Die Grünen stehen zurzeit in Umfragen zur Bundestagswahl im kommenden September gut da, und das führt dann natürlich auch wieder dazu, dass die Grünen-Hasser sich zu Wort melden und mal wieder die alte Leier von der „Ökodiktatur“ auspacken, die sie dann befürchten, sollten die Grünen an der Bundesregierung beteiligt sein oder sogar die Kanzlerin stellen. Zeit also, sich vielleicht mal ein bisschen näher mit diesem Kampfbegriff zu beschäftigen.

BILD und andere Rechtsaußen aus Politik und Medien malen diesen Teufel ja schon länger an die Wand, sobald mal jemand mit der Idee um die Ecke kommt, dass es für Klima- und Umweltschutz sinnvoll sein könnte, ein paar Dinge zu verbieten. Daher wurden die Grünen ja auch schon immer wieder als „Verbotspartei“ bezeichnet, wobei da immer gleich eine gehörige Portion von Spaßbremsentum als Vorwurf mitschwingt.

Logisch, der neoliberale Bürger hat eben keinen anderen Spaß, als irgendwas zu kaufen oder zu konsumieren …

Und da immer offensichtlicher wird, dass unser Lebensstil diesen Planeten gerade ruiniert, wird dann eben das Gespenst einer Ökodiktatur bemüht, die man auf gar keinen Fall haben möchte. Klar, wer hat schon Bock auf irgendwas, was als Diktatur bezeichnet wird? Na ja, ironischerweise noch am ehesten die schwarzgelbblaubraunen Spießgesellen, die immer am lautesten wegen einer Ökodiktatur lamentieren.

Dabei ist es doch bisher immer so gewesen, dass nur Verbote wirklich etwas für den Umweltschutz gebracht haben. Gerade von denen, die versuchen, den Klimawandel zu relativieren oder sogar abzustreiten (solche Leute gibt es entgegen allem wissenschaftlichen Konsens ja nach wie vor), wird dann ja immer gern vorgebracht: „Das Ozonloch ist dann ja auch nicht so schlimm geworden wie vorhergesagt. Und auch das Waldsterben in den 1980er-Jahren hat sich nicht so dramatisch entwickelt.“

Stimmt. Aber warum was das so? Weil nämlich FCKW verboten wurde. Und weil Katalysatoren bei Autos Pflicht wurden. Weil also genau das gemacht wurde, was heute zum Schutz des Klimas dann als „Ökodiktatur“ verteufelt wird: Verbote, Verpflichtungen und Regulierungen aussprechen.

Richard David Precht hat dazu etwas sehr Schlaues gesagt in einem Gespräch mit titel thesen temperamente (ARD), und diese Aussage kann man sich noch auf der Facebook-Seite der Sendung anschauen. Ich zitiere mal die Quintessenz aus dieser hörenswerten Minute:

Wenn wir die „Ökodiktatur“ verhindern wollen, müssen wir jetzt Verbote machen. Damit die Lage nicht so eskaliert, dass wir eine „Ökodiktatur“ brauchen.

Dabei verweist Precht richtigerweise auch darauf, dass durch weiteres Abwarten die Maßnahmen, die uns vor den Folgen der Klimakatastrophe schützen, immer einschneidender werden. Und dass wir auch nicht wissen, wer dann gerade an der Regierung ist, um solche Maßnahmen umzusetzen. Könnte ja auch beispielsweise eine nicht gerade demokratisch und/oder rechtsstaatlich gesinnte Partei sein. Immerhin geht die Tendenz der letzten Jahre ja dahin, fragwürdigen Gestalten mit Hang zu rechten und antidemokraitschen Überzeugungen Führungsmacht zu geben (Trump, Bolsonaro, Putin, Orbán, Kaczinski, Johnson, Netanjahu, Salvini, Strache …).

Sollen es also tatsächlich ausgerechnet solche Typen sein, die dann „ökodiktatorische“ Maßnahmen umsetzen? Och nö …

Tja, und dann sieht man ja auch gerade im Verlaufe des letzten Corona-Jahres, was so alles an Grundrechtseinschränkungen möglich ist, wenn eine Bedrohung erst mal greifbar und konkret ist – und nicht so was Abstraktes wie der Klimawandel ist, dessen Folgen ja zurzeit doch immer noch in erster Linie Menschen am anderen Ende der Welt betreffen. Das geht dann bis hin zu Ausgangssperren, deren Wirksamkeit bei der Infektionseindämmung nicht nur fragwürdig ist, sondern die tatsächlich ein Merkmal von autoritären und wenig demokratischen Regimes sind.

Klar, da gibt es nun auch ein paar, die von einer „Virologendiktatur“ schwafeln, aber die nimmt doch eigentlich niemand so richtig ernst, oder? Was dann nur etwas grotesk anmutet, ist, dass dieses Gerede dann ulkigerweise oft genug von denen kritisiert wird, die sich selbst nicht zu schade sind, an anderer Stelle von „Ökodiktatur“ zu schwafeln.

Und noch eine spaßige (wenn’s nicht so traurig wäre) Parallele: Diejenigen, die den Kampfbegriff „Ökodiktatur“ verwenden, sind dann oft ganz heiß darauf, mehr Überwachungsmaßnahmen zu implementieren.

Dabei zielen die meisten Verbote und Maßnahmen, die dann mit der Ökodiktatur-Diffamierung belegt werden, nicht darauf ab, das Verhalten von Einzelnen (also von der Nachfrageseite) zu sanktionieren, sondern eher die Angebotsseite in die Pflicht zu nehmen. Ist ja auch nachvollziehbar: Das individuelle Konsumverhalten kann kaum manierlich überprüft werden außer durch eine vollumfängliche Überwachung, und was nicht kontrolliert werden kann, kann auch nicht bestraft werden. Also müssen bestimmte Angebote eben einfach verschwinden. Kreuzfahrten zum Beispiel. Oder Inlandsflüge, wenn nicht gleich alle Flugreisen. Oder Mikroplastik. Oder die meisten Einwegverpackungen. Oder übermotorisierte SUVs und andere Protzkisten. Oder Kohle- und Atomkraftwerke. Und dann gibt es auch Dinge, die mehr vorhanden sein müssten: Pfandsysteme, öffentliche Verkehrsmittel, fahrradfreundliche Städte, erneuerbare Energien, Sharing-Konzepte, Unverpacktläden, Urban Gardening und die Möglichkeit, Arbeiten und Wohnen räumlich dichter zusammenzuführen. Um nur mal ein paar Beispiele zu nennen.

Das sind nur eben alles Sachen, die der Einzelne so nicht wirklich beeinflussen kann, die teilweise sogar an die Wurzeln unseres Wirtschaftssystems rangehen. Was aber auch zwingend notwendig ist, denn dieses Wirtschaftssystem hat uns den Schlamassel mit der Klimakatastrophe ja schließlich auch eingebrockt. Und dafür braucht es Verpflichtungen und Verbote – was nicht zwingend diktatorische Maßnahmen sein müssen, wenn sie denn im Sinne des Allgemeinwohls erlassen werden.

Denn das ist eben auch der Unterschied zwischen diktatorischen Verboten und einer wirksamen Klimaschutzpolitik: Erstere dienen vor allem dazu, die Macht des Diktators zu festigen und zu erhalten sowie ihm und seinen Buddies die Taschen vollzumachen, Letztere hat da eher den Erhalt unserer Biosphäre und damit letztlich das Wohl aller Menschen im Blick.

Aber natürlich ist das auch für Leute mit wenig demokratischen Ansinnen schon eine gewisse Versuchung. Die wissen ja überwiegend auch, dass die Klimakatastrophe irgendwann sehr einschneidende Maßnahmen notwendig machen wird, und zwar umso einschneidender, je länger wir abwarten. Könnte es vielleicht sein, dass AfD und Co. deshalb den Klimawandel leugnen, da sie genau wissen, dass aufgrund von unzureichender Klimaschutzpolitik irgendwann ein Zustand erreicht werden könnte (s. die Aussagen von Precht von weiter oben), der dann wahrlich diktatorisches Vorgehen rechtfertigt bzw. anders nicht mehr zu handhaben ist?

Zumal auch schon vorher zunehmende Verwerfungen auftreten werden, so wie Dürreperioden, Waldsterben, Unwetter und Überschwemmungen, die ja bereits jetzt auch in unseren Breiten zu beobachten sind. Und immerhin war es ja der langjährige AfD-Pressesprecher Christian Lüth, der freimütig erklärte: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.“

Wir haben in den letzten Monaten gesehen, was alles an Maßnahmen durchgesetzt und auch von den meisten Menschen hingenommen wird, um einer Krise zu begegnen. Nun ist die Covid-19-Pandemie, wenngleich sie unser Leben in den letzten 15 Monaten auch dominiert hat, im Vergleich dazu, was als Folgen des Klimawandels auf uns zukommt, ein ziemlicher „Kindergarten“, um mal den Energieforscher Volker Quaschning zu zitieren.

Wer jetzt schon bei für mehr Klimaschutz geforderten Verboten, Verpflichtungen und Einschränkungen von „Ökodiktatur“ spricht, sollte sich diese Relation tunlichst vor Augen halten. Und sich dann überlegen, ob dieser Begriff im Rahmen einer sachlichen Diskussion wirklich angebracht ist.

PS: Dass mit den Grünen in ihrer aktuellen Verfassung ohnehin keine wirklichen Verbote oder einschneidenden klimapolitischen Änderungen zu erwarten sind, verschafft dem Ganzen dann noch eine schon recht bittere Ironie. Spätestens nachdem Grünen-Chef Robert Habeck kürzlich von der Partei Die Linke ein Bekenntnis zur NATO als Grundvoraussetzung für eine mögliche Koalition einforderte (s. hier), dürfte klar sein, dass es auf eine grün-schwarze bzw. schwarz-grüne Koalition hinauslaufen dürfte. Und mit der CDU ist mit Sicherheit keine Klimaschutzpolitik zu machen, die diesen Namen auch verdient. Wobei dann vermutlich selbst solche uneffektiven, aber dafür „marktkonformen“ Maßnahmen wie eine CO2-Bepreisung (s. dazu ausgesprochen lesenswert hier) schon wieder vom rechten Rand her als „Ökodiktatur“ gebrandmarkt werden dürften. Und damit rückt das von Precht beschriebene Szenario einer wirklichen „Ökodiktatur“ dann schon mal ein weiteres Stück näher, denn vier Jahre mit Weiter-so-Trödelei können wir uns gerade einfach nicht mehr leisten.

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