Ein schönes Beispiel dafür, wie Popkultur funktioniert ist folgendes: Der berühmte New Yorker Juwelier Tiffany & Co. hat 2017 im vierten Stock ein Café eröffnet. Warum erst 2017, fragt sich da. Wenn es denen bloß ums Geld gegangen wäre, dann hätten sie das doch schon vor Jahrzehnten machen können. Ich denke, die hatten einfach keinen Bock mehr, jeden Tag Legionen von Internetopfern zu erklären, dass man bei Tiffany nicht frühstücken kann und dann doofe Tripadvisor-Kommentare zu kassieren wie: "Sind extra nach New York, um bei Tiffany zu frühstücken. Das ist gar kein Café, sondern irgend so ein Schmuckgeschäft. Drecksladen, minus 5 Sterne!!!1!11!!!".

Vor kurzem ist Fred Fussbroich mit 82 Jahren gestorben. Ich habe mit der Serie 'Die Fussbroichs' immer ziemlich gefremdelt. Mir wollte nie recht in den Kopf, was daran so spannend sein sollte, einer in jeder Hinsicht durchschnittlichen Familie beim alltäglichen Alltagsleben zuzuschauen und sich für sie fremdzuschämen. Obwohl das definitiv nie Zweck der Übung war, war mir da bei zu vielen zu viel voyeuristisches Proll-gucken und sich auf deren Kosten besser fühlen im Spiel. In dem postumen Feuilletonlob auf Freds Unverbildetheit und seinen 'natürlichen' Anstand schwingt mir zu viel von diesem bourgeoisen "Ach ja, die kleinen Leute, die wissen noch..." mit.

Da war eine Familie, die dank Doppelverdienst, günstiger Genossenschaftswohnung und später auch Fernseheinnahmen über mehr Geld verfügte als manche Akademikerfamilie, nicht aber über entsprechende Codes wie Geschmack, Lebensart und höhere Bildung. Und der das absolut scheißegal war. So orderte Fred beim Essen im Spanienurlaub ganz schmerzfrei Ähzezupp, anstatt mit lokalen Spezialitäten Weltläufigkeit zu demonstrieren. Na wenn’s doch auf der Karte steht! Das konnte man cool finden oder irre lustig - Hihi, guck mal den da! - oder peinlich berührt sein. Oder das für große Kunst halten.

Auch dass für einen sozialen Aufsteiger wie Fred sichtbare Statussymbole wie ein Mercedes ('de Benz') eine ungleich größere Rolle spielten als für Arrivierte, die Konsumverzicht gern auch zur Distinktion einsetzen, wird für den einen oder anderen Lacher gesorgt haben. Oder wie Ehefrau Annemie, obwohl als Angestellte im öffentlichen Dienst vom beruflichen Status her über ihm, noch ganz im tradionellen Rollenverständnis von ihm belehrt und dominiert wurde.

'Die Fussbroichs' mag tatsächlich eine Pionierleistung des Reality-TV in Deutschland gewesen sein. Doch ist es anzunehmen, dass dass, was kurz darauf televisionär über uns kam auch ohne den gefilmten Alltag einer Kölner Arbeiterfamilie über uns gekommen wäre. Wie ich auch immer skeptisch bin, wenn es heißt, inszenierte 'Realität' liefere mehr an Erkenntnisgewinn als jede Fiktion. Die griechischen Tragödien waren maximal entfernt von jeder 'Realität': Maskierte Schauspieler deklamierten da im hohen Tone Verse mit Versmaß. Und sind auch nach 2.500 Jahren noch relevant.

Vielleicht lässt der Erfolg der 'Fussbroichs' sich auch damit erklären, dass diese Familie emblematisch stand für die zentrale Verheißung der alten BRD West: Dass man alle Vorzüge des Kapitalismus haben konnte, ohne dessen Schattenseiten in Kauf nehmen zu müssen. Dass jemand, der ein, zwei Generationen zuvor noch Proletarier gewesen wäre, als gewerkschaftlich organisierter und tariflich abgesicherter Facharbeiter in die Mittelschicht aufsteigen konnte. Sohn Frank wollte noch höher hinaus, konnte den Anspruch nicht einlösen und glitt ab in die Kleinkriminalität. Auch das kann man, wenn man mag, allegorisch ausdeuten.

Laut meines Textverarbeitungsprogramms waren das jetzt 323 Wörter über eine Fernsehserie, die mich doch eigentlich kaum interessiert hat. Auch so geht Popkultur. Maach et joot, Fred!

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