Der Bau der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 ist längst zu einem Politthriller geworden. Washington wollte das Projekt um jeden Preis verhindern und verhängte Sanktionen. Berlin und Moskau hielten daran fest. Nun stehen die Termine für den letzten Bauabschnitt fest.
Das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 ist vermutlich das umstrittenste Energieprojekt der letzten Jahre. Es führte zu immensen Streitigkeiten innerhalb der EU und NATO, erregte auf das Äußerste die Gemüter in Washington und provozierte präzedenzlose US-Sanktionsdrohungen gegen europäische Unternehmen.
Mit allen Mitteln versuchte Washington den Bau der Pipeline auf den letzten Metern zu stoppen und konnte die Arbeiten für rund ein Jahr unterbrechen. Doch das Projekt starb nicht. Im Gegenteil, es scheint, dass die so heftig umkämpfte Pipeline schon bald zu ihrer Vollendung geführt wird. Bereits am 05. Dezember wurden einige Bauarbeiten wieder aufgenommen, fanden zunächst aber nur auf wenigen Kilometern in den deutschen Flachgewässern statt. Der letzte Abschnitt befindet sich in den dänischen Gewässern und blieb bis zuletzt unter einem Fragezeichen.
Nun gibt es die Gewissheit: ab dem 15. Januar 2021 wird auch dieser letzte Abschnitt fertiggebaut. Dafür haben dänische Behörden nun grünes Licht gegeben.
Das Projekt beinah "gekillt"
Dass es weitergeht, ist dabei keine Selbstverständlichkeit. Washingtons Sanktionen haben das Projekt tatsächlich beinah "gekillt".
Jeder Firma, die sich an seiner Vollendung beteiligte, drohten Vermögenseinfrierungen, Einreisesperren für die Geschäftsführung, Kreditsperren etc. Daraufhin zogen sich mehrere Unternehmen schlagartig aus dem Projekt zurück. Insbesondere der Rückzug der schweizerischen Firma AllSeas unterbrach den Bau, da sie mit ihren Spezialschiffen die Rohrverlegung gewährleistete.
Selbst nachdem Russland seinen eigenen Rohrverleger "Akademik Tschersky" in die Ostsee brachte, war die Zukunft des Baus ungewiss. Außer AllSeas zogen sich nämlich auch einige Versicherungsunternehmen zurück, ohne deren Lizenz der Bau in dänischen Gewässern unmöglich war.
Nun wurde auch dieses Problem gelöst.
Kurzzusammenfassung der "juristischen Metamorphosen"
Um nicht unter die US-Sanktionen zu fallen, hatte sich der russische Konzern Gazprom außerdem einige recht skurrile juristische Tricks einfallen lassen. Die "Tschersky" wechselte innerhalb kürzester Zeit zwei Mal ihren Besitzer. Extra hierfür wurden "No-Name"-Unternehmen gegründet, die formell jetzt das Schiff besitzen. So gehört die "Tschersky" jetzt plötzlich einem Kleinstunternehmen namens "KVT-Rus" aus der russischen Provinz. Aus russischen Medien heißt es, dass das Unternehmen nur einen Angestellten hat, der zugleich auch der Gründer ist – im Prinzip eine Briefkastenfirma also.
Das Ganze ist recht skurril, dürfte jedoch die möglichen US-Sanktionen stark aushöhlen. Selbst wenn Washington seine angedrohten Strafmaßnahmen durchziehen würde, müsste er das "KVT-Rus" sanktionieren…ein Schlag ins Leere.
Wie es nun konkret weitergeht
Laut den dänischen Behörden werden also ab dem 15. Januar 2021 in der exklusiven Wirtschaftszone Dänemarks die Rohre der beiden parallelen Nord Stream 2-Stränge verlegt. Dabei wird in dem Baugebiet nicht nur die "Akademik Tschersky" operieren, sondern gleich eine Vielzahl von russischen Schiffen, darunter der Verleger "Fortuna" sowie die Versorgungsschiffe "Murman", "Baltic Researcher" und zahlreiche weitere.
Im Prinzip wird sich vor Ort eine kleine Bauflotte "tummeln", um die umstrittene Pipeline fertigzustellen. Ob zusätzlich auch Militärschiffe vor Ort stehen werden, um mögliche Provokationen abzuschrecken, ist nicht bekannt. Zuvor wurde vor allem die "Tschersky" sicherheitshalber von Schiffen der russischen Kriegsmarine begleitet.
In der Mitteilung der dänischen Behörden wird jedenfalls explizit darauf verwiesen, dass rund um den Bauabschnitt eine Sperrzone von mehreren hundert Metern geschaffen wird.
"In diesen Gebieten ist unbefugtes Schwimmen, Tauchen, Ankern, Angeln und Arbeiten am Meeresboden verboten. Die Schutzzone erstreckt sich auf 200 Metern auf jeder Seite der Stränge", heißt es in der Mitteilung.
Der noch fehlende Abschnitt ist dabei ungefähr 147 km lang und liegt südlich der dänischen Insel Bornholm. Nach seiner Fertigstellung wird er mit dem Pipelineabschnitt in deutschen Gewässern verbunden und würde die Fertigstellung des Mamutprojektes markieren. Wie lange das dauern soll, wird offiziell nicht benannt. Es ist jedoch bekannt, dass die „Fortuna“ die Rohre mit einer Geschwindigkeit von 1,5 km pro Tag verlegen kann. Dies würde bedeuten, dass, wenn alles glatt läuft, der dänische Abschnitt in etwa drei Monaten fertiggestellt werden kann.
Etwa im März wäre Nord Stream 2 mit seinen zwei Pipelinesträngen von jeweils über 1,2 Tausend Kilometern Länge somit fertig und würde in der Zukunft 55 Milliarden Kubikmetern Gas direkt von Russland nach Deutschland liefern. Transitstaaten und damit auch millionenschwere Transitgebühren würden entfallen.
Was noch passieren kann
Wenn sich die Lage rund um die Pipeline nicht radikal ändert, dürfte das Projekt also doch zu seiner Fertigstellung gelangen, wenn auch um über ein Jahr verspätet. Dennoch bleibt DIE größte Unbekannte weiter bestehen – die unberechenbare Reaktion der USA. Zuvor unternahm Washington beinah alles, um das Projekt zu stoppen. Der Gedanke dahinter ist offensichtlich und wird von Washington erst gar nicht verborgen: man will das eigene LNG-Flüssiggas nach Europa verschiffen. Dieses wäre unter "normalen" Marktbedingungen nicht wettbewerbsfähig, da es viel teuerer ist. Also griff Washington zu Sanktionen und lässt auch jetzt davon nicht ab.
Erst Ende November zitierte die dpa einen „ranghohen amerikanischen Regierungsvertreter“ mit den Worten: "Diese Pipeline findet nicht statt".
Und weiter: "So sieht eine sterbende Pipeline aus." Es heißt, US-Vertreter würden die am Bau beteiligten Firmen anrufen, "um sie zu warnen und ihnen Zeit zum Aussteigen zu geben".
Am 23. Dezember wurde gar erklärt, es werde "in sehr naher Zukunft" neue Sanktionen gegen die Pipeline geben. Man werde einen "Pflock durch das Herz des Projekts" treiben.
Dass die USA also auch auf diesem letzten Abschnitt gegen das Projekt vorgehen werden, ist klar. Es kann nur gerätselt werden, was Washington dafür noch unternehmen wird.
Eine weitere Unbekannte ist außerdem die Amtseinführung von Joe Biden am 20. Januar, also nur 5 Tage nach dem geplanten Baubeginn des letzten Abschnittes. Ob er genau so hartnäckig gegen das Projekt vorgeht, wie Donald Trump, oder doch eine andere Strategie verfolgen wird, ist derzeit schwer abzusehen. Viel Zeit bleibt jedenfalls nicht.
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