Kommunikation während einer Pandemie: Wiederholt sich der „Maskenfehler“?
Wir beobachten das öffentliche Interesse zum Thema Antigen-Schnelltests seit einigen Monaten. Hierbei machen wir folgende Beobachtung:
- Erfreulich: Das Thema nimmt Fahrt auf und wird von unterschiedlichen Seiten beleuchtet.
- Problematisch: Der „Maskenfehler“ wiederholt sich. Es wird so lange auf den Schwächen der Schnelltests herumgeritten, dass das Vertrauen in ein weiteres Werkzeug zur Pandemieeindämmung verloren geht.
Wie die Masken zerredet wurden
Wir kennen das Dilemma aus dem Frühjahr: Erst hieß es, eine Maskenpflicht sei unnötig, weil nicht genügend Masken vorhanden waren. Die Masken würden keinen hundertprozentigen Schutz bieten, wurde angeführt. Man vermutete, die Bevölkerung würde mit den Masken die sonstigen Abstands- und Hygieneregeln über Bord werfen. Beispielsweise hielt der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, eine Maskenpflicht Ende März für „reine Symbolpolitik“. Die Maske vermittele eine trügerische Sicherheit, helfe aber so gut wie gar nicht, sagte er dem „Handelsblatt“ (Quelle). Mit Diskussionen dieser Art wurde die Maske den Bürger:innen über Wochen madig geredet oder zumindest als teilweise unnütz verkauft. Zurecht waren Skepsis und Verwunderung bei vielen vorhanden, als die Maskenpflicht einige Zeit später dennoch eingeführt wurde. Sicherlich war die Datenlage zu Beginn der Pandemie noch eine andere, aber in einer epidemischen Lage nationaler Tragweite muss man sich vielleicht einfach mal von der Perfektion verabschieden. In diesem Zustand sollte die Frage sein: Könnte das Werkzeug zur Eindämmung der Pandemie mehr schaden als nützen? Rückblickend konnten Masken die Infektionswachstumsrate um fast 50 Prozent senken (Quelle).
Einen Teil der Infizierten entdecken ist besser als keinen
Auf die Schnelltests bezogen ist eines der häufigsten Gegenargumente, dass diese nicht sensitiv genug seien, also tatsächlich Infizierte nicht als solche erkennen. Der Bevölkerung würde ein Gefühl falscher Sicherheit vermittelt. Sie könnten gar Auslöser für Superspreader-Events sein (Quelle). Es ist richtig, dass die Schnelltests nicht JEDE:N Infizierte:n erkennen. Die derzeitige Datenlage besagt jedoch, dass Antigen-Schnelltests genau jene Virusmengen zuverlässig detektieren, welche mit denen infektiöser Personen korrelieren – also genau den Personen, die das Virus weiterverbreiten können (Quelle). Sogar einfache Abstriche aus der vorderen Nase (angeleiteter Selbstabstrich bzw. durch medizinisches Fachpersonal), statt dem eher unangenehmen hinteren Rachenabstrich, ergaben bei Infizierten mit hohen Viruskonzentrationen eine Sensitivität von mindestens 85 Prozent (Quelle, Quelle).
Gehen wir mal davon aus, dass im ungünstigen Fall 25 Prozent der getesteten Infektiösen nicht als solche erkannt würden. Wir hätten dennoch 75 Prozent potentieller Virusverbreiter:innen entdeckt, von denen ohne Schnelltest viele vermutlich erst später per PCR (bei eindeutigen Symptomen) oder möglicherweise gar nicht (bei nur ganz milden oder keinerlei Symptomen) getestet worden wären. Das große Problem dieser Pandemie ist jedoch, dass viele Menschen ihre Infektion gar nicht oder kaum bemerken. Und jetzt mal ehrlich: Wer läuft schon beim kleinsten Halskratzen zum Arzt um sich testen zu lassen? Oder isoliert sich deswegen für eine Woche selbst? Genau diese Menschen geben das Virus weiter.
Schnelltests sind eine zusätzliche Scheibe Schweizer Käse
Ja, die Tests sind nicht perfekt, aber das sind die Masken auch nicht. Was hat man also getan, um die Masken dennoch zu propagieren? Man hat die Bevölkerung aufgeklärt! Man stelle sich jede Eindämmungsmaßnahme (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske, App, Lüften) wie eine löchrige Scheibe Schweizer Käse vor, mit der man sich vor dem Virus schützt. Jede Scheibe einzeln verhindert die Virusübertragung kaum. Nur in Kombination lässt sich ein wirksamer Effekt erzielen.
In der Kommunikation trifft für die Schnelltests daher im Prinzip genau das gleiche zu, wie für die Masken. Auf folgende Punkte muss ganz klar hingewiesen werden:
- Schnelltests sind nur EINE Käsescheibe bei der Pandemieeindämmung, welche die weiteren Eindämmungsmaßnahmen (AHA+AL) ergänzt und NICHT ersetzt!
- Schnelltests sind eine Momentaufnahme. Sie können eine latente oder kurz darauffolgende Infektion nicht ausschließen. Daher ist es wichtig, trotz negativen Tests die AHA+AL-Regeln weiter zu befolgen.
- Regelmäßig angewendet, können Schnelltests das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung senken.
- Je mehr Menschen sich regelmäßig testen, desto größer ist der Effekt, der mit den Tests erzielt werden kann (Stichwort Solidarität).
- Schnelltests können dabei helfen, die Infektionszahlen auf einem niedrigen Niveau zu halten und somit striktere Maßnahmen, wie z.B. Schließung von Kultur- und Wirtschaftsbereichen, verhindern.
Wenn man der Bevölkerung – anstatt ständig nur auf die Fallstricke hinzuweisen – ganz klar vermittelt: „Hier gibt es ein neues Mittel, das uns allen zu mehr Normalität verhelfen kann. Es ist nicht perfekt, es wird die Pandemie nicht von einem auf den anderen Tag beenden. Aber es ist ein wertvoller Baustein, der umso besser wirkt, je mehr Menschen mitmachen.“ Dann wären die Schnelltests nicht schon im Vorhinein als „unsicher“ und „Auslöser möglicher Superspreader“ gebrandmarkt. Dann wüsste die Bevölkerung, worauf sie sich einstellen muss, was der Akzeptanz sicherlich zuträglich wäre.
Skeptiker:innen sollten die Debatte nicht dominieren
Wie bei den Masken und der Impfung wird es Skeptiker:innen geben, die den Effekt anzweifeln. Die alles schlecht reden und sich nicht beteiligen werden. Aber sollten wir aus diesem Grund einen so wertvollen Baustein allen anderen vorenthalten? Jene Menschen, die das Prinzip der Schnelltests (wie auch der Masken) nicht verstehen wollen, werden durch die Schnelltests nicht mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu Virusverbreiter:innen (anders als bei den Maskenverweiger:innen). Alle anderen werden aber mit einer hohen Wahrscheinlichkeit die Ausbreitung des Virus eindämmen können.
Laut aktuellem ARD-DeutschlandTrend vom 03.12.2020 halten derzeit 71 Prozent der Befragten die Corona-Maßnahmen für angemessen (53 Prozent) bzw. nicht weit genug (18 Prozent) (Quelle). Es ist zu vermuten, dass ein Großteil dieser Bürger:innen eine zusätzliche Maßnahme begrüßen würde. Eventuell wäre es sogar möglich, einen Teil derjenigen 27 Prozent einzufangen, denen die Maßnahmen zu weit gehen, in dem man ihnen eine Normalisierung des Lebens in Aussicht stellt.
Speed trumps perfection
Der amerikanische Epidemiologe Dr. Michael Mina brachte es kürzlich in einem Interview im „Intelligencer” mit folgender Kriegsallegorie auf den Punkt (Quelle):
Zusammengefasst sagt Mina hier, dass wir in einer Notsituation nicht ausschließlich auf Wissenschaftler:innen hören sollten. Denn diese seien darauf trainiert, ihre Entscheidungen auf Grundlage von Evidenz zu fällen. Wenn wir aber erst auf die nötige Evidenz und wissenschaftliche Präzision warten, bevor wir handeln, dann „macht uns [das] wirklich unfähig, schnell und mit der Art von Dringlichkeit zu handeln, die wir brauchen.”
Weshalb versuchen wir es also nicht einfach? Schlimmer, als über den Winter in der derzeitigen Starre zu verharren, kann es kaum werden. Oder um es mit den Worten von Dr. Michael Ryan (WHO) zu sagen: „Perfection is the enemy of the good when it comes to emergency management. Speed trumps perfection. The greatest error is not to move. The greatest error is to be paralyzed by the fear of failure.” (Quelle)