Neulich las ich einen Begriff, den ich für die aktuell dominante Form der Identitätspolitik bei uns im Lande sehr treffend finde: Pinkwashing.
Was der Begriff Greenwashing, von dem das Wort Pinkwashing abgeleitet ist, bedeutet, wissen ja mittlerweile die meisten: Man (vor allem Unternehmen) gibt sich den Anschein, etwas für die Umwelt und für den Klimaschutz zu tun, macht dies aber vor allem für die PR, ohne dabei tatsächlich umwelt- und klimaschädliche Strukturen und Prozesse zu verändern. Dazu gibt es mittlerweile sogar schon einen eigenen Wikipedia-Eintrag.
Mit Pinkwashing wird nun ein Verhalten bezeichnet, dass ganz ähnlich funktioniert wie Greenwashing: Man gibt sich durch vordergründige Äußerungen liberal und progressiv, was Frauenrechte angeht, ist aber letztlich überhaupt nicht an der Abschaffung von patriarchalen Strukturen, die Frauen nach wie vor benachteiligen und gefährden, interessiert.
Dieses Phänomen habe ich ja schon ein-, zweimal in Artikel zum Thema Identitätspolitik erwähnt (s. hier und hier), ohne da schon den Begriff des Pinkwashing dafür zu haben. Und vor allem ist Pinkwashing auch ein sehr probates Mittel, um öffentliche Diskurse zu lenken bzw. diese zu bestimmten Themen zu unterbinden.
So dürfte Armut dürfte für viel mehr Menschen eine erhebliche Einschränkung darstellen als eine nicht gendergerechte Sprache – aber darüber muss dann ja nicht mehr geredet werden, wenn wir uns auf Identitätsgedöns fokussieren. Dass Armut dabei für Frauen auch eine häufigere Belastung ist als für Männer, kann man dann auch schön außen vor lassen – zumindest in den Diskursen, die von gut situierten Mittelstandsmatronen zu dem Thema geführt werden. Und Politikerinnen in entscheidenden Positionen – Margaret Thatcher, Angela Merkel, Ursula von der Leyen nur mal als Beispiele – haben in den letzten Jahrzehnten ja auch wenig bis gar nichts an den patriarchalen und ausbeuterischen Strukturen verändert. Oder sie vertreten sogar selbst ausgesprochen reaktionäre und damit alles andere als feministische Positionen, wie beispielsweise Giorgia Meloni, Marine Le Pen oder Alice Weidel.
Ein weiterer bestimmt nicht unerwünschter Nebeneffekt: Wenn Frauen als Politikerinnen Mist bauen oder keine Ahnung haben, dann kann Kritik daran einfach mit dem Schlagwort „Frauenfeindlichkeit“ vom Tisch gewischt werden. Konnte man gerade erleben, als Richard David Precht sich kritisch über die Amtsführung von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock äußerte und sogleich nicht auf seine inhaltlich, wie ich finde, sehr berechtigte Kritik eingegangen wurden, sondern das Ganze sofort zu einem Konflikt Mann gegen Frau umgedeutet wurde (s. hier):
Und auch Sawsan Chebli von der SPD haut in die gleiche Kerbe:
Mich erinnert das an ein Erlebnis, das ich hatte, als ich noch in St. Pauli gewohnt habe. Die Wohnung lag im Hochpaterre und hatte einen separaten Eingang, der direkt in unsere Küche führte. Durch die Milchglasscheibe sah ich jemanden vor der Tür, von dem ich annahm, dass er eigentlich zu jemand anderem im Haus wollte, aber eben den falschen Eingang erwischt hatte (das ist immer wieder mal passiert). Als ich die Tür aufmachte, um diesbezüglich weiterzuhelfen, stand dort ein junger Südländer und wollte gerade gegen unsere Tür pinkeln – woraufhin ich ihn fragte, ob er noch ganz dicht sei, und ihn aufforderte, sein Geschäft gefälligst woanders zu verrichten. Seine Antwort: „Du Nazi!“ Was völlig außer Acht ließ, dass es mir weniger um sein Aussehen und seine Herkunft ging als vielmehr um sein mieses Benehmen, anderen Leuten an die Tür zu pinkeln.
Aber klar: Wenn man von Inhalten oder Fehlern ablenken möchte, dann reagiert man eben so wie dieser Typ oder auch Chebli und Tekkal.
Auf der anderen Seite werden dann Frauen von Trans-Menschen teilweise auch tätlich angegriffen, wenn sie darauf aufmerksam machen, dass es nicht ganz fair ist, wenn jemand, der mit männlichen Chromosomen geboren wurde, dann auf einmal bei Sportwettbewerben für Frauen mitmacht, wie ich neulich mal in einem Artikel beschrieben habe. Das finde ich in jedem Fall deutlich fieser für die so benachteiligten Sportlerinnen, als wenn ein Mann es wagt, eine Frau inhaltlich zu kritisieren, weil sie seiner Ansicht nach einen schlechten Job macht.
Aber so sind die Leute halt beschäftigt und zoffen sich wegen Dingen, die ich eher als Kleinigkeiten denn als existenziell bezeichnen möchte. Und ändern tut sich dadurch dann ja auch nichts, denn Frauen bekommen immer noch weniger Geld als Männer und werden in schlechter bezahlte Berufe gedrängt, zudem hat auch die Gewalt gegen Frauen in Deutschland (vor allem innerhalb der Familie) in den letzten Jahren zugenommen (s. hier). Genauso wie eine zunehmende patriarchalisch verrohte Männlichkeitskultur in sozialen Medien zu beobachten ist, zum Beispiel durch Typen wie Andrew Tate, die (leider sehr erfolgreich) ein überwiegend junges Publikum ansprechen, um ein extrem reaktionäres, frauenfeindliches Weltbild zu vermitteln.
Genau solche Influencer, aber auch konservative und rechte Politiker haben zudem ein wunderbares Thema, an dem sie sich abarbeiten und um Zustimmung buhlen können. So hat sich beispielsweise der neue Berliner Bürgermeister Kai Wegner gerade gegen gegenderte Sprache in der Verwaltung ausgesprochen (s. hier). Klar, wenn man keine konstruktiven Inhalte zu bieten hat (was bei der CDU ja grundsätzlich der Fall ist), dann kann man auf diese Weise wenigstens ein bisschen spalten und die „Ja, genau!“-Bölker auf seine Seite ziehen. Frauen ist damit mit Sicherheit nicht geholfen, sondern eher das Gegenteil dürfte der Fall sein, dass nämlich feministische Themen eher genervte Reaktionen auslösen, sodass die wirklich relevanten Inhalte gar nicht mehr diskutiert werden. Vor lauter Gender-Sternchen können dann Sachen wie die überwiegend von Frauen für lau geleistete innerfamiliäre Care-Arbeit schön übergangen werden – wie praktisch!
Zudem ermöglicht die nach wie vor geringe Akzeptanz von gegenderter Sprache in der Bevölkerung es Rechten und Konservativen, das Märchen vom „linksgrünen Mainstream“ und seiner „Verbotskultur“ nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern auch noch auszubauen – und damit stoßen sie dann sogar bei denen auf offene Ohren, die im Grunde ansonsten nichts mit konservativen oder gar rechten Ansichten anfangen können. Dass Konservative und Rechte grundsätzlich viel mehr von Verboten halten, vor allem um die Rechte von (finanziell) Schwächeren einzuschränken – geschenkt! Wenn sich ein Narrativ erst mal verbreitet hat und stetig von den entsprechenden Medien wiedergekäut wird, dann verfestigt es sich irgendwann und wird so zur Realität – das nennt man dann Indoktrination (s. dazu hier). Und die Indoktrinierenden bekommen gerade von den Pinkwashern (und auch der Woke-Bewegung) eine Steilvorlage nach der anderen geliefert …
So leistet das Pinkwashing nicht nur frauenrechtlichen Anliegen einen gewaltigen Bärendienst, sondern trägt auch zur Spaltung der Gesellschaft und zur Zementierung des patriarchalischen Status quo bei. Und das ist alles andere als harmlos!
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