Hier ein Nachwort zu "Fernwehpassagen - Gedichte" Conte Verlag 2009 von meinem besten Verlegerfreund, dem Chef vom Alber Verlag, LUKAS TRABERT... viel Spaß

Nachwort
Einem Verleger werden neben manchen Manuskripten, die er später veröffentlicht, viele weitere Manuskripte unverlangt zugesandt, die nicht, gar nicht oder wirklich überhaupt nicht in sein Programm passen und bei denen er sich fragt, wie der Autor nun gerade auf seinen Verlag gekommen ist. So erging es mir, als im Februar 2001 ein junger Mann aus Kaiserslautern gleich drei lyrische Manuskripte nach Freiburg schickte. Sie passten wirklich überhaupt gar nicht zu einem wissenschaftlichen Philosophieverlag. Kurz darauf rief er mich auch an – mit starkem pfälzischen Akzent, und ich erklärte ihm, warum wir ihn nicht würden verlegen können, und sagte ihm, was mir an den Textstellen, die ich gelesen hatte, gefallen und was mir nicht gefallen hatte. Das haben wir bis heute so fortgesetzt: Uwe Kraus schickt mir neue Texte und ruft mich an, um zu hören, wie ich sie finde. So habe ich seit gut acht Jahren seine Entwicklung als Lyriker mit allen Höhen und Tiefen mitbekommen und begleiten können, und es freut mich, dass der Conte Verlag nun einige jüngere Gedichte als „Fernwehpassagen“ in schlichter, eleganter Gestaltung herausbringt.
In Uwe Kraus’ Gedichten ist eine eigene Sprachgewalt am Werk, eine hohe Sensibilität und tiefe Verletzlichkeit, genährt aus Grenz-Erfahrungen von Leid und Qual und Einsamkeit. Es ist, als flögen ihm die Gedichte zu oder als brächen sie aus ihm hervor. In ihrer Mehrbezüglichkeit und kalkulierten Wirrnis (die man, um die eigene Stimme, die aus den Gedichten spricht, hervorzuheben, auch Krausheit nennen könnte) gleichen manche seiner Gedichte Dschungelbildern: wirre, verschlungene Linien, befremdliche Töne und kaum merkliche, sich kreuzende und sich verlierende Fährten. Wenn ein Dichter, ein unförmiger Geist, wie Uwe Kraus es nicht lassen kann, an den Bildern zu drehen (S.29), so werden in seinen Worten und Wendungen unweigerlich neue Sinnmomente aufblitzen. Exemplarisch möchte ich die Stelle anführen, die mich in diesem Gedichtband am meisten berührt hat: „ich werde dich suchen Zulu / und dich niederstrecken / mit Schrot / das will ich meinen / zum ernsten hin // am ersten dieses Halbmondes / werde ich strecken dein Haupt // und dich köpfen Zulu / der Himmel weiß / der Himmel weiß“ (S. 74).
Neben der zweideutigen Wiederholung am Ende ist die innere Spannung dieser Passage der doppelten Lesart des Wortes Zulu zu verdanken: als anonymes Mitglied eines Bantustammes wird ein Zulu aufgespürt, niedergestreckt und geköpft werden. Doch verwandelt sich solch zukünftiges Fern-Weh, das einem anderen zugefügt wird, zu eigenem Schmerz, wenn Zulu als ein Eigenname gehört wird, wenn dieser Mensch namens Zulu mit dem lyrischen Ich schicksalhaft verknüpft ist. Dann liegt in dem beschriebenen Vorgang ein Gefühl zwischen Erhabenheit und Zärtlichkeit, dann wird klar, dass sich hinter der Gewaltphantasie die Sehnsucht nach menschlicher Nähe verbirgt. Die Tötung Zulus wird zu einer Opferhandlung, deren Wirkung darauf beruht, dass der Geopferte dem Opfernden unendlich kostbar ist. Dieser Sinn scheint beim ersten Lesen nur schwach auf, wird aber wieder evoziert, sobald man das Schlussgedicht des Buches liest, das den Titel „Zulu“ trägt: Als Persona in einem inneren Drama steht die Fernweh-Figur des Zulu zugleich für das Heim- und Nahweh, das den Quälgeist und Freigeist (S.29) Uwe Kraus umtreibt.
Die Wüstheit des (eigenen) Lebens und die Wildheit der westlichen Welt spiegelt sich in vielen Gedichten dieses Buches, doch im Geistigen und in der Poesie können wir zu einer anderen Weise von Wüstheit gelangen: „Je mehr in dir selbst Wüste ist und Unwissenheit aller Dinge, je näher kommst du diesem [Gott als dem eigentlichen Gegenstand des Denkens]. [...] Das wahre Wort der Ewigkeit wird allein in der Ewigkeit ausgesprochen, wo der Mensch Wüste ist und seiner selbst und aller Mannigfaltigkeit entfremdet. [...] Wo findet man Ruhe und Rast? Wahrlich, da wo man aller kreatürlichen Dinge entworfen und entwüstet und entfremdet ist.“ Was Meister Eckhart vor 700 Jahren schrieb, klingt in manchem Gedicht von Uwe Kraus nach. Auf seine weiteren Bücher dürfen wir gespannt sein.

Lukas Trabert

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