatles inoffiziell 'Black Album' genannte Album 'Metallica' hatte, könnte ich zum Beispiel von meinem alten Freund G. erzählen. Mit dem konnte ich mich immer auf vieles einigen, weswegen wir auch Freunde sind. Bei zwei schönen Dingen des Lebens hingegen lagen und liegen wir meist krass über Kreuz: Bei Filmen und bei fast allem, was Musik angeht.

Als wir Ende der Neunziger mal im Auto saßen, erklang im Radio eine von einem Orchester begleitete Rockballade. G. drehte laut auf und genoss. Dann fragte er, was das für Musik sei. Ich so: "Das? Das ist 'Nothing Else Matters' von Metallica." Er so: "DAS ist Metallica? Das ist ja  richtig gut!" - "Ja, DAS ist Metallica. Man soll’s nicht glauben,  gell?", gab ich süffisant mit hochgezogener Augenbraue zurück. (Metallica hatten kurz zuvor ihr Album 'S&M' veröffentlicht, auf dem  auch ihr größter Hit 'Nothing Else Matters' war und der so wieder nach oben in die Charts gespült und im Radio gespielt wurde.) Metal, das waren für ihn bis dahin ausnahmslos langhaarige Dunkelmänner aus der Krachmacherstraße gewesen, die Kirchen schändeten, neugeborene Kinder frühstückten und keine Musik machten, sondern allenfalls Presslufthämmern und Schrottpressen Konkurrenz. Danach wusste er: Es gibt welche, die können auch anders. Immerhin.

Metallica wurden  und werden für vieles kritisiert: Dass sie nur am Kommerz interessiert seien. Überhaupt, dass sie gierige Schweinekapitalisten seien, weil sie als erste gegen die einst blühenden Tauschbörsen im Netz vorgingen. Dass Schlagzeuger Lars Ullrich besser Banker geworden und ein mittelmäßiger Hobby-Drummer geblieben wäre. Dass sie regelmäßig ihre Fans mit Ungewohntem vor den Kopf stießen u.s.w.

Das kann man selbstverständlich tun. Dem kann man entgegenhalten, dass es nichts Ehrenrühriges ist, mit seiner Musik Geld, auch viel Geld, verdienen zu wollen. Dass einer, der als Schlagzeuger einer Band über Jahrzehnte hinweg ziemlich erfolgreich ist, vermutlich irgendwas richtig macht, sei es bloß aus Versehen, und zumindest ein solider Handwerker sein muss. Und drittens muss man Metallica zugutehalten, immer gemerkt zu haben, wenn  sie in einer kreativen Sackgasse angekommen waren und zu wissen, dass  man, um da rauszukommen, auch mal was riskieren muss.

Ende der Achtziger war das Genre, das ursprünglich 'Heavy Metal' hieß, auf dem besten Wege zur Parodie seiner selbst zu werden. Immer mehr Subgenres bildeten sich, es ging teils arg sektiererisch zu. Viele Bands verfielen in mehr oder minder peinliche Klischees. Immer mehr Ketten, Nieten, Patronengurte, Stachelhalsbänder und andere Sadomaso-Requisiten, Monster, Götter, Helden, Satan, Beelzebub. Immer aberwitzigere Soli, immer schneller, immer lauter. Oder immer mehr Haarspray, Schminke und immer schrillere Spandexhosen. Metallica, auch das spricht für sie, haben dergleichen Hokuspokus, abgesehen vielleicht von ein paar alterstypisch peinlichen Posen in frühen Jahren, nie wirklich mitgemacht.

Sie hatten 1988 mit 'And Justice For All' einen Weg eingeschlagen, den man  'progressiv' nennen könnte. Längere Stücke mit 'Aussage', krumme  Rhythmen, Taktwechsel, lange Gitarrensoli. Was sollte danach kommen? Noch längere Stücke mit noch mehr 'Aussage'? Ein Konzeptdoppelalbum? Ein politisches gar? Noch krummere Rhythmen? Noch längere Soli? Noch weniger Bass? Es stellte  sich die Frage, ob man weiter eine Nische bespielen wollte, in der sich's gewiss auch weiterhin kommod würde leben lassen, oder einen großen Wurf wagen.

Man entschied sich für letzteres und holte den  Produzenten Bob Rock ins Haus. Der machte vieles anders. Was im  Einzelnen, können Interessierte bei Kundigeren nachlesen. Die Produktion zog sich über ein Jahr, verschlang den damals  ungeheuren Betrag von einer Million Dollar, es gab immer wieder Mordsstunk, die Band gegen den Produzenten, die Band untereinander, aber am Ende ein Ergebnis: Zwölf Tracks, nicht länger als 5-6 Minuten, kaum Gitarrensoli, noch weniger wildes Double-Bassdrum-Gehämmer, keine Geschwindigkeitsrekorde. Kein geschmäcklerisches Gepluster, sondern Reduktion aufs Wesentliche. Massentauglich, doch immer noch Metal. Warum? Weil da, im Gegensatz zum klassischen Hardrock, wie ihn damals etwa Guns'n'Roses zelebrierten, kaum mehr Verwurzelung im Blues wahrzunehmen ist.

Man mag mir da übrigens gern widersprechen. Ich bin kein Musiktheoretiker und begehre um Himmels Willen auch keiner zu sein. Was aber die Bedeutung des Albums als kulturelles Phänomen angeht, lehne ich mich aus dem Fenster (auch wenn die Erkenntnis alles andere als neu oder originell ist): 'Metallica' hat damals Metal in den  Mainstream katapultiert. Hätte man kurz vor dem 'Black Album' prophezeit, dass Metaller bald ihre Nische verlassen, in die Superstarsphären von Bands wie AC/DC oder Genesis aufsteigen und die Stadien der Welt füllen würden, man wäre wohl für verrückt erklärt worden.

Der Rest ist bekannt. Das Album schoss als erstes Metal-Album überhaupt in vielen Ländern an die Spitze der Charts, heimste als erstes Metal-Album Grammys ein und die Singles wurden bei  MTV ("Opa, was ist Emmtiwie?") in heavy rotation gespielt. Plötzlich wiegten sich Pädagogikstudentinnen, die Diddelmäuse am Rucksack baumeln hatten, verklärt zu 'Nothing Else Matters'. Und auf Partys (die damals meist noch 'Feten' hießen), ging alle Welt plötzlich ab zu 'Enter Sandman'. Ein derart wuchtiges, finsteres Geprügel mag es zuvor sicher schon irgendwo gegeben haben. Nur eben nicht auf Platz 1 der Charts.

Ausverkauf, billige Ranschmeiße an den Massengeschmack? Die Seiten gewechselt? Kann man so sehen. Oder aber akzeptieren, dass Metallica damals wieder einmal eher als andere etwas begriffen hatten: Dass es nicht um Stilfragen geht oder darum, ein paar kleingeistige Schubladendenker zu beglücken, sondern zuvörderst und vor allem mal darum, gute Musik zu machen. Und das haben sie. Hört man 'Metallica' bzw. das 'Black Album' heute, nach 30 Jahren wieder, offenbart sich, wie gut gealtert, geradezu zeitlos das ist. Und daher sind alle momentanen Festivitäten zum 30. sehr wohl angebracht. Mögen auch die, in deren Welt es immer wohlgeordnet nach Lagern zugehen muss, von "Verrat!" krakeelen. Sollen sie halt. In diesem Sinne: Happy anniversary!

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