Mein neues Buch hat den Titel ‚So-called alternative medicine (SCAM) for cancer' (Sogenannte Alternativmedizin bei Krebs). Da es in Englisch ist, habe ich speziell für Publikum-Leser das Vorwort übersetzt. Hier ist es:

Im Februar 2013 waren meine Frau und ich in guter Stimmung. Ich war gerade von meinem Posten an der Universität Exeter in den Ruhestand getreten, und wir waren auf dem Weg, Danielles runden Geburtstag mit ihrer Familie in der Bretagne zu feiern. Nur eine Sache beunruhigte uns: Danielle hatte wiederkehrende Unterleibsschmerzen. Sie war deswegen schon mehrmals bei unserem Hausarzt in England gewesen. Beim letzten Mal hatte sie ein Rezept für ein Antibiotikum erhalten. Ich wusste, dass sie nicht helfen würden; ihre Symptome waren sicher nicht auf eine Infektion zurückzuführen.

Nach unserer Ankunft in Frankreich verschlimmerten sich die Symptome, und Danielle konsultierte einen Gynäkologen in der Ambulanz des örtlichen Krankenhauses. Es wurden weitere Untersuchungen angeordnet; eine Ultraschalluntersuchung ergab eine Anomalie; ein anschließendes MRI ergab einen Tumor an der Gebärmutter. Der Gynäkologe riet zu einer möglichst baldigen Operation, und Danielle stimmte zu.

Die Operation verlief gut, aber der Gynäkologe, Dr. Matthieu Jacquot, war dennoch besorgt und sagte, er musste radikaler vorgehen, als er erwartet hatte. Die Diagnose war noch ungewiss, bis die Ergebnisse aus dem histologischen Labor vorlagen. Als wir Dr. Jacquot ein paar Tage später erneut aufsuchten, wurden unsere Hoffnungen, dass alles in Ordnung sei, gründlich enttäuscht. Er erklärte uns, dass Danielle an Gebärmutterkrebs erkrankt war, und legte uns den Behandlungsplan vor, den ein Team von Onkologen nach eingehender Prüfung ihres Falles ausgearbeitet hatte: eine zweite, sehr viel umfangreichere Operation, dann sechs Chemotherapien, dann monatelang tägliche Strahlentherapie, und schließlich zwei mal Brachytherapie.

Dr. Jacquot hätte nicht einfühlsamer sein können. Er erläuterte ausführlich, welche Folgen dies alles haben würde. Danielles Leben würde für das nächste Jahr von diesen gelinde gesagt unangenehmen Behandlungen dominiert werden. Wir waren beide schockiert und den Tränen nahe.

Bevor wir eine Entscheidung trafen, sprachen wir mit Freunden und Experten auf diesem Gebiet. Die Meinungen gingen geringfügig auseinander. Zwei Tage später stand unser Entschluss fest: Wir würden ein ganzes Jahr lang in der Bretagne bleiben und Danielle genau so behandeln lassen, wie Dr. Jacquot es vorgeschlagen hatte.

Die zweite Operation war weit schwieriger als die erste, aber Danielle erholte sich gut. Zehn Tage später war sie wieder zu Hause und wurde von einer Krankenschwester ambulant betreut. Sie kam täglich, um die Verbände zu wechseln und Spritzen zu geben. Bei ihrem dritten Besuch kam sie auf die Chemotherapie zu sprechen, die bald beginnen sollte, und erklärte, wie unangenehm diese Behandlung sein würde und welche schrecklichen Nebenwirkungen Danielle drohten. Dann meinte sie: "Aber Sie müssen das alles nicht durchmachen. Die pumpen Sie doch nur voll mit Gift. Es gibt einen viel besseren Weg. Befolgen Sie einfach die Anti-Krebs-Diät von Dr. Schwartz[1]; die ist natürlich und hat keine Nebenwirkungen. Die würde Ihren Krebs sicher heilen.' Als Danielle mir von diesem Gespräch erzählte, teilte ich der Krankenschwester mit, dass ich mich von nun an selbst um die postoperative Betreuung meiner Frau kümmern würde und ihre Dienste nicht mehr benötigt seien.

Heute ist Danielle krebsfrei. Hätte sie auf die Krankenschwester gehört, wäre sie mit Sicherheit nicht mehr unter uns. Aber die Verlockung einer "natürlichen" Krebsheilung ohne Nebenwirkungen ist fast unwiderstehlich. Angesichts einer Diagnose wie Krebs würden die meisten Patienten jede Therapie in Betracht ziehen, die Hilfe ohne Risiken verspricht. Dabei stoßen sie unweigerlich auf eine Vielzahl sogenannter alternativer Krebsbehandlungen, und viele Patienten probieren diese dann auch aus.

Neben der Krebsdiät von Dr. Schwartz gibt es Hunderte solcher Optionen, die sich speziell an gefährdete Krebspatienten wie Danielle richten. Wie sollten Patienten nicht verwirrt sein? Wer könnte ihnen einen verantwortungsvollen Rat geben? Herkömmliche Ärzte tun das nur selten. Eine kürzlich veröffentlichte Übersichtsarbeit kam zu dem Schluss, dass Ärzte komplementäre Therapien nur dann erörtern, wenn der Patient selbst dieses anspricht[2]. Aber Krebspatienten ist es oft zu peinlich, nach alternativen Behandlungsweisen zu fragen. Diejenigen, die mutig genug sind, bekommen selten evidenzbasierte Information. Viele konventionelle Mediziner stehen der Alternativmedizin nicht nur kritisch gegenüber, sondern wissen auch herzlich wenig über dieses Thema[3].

Die Patienten verdienen evidenzbasierte Informationen, stattdessen erhalten sie von ihren Hausärzten oft wenig hilfreiche pauschale Aussagen wie:

  • "Es gibt keine Evidenz."
  • "Das ist alles Quatsch, am besten lassen Sie die Finger davon."
  • "Wenn Sie es ausprobieren wollen, nur zu, es kann ja nicht schaden."

All diese Aussagen sind falsch. Frustriert von solchen Plattitüden suchen die Patienten dann vielleicht im Internet nach Hilfe, wo sie mit unkritischer Werbung bombardiert werden. Wir haben die Informationen über Alternativmedizin bei Krebs, die von populären Internet Seiten zur Verfügung gestellt werden, einmal untersucht und festgestellt, dass sie von sehr unterschiedlicher Qualität ist. Viele befürworten unbewiesene Therapien, und einige sind richtig gefährlich.[4] Leider sind die Ratschläge, die die Patienten in Zeitungen[5] oder bei einschlägigen Anbietern[6] finden können, meist irreführend und potenziell schädlich.

Manche Patienten gehen dann in eine Bibliothek und lesen eines der vielen Bücher zu diesem Thema. Wenn überhaupt, sind die sogar noch schlimmer. Wir haben wiederholt den Inhalt von solchen Ratgebern analysiert und sind stets zu dem Schluss gekommen, dass die Befolgung ihrer Empfehlungen das Leben des Lesers verkürzen würde[7].

Krebspatienten würden den Krebs natürlich gerne "überlisten"; sie sind verzweifelt und vulnerabel. In diesem Zustand fallen sie leicht jedem zum Opfer, der ihnen falsche Hoffnungen zu überhöhten Preisen verkauft. Die Folgen können tragisch sein.

Im Jahr 2016 z.B. sammelte die englische Schauspielerin Leah Bracknell 50 000 Pfund, um ihren Lungenkrebs in der deutschen "Hallwang Klinik" behandeln zu lassen. Zu den dort angewandten Methoden gehörten Homöopathie, Mikronährstoffe, natürliche Nahrungsergänzungsmittel, Ganzkörper-Hyperthermie und Ozontherapie; keine davon heilt Krebs! Wenn Patienten auf Scheinbehandlungen hereinfallen, verlieren sie nicht nur ihr Geld, sondern auch ihr Leben. Leah Bracknell ist 2019 an ihrem Krebsleiden gestorben.[8]

Drei grundlegende Tatsachen sind unbestreitbar:

  • Ein hoher Prozentsatz der Krebspatienten nimmt Alternativmedizin in Anspruch,
  • Fehlinformationen sind weit verbreitet,
  • Fehlinformationen gefährden das Leben von Krebspatienten.

Daraus folgt, dass ein offensichtlicher und dringender Bedarf an einem evidenzbasierten Text besteht, der die potenziell schädlichen Verfahren beim Namen nennt und diejenigen Optionen diskutiert, die hilfreich sein könnten.

Mein Buch zielt darauf ab, genau das zu tun.


  1. Dr Laurent Schwartz cancérologue iconoclaste — Guérir du Cancer (guerir-du-cancer.fr) ↩︎

  2. Stub T, Quandt SA, Arcury TA, et al. Perception of risk and communication among conventional and complementary health care providers involving cancer patients’ use of complementary therapies: a literature review. BMC Complement Altern Med. 2016;16(1):353. Published 2016 Sep 8. doi:10.1186/s12906-016-1326-3 ↩︎

  3. Ziodeen KA, Misra SM. Complementary and integrative medicine attitudes and perceived knowledge in a large pediatric residency program. Complement Ther Med. 2018;37:133-135. doi:10.1016/j.ctim.2018.02.004 ↩︎

  4. Schmidt K, Ernst E. Assessing websites on complementary and alternative medicine for cancer. Ann Oncol. 2004;15(5):733-742. doi:10.1093/annonc/mdh174 ↩︎

  5. Milazzo S, Ernst E. Newspaper coverage of complementary and alternative therapies for cancer–UK 2002-2004. Support Care Cancer. 2006;14(9):885-889. doi:10.1007/s00520-006-0068-z ↩︎

  6. Mills E, Ernst E, Singh R, Ross C, Wilson K. Health food store recommendations: implications for breast cancer patients. Breast Cancer Res. 2003;5(6):R170-R174. doi:10.1186/bcr636 ↩︎

  7. https://edzardernst.com/2013/09/drowning-in-a-sea-of-misinformation-part-8-books-on-alternative-medicine/ ↩︎

  8. https://edzardernst.com/2019/10/leah-blacknell-1964-2019-another-victim-of-cancer-quackery/ ↩︎

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