Die Umfrageprognosen für die Grünen schnellen nach oben. Die tatsächlichen Wahlergebnisse auch. Da bleibt in erster Linie nur Anerkennung zu diesen fulminanten Umfrage- und Wahlergebnissen.

In zweiter Linie kommen -zumindest bei mir- Fragen auf, was genau zu diesen Ergebnissen führt.

Schaut man sich die Wählerstruktur an, wird klar, dass sich seit der Gründung der Grünen in den 80er Jahren einiges getan hat. Der Anteil der unter 35jährigen ist, einschlägigen Quellen folgend, von vormals 80 Prozent auf nun unter 10 Prozent gesunken. Da liegt der Schluss nahe, dass diese frühen und ersten Wähler der Grünen ihrer Partei überwiegend bis heute treu geblieben sind. Sie sind mit ihr gealtert und haben sich mit ihr weiterentwickelt und Karriere gemacht. Mit einem überdurchschnittlich hohen Einkommen sind die grün Wählenden überwiegend im Dienstleistungs- und Bildungsbereich beschäftigt.

Was genau hält diese nun eher wohlhabendere, dienstleistende Mitte ab 35 Jahren über Jahrzehnte bei der grünen Stange oder lässt sie heute neu diese grüne Wahlentscheidung treffen?

Ist es die überzeugende grüne Klimapolitik? Oder eher das eigene (Klima)Gewissen? Ist es das Wissen um die Programmatik der Partei? Oder doch eher die blanke Unwissenheit über die heutigen tatsächlichen Ziele der Grünen?

Der 137 Seiten umfassende Entwurf zum Wahlprogramm für die Bundestagswahl in diesem Jahr ist online und kann eingesehen werden.

Was genau würden also nach aktuellen Umfragen etwa 23Prozent der Menschen in Deutschland wählen?

Sie würden klimagerechten Wohlstand, der Ökologie und Soziales zusammendenkt, wählen. Sie würden weniger Autos in der Stadt wählen, was besonders jenen dienen soll, die sich nicht die Villa am Stadtrand leisten können. Sie würden ein Energiegeld wählen, das über die Umverteilung des CO2-Preises finanziert wird und „Unterm Strich ... vor allem Menschen mit hohen Einkommen belastet“.

Sie würden eine Partei wählen, die Deutschland zum Fahrradland machen will, mit einer Verkehrspolitik, die an den Zielen und Empfehlungen des Nationalen Radverkehrsplans ausgerichtet ist, mit einer Reform des Straßenverkehrsrechts, „damit Radfahrer*innen besser geschützt sind und mehr Platz im Straßenraum bekommen“.

Sie würden mit ihrer Stimme insbesondere Genossenschaften und Sozialunternehmen unterstützen und eine Partei wählen, die nicht genutzte Guthaben auf verwaisten Konten ohne Erbansprüche in einen Fonds geben will, „der zielgerichtet in nachhaltige und soziale Innovationen investiert“.

Sie würden eine Partei wählen, die Verantwortungseigentum will, über eine Rechtsform, „die eine hundertprozentige Vermögensbindung an das Unternehmen ermöglicht und ansonsten die Flexibilität der GmbH beibehält, deren Gewinne reinvestiert oder gespendet werden sollen. Abgestimmt soll in einer solchen „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ von den Beschäftigten im Kollektiv oder treuhänderisch von Einzelnen. Unternehmen also, die entweder keine Gewinne machen, mögliche Gewinne ausschließlich reinvestieren oder alternativ spenden dürfen.

Sie würden ihre Stimme auch einem staatlichen Recht auf Homeoffice und einer staatlich gesicherten Wahlarbeitszeit zwischen 30 und 40 Stunden bei flexiblem Arbeitszeitkorridor geben. Vollbeschäftigung soll dann mit u. A. „dauerhaft höheren öffentlichen Investitionen“ und einem dauerhaften sozialen Arbeitsmarkt für Menschen ohne Perspektiven erreicht werden. Die Grundsicherung wird zu einer individualisierten Garantiesicherung ohne bürokratische Sanktionen.

Sie würden eine Partei wählen, die „die Schuldenbremse im Grundgesetz zeitgemäß gestalten“ will, um Investitionen -„die neues öffentliches Vermögen schaffen ... das uns allen gehört“ - zu ermöglichen. Etwas einfacher ausgedrückt heißt das wohl: Mit neuen Schulden soll neues Volkseigentum geschaffen werden.

Sie würden eine Partei wählen, die Kliniken „in Zukunft nicht mehr nur nach Fallzahl, sondern auch nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag“ finanzieren möchte. Ein von den Grünen definierter gesellschaftlicher Auftrag wird damit Grundlage der künftigen Krankenhausfinanzierung.

Sie würden zudem eine Partei wählen, die die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in einen gemeinnützigen Bodenfonds umwandeln will, der neue Flächen strategisch zukauft, um sie an gemeinwohlorientierte Träger zu übertragen. Eine Partei, die Mietobergrenzen im Bestand mit einem Bundesgesetz ermöglichen und die Mietpreisbremse entfristen und nachschärfen will. Eine Partei, die bei großer Wohnungsnot eine Pflicht für Eigentümer sieht, Grundstücke zu bebauen. „Auch gegen Fehlnutzungen und spekulativen Leerstand von Wohnraum“ werden die Grünen vorgehen.

Sie würden eine Partei wählen, die mit einem Demokratiefördergesetz Initiativen, Verbände, Vereine oder NGOs „nachhaltig, projektunabhängig und unbürokratisch finanziell absichern“ will. Deren „gemeinnützige Ziele“ sollen diese dann „auch durch politische Aktivitäten wie Studien und Demonstrationen verwirklichen dürfen“.

Die gut verdienende Mittelschicht würde zudem eine Partei wählen, die höhere Einkommen auch höher, Kapitalerträge wieder progressiv und Vermögen neu und mit jährlich einem Prozent besteuern will.

Natürlich haben die Grünen auch den verstärkten Ausbau der Wind- und Solarenergie oder den Schutz von z. B. Wäldern und Flüssen und Müllvermeidung im Programm. Das allerdings ist bei einer Partei, die Umweltschutz und Klima als Ihr Kernthema verkauft, auch zu erwarten. Nur wird dies moralisierend im Sinne eines gesellschaftlichen Auftrages genutzt. Mit dem Klimageld wird deren Ideologie im Handeln komplettiert und Klima wirkt geradezu als Doktrin.

Ein großer Teil der wohlhabenden, dienstleistenden Mitte ab 35 Jahren würden also in erster Linie Umverteilung, Angleichung und Gleichheit, Vergemeinschaftung undstaatliche Planung und Lenkung, ja Bevormundung wählen.

Der Vorsitzende Herr Habeck sagte zur Vorlage des Programmentwurfs: „Wir legen das Programm in einer Zeit vor, in der eine politische Ära zu Ende geht und eine neue beginnen kann“.

Dies ist insofern interessant, als das eine politische Ära gleichzeitig auch die gesellschaftliche Richtung prägt. Wir leben (noch) in einer freiheitlich geprägten Gesellschaft in der soziale Marktwirtschaft unseren Wohlstand sichert. Diese Ära war überwiegend geprägt von konservativ-liberalen und sozial-liberalen Regierungsbündnissen. Wirtschaftswunder, Wirtschaftswachstum oder unsere modernen sozialenSicherungssysteme sind ihre Errungenschaften. Ab 1998 änderte sich das mit dem bis 2005 währenden rot-grünen Bündnis unter Gerhard Schröder und der dann bis heute geführten schwarz-roten großen Koalition (mit Unterbrechung durch schwarz-gelb von 2009-2013) unter Angela Merkel. Eine beginnende Transformation unserer Gesellschaft, politisch forciert. Weg von der bürgerlichen Mitte weit nach links und dies selbst gewählt. Wirkliche liberale, freiheitliche Ideen und Werte versinken in der Opposition, von 2013 bis 2017 sogar in die außerparlamentarische.

Welche freiheitliche Kraft kann eine Gesellschaft unter fehlender liberaler parlamentarischer Stimme dann noch entfalten?

Die Grünen wähnen sich selbst als neue liberale Kraft unserer Zeit. Welche politische Ära Herr Habeck auch immer meint, die Ideen und Vorschläge im Programm seiner Partei erinnern mich schmerzlich an so manchen verzweifelten und letztendlich gescheiterten Versuch des sozialistischen Systems der DDR. Weit links. Liberal ist daran nichts.

Die Gleichheit der Menschen war auch ein Anspruch in dem System des real existierenden Sozialismus der DDR, das gescheitert ist. In diesem System wurde im Kollektivgenossenschaftlich entschieden. Es gab kaum Privateigentum, dafür umso mehr Staatseigentum. Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten, Löhne und Gehälter wurden staatlich vorgegeben. Es wurde versucht, die auch in der DDR existierenden sozialen Unterschiede über die staatlich gelenkte Vergabe von Wohnungen oder über die Angleichung der Löhne und Gehälter zu nivellieren. Mit marxistisch-leninistischer Ideologie wurde ein System der „Herrschaft von oben“ aufrecht erhalten. Und ist letztendlich doch gescheitert.Auch wenn die Grünen diese Herrschaft von oben hinter dem Schutz und der Fürsorge für den notleidenden und unmündigen Bürger verstecken, so ist dies doch eine von ihnen angesteuerte Bevormundung der Menschen über Gesetze, Verbote und Vorschriften. Die Freiheit des Einzelnen endet bei den Grünen nicht bei der Freiheit des anderen, sondern beim Deckel ihrer moralisierenden Ideologie der Klimadoktrin.

Jeder Mensch, der zur Wahlurne geht, muss für sich klären: Will ich das, was ich wähle? Ein Blick in das jeweilige Wahlprogramm ist dafür nicht nur nützlich, sondern sehr dringend geboten.

Vielleicht kommt der ein oder andere dann zu dem Schluss, dass (Privat)Eigentum auch ein Grundrecht ist. Und genauso wie Eigentum verpflichtet, ermöglicht Eigentum auch.

Vielleicht sieht der ein oder andere dann auch, dass individuelle Möglichkeiten und Anreize im Leben mehr bewirken können, als kollektiver Zwang und Vergemeinschaftung.

Möglicherweise kann der ein oder andere auch denUnterschied zwischen den Menschen nicht nur als gegeben annehmen, sondern auch als förderlich für einen Wettbewerb, der Fortschritt und Weiterentwicklung in Wissenschaft, Technologie und Wirtschaft vorantreibt, unterstützen.

Menschen sind unterschiedlich. Sie unterscheiden sich äußerlich in Hautfarbe, Größe, Statur, Haarfarbe, Augenfarbe und vielem mehr. Die Menschen unterscheiden sich aber auch und insbesondere in ihren Wünschen, Vorlieben, Können undWollen, in ihren Einstellungen und ihrem Fleiß. Diese Unterschiede beflügeln unsere Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der individuelle Freiheit Chancen entstehen lässt. Wie sagte einst Werner Mitsch (1936-2009): „Wenn alle Menschen gleich wären, würde im Prinzip einer genügen.“.

Hoffentlich wählt der ein oder andere dann auch das Original hinsichtlich wirklich liberaler, freiheitlicher Werte. Das Original, welches den Bürger als gebildeten, aufgeklärten Menschen sieht, der verantwortungsvoll mit den ihm gegebenen Freiheiten umzugehen weiß. Dies sowohl im privaten, als auch wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Umfeld.

Dann werden wir auch weiter in einer liberalen, freiheitlichen Gesellschaft mit entsprechenden Leitplanken, die weit entfernt sind, von zwanghafter Moral und einer Ideologie, die nur mit Vorschriften und Verboten durchgesetzt werden kann, leben.