Zugegebenermaßen ist die Überschrift etwas irreführend, Quanten schmecken natürlich nicht süß, aber die Effekte, die sie hervorrufen, können süß schmecken.

Das legt ein kürzlich veröffentlichtes Nature-Paper nahe (https://doi.org/10.1038/s42003-021-01964-y). Die Gruppe um Natalie Ben Abu und Philip E. Mason hat belegen können, dass schweres Wasser süß schmeckt.

Aber um das zu erklären muss ich etwas ausholen:

Atome bestehen aus Protonen, Neutronen und Elektronen. Protonen und Neutronen bilden den Atomkern, die Elektronen bewegen sich in definierten Bereichen (Orbitalen) um den Kern. Welches Element wir vor uns haben erkennen wir an der Zahl der Protonen und Elektronen. Jedem Element ist eine bestimmte Anzahl zugeordnet. Die Anzahl der Protonen ist die Ordnungszahl, also die Stelle, an der man das Element im Periodensystem findet. Die Neutronen haben darauf keinen Einfluss, man könnte sagen sie füllen den Atomkern auf. Protonen und Neutronen ergeben die Atommasse. Um das anschaulich zu erklären nehmen wir Sauerstoff und Wasserstoff als Beispiele.

Wasserstoff enthält 1 Proton und 1 Elektron, kein Neutron. Sein Atomgewicht beträgt 1 u. u ist die Einheit der Atommasse, sowohl Protonen als auch Neutronen wiegen jeweils 1 u, Elektronen sind viel kleiner und wiegen 0.0001 u, bei der groben Massenbestimmung kann man sie also ignorieren.

Sauerstoff enthält 8 Protonen und 8 Elektronen, zusätzlich aber auch 8 Neutronen. Seine Ordnungszahl ist also die 8, sein Atomgewicht 16 u.

Allerdings gibt es auch Fälle, in denen der Atomkern zwar aus 8 Protonen, aber auch aus 10 Neutronen besteht. Die Ordnungszahl ist weiterhin 8, aber das Atomgewicht beträgt jetzt 18 u. Das Atom ist weiterhin Sauerstoff (weil die chemischen Eigenschaften durch die Zahl der Protonen bestimmt wird), allerdings nennt man diese Atome Isotope. Isotope haben eine andere Masse als das Ursprungselement, aber dieselben Eigenschaften.

Diesen Fall gibt es auch bei Wasserstoff. 1 Proton UND 1 Neutron. Dieses Isotop nennt man Deuterium. Schweres Wasser besteht aus „normalem“ Sauerstoff und 2 Deuterium-Atomen, die Formel lautet D2O.

Aber wir wissen ja, dass die Isotope sich nicht wirklich von den Ursprungselementen unterscheiden, wie kann schweres Wasser also süß schmecken?

Jetzt wird es etwas komplizierter. Der Isotopeneffekt ist bei Wasserstoff extrem groß, da das Isotop doppelt so viel wiegt wie der „normale“ Wasserstoff. In der Quantenmechanik hat das nicht unerhebliche Auswirkungen. Teilchen, die sich bewegen haben immer auch einen Wellencharakter, soll heißen sie „schwingen“. Eine Kuh (400 kg), die sich mit 1 m/s beweg hat beispielsweise eine de Broglie-Wellenlänge von 0.00000000000000016575 nm oder 0.00000000000000000000000016575 m. Für große Objekte ist der Effekt also vernachlässigbar, aber je kleiner das Objekt, umso wichtiger der Effekt. Und wenn sich dann die Masse verdoppelt, ist der Unterschied natürlich enorm. Dadurch wird der Wellencharakter der Substanz deutlich geringer, sie schwingt weniger. Je weniger etwas schwingt, umso stabiler ist es aber. Das hängt mit der Nullpunktsenergie zusammen, den Begriff habe ich aber nur für diejenigen erwähnt, die gerne etwas dazu lesen wollen, den ausreichend zu erklären sprengt den Rahmen dieses Textes. Nur so viel sei gesagt: Jedes System hat auch am absoluten Nullpunkt noch Energie. Je höher der Wellencharakter, umso höher die Energie, umso instabiler das System.

Zurück zu H2O und D2O. Wir haben gelernt: D2O ist schwerer als H2O und dadurch stabiler. Das führt dazu, dass die Bindungen stärker sind. Aber was hat das mit dem Geschmack zu tun? Auf den ersten Blick tatsächlich nichts. Allerdings haben die Autoren eine Erklärung für das Phänomen. Die stärkeren Bindungen führen dazu, dass der TAS1R2/TAS1R3-Rezeptor, der beim Menschen für „süß“ zuständig ist, auslöst, wenn er mit D2O in Kontakt kommt. Durch die stärkeren Bindungen der D2O Moleküle untereinander und zum Rezeptor selbst, „schrumpft“ der Rezeptor, wird also quasi zusammengezogen und steifer, als wenn er mit H2O in Kontakt kommt und gibt ein Signal ab. Dass dieser Rezeptor dafür verantwortlich ist, konnten sie nachweisen, indem sie auch Testreihen machten, in denen der Rezeptor blockiert wurde. Dann schmeckte schweres Wasser nicht mehr süß.

Man hat diese Versuche auch bei Mäusen durchgeführt. Man konnte feststellen, dass es für Mäuse zumindest nicht süß schmeckt, sie bevorzugten es nicht gegenüber Wasser.

Hat das alles eine relevante Auswirkung auf unser Leben? Vermutlich nicht, aber allein die Tatsache, dass Menschen den quantenmechanischen Unterschied zwischen H2O und D2O schmecken können, ist faszinierend. Die Autoren deuten allerdings an, dass es für die Medizin eine interessante Erkenntnis sein könnte.

Was wir daraus lernen: Wir sind noch lange nicht an einem Punkt, an dem wir behaupten könnten zu verstehen, wie das Universum funktioniert.

In diesem Sinne:

#StayCurious

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